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Neuer Roman Michel Houellebecq und sein Porno-Skandal

Vor Gericht und in einem neuen Buch kämpft der französische Schriftsteller Michel Houellebecq gegen die Veröffentlichung eines pornografischen Films, in dem er zu sehen ist. Er stellt sich als Opfer dar.
30.05.2023, 15:41 Uhr
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Von Birgit Holzer

Michel Houellebecq vermittelte bislang den Eindruck, dass er sich recht wenig um das schert, was andere von ihm denken. Es schien ihn zu amüsieren, wenn es ihm gelang, zu provozieren, nicht nur in seinen Büchern. Mal inszenierte sich der französische Autor von Bestsellern wie „Elementarteilchen“ oder „Vernichten“ als dekadenter Nihilist, dann wieder nahm er den Chef des Vichy-Regimes und französischen Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain in Schutz.
Wie wenig kalt ihn sein öffentliches Image in Wahrheit lässt, bewies Houellebecq nun mit einem rund 100 Seiten dünnen Büchlein, das in Frankreich unter dem Titel "Quelques mois dans ma vie" (Einige Monate in meinem Leben) erschien.

Darin gibt er seine Version vom Zustandekommen des Pornofilms „Kirac 27“ des niederländischen Künstler-Kollektivs Kirac (Keeping It Real Art Critics) unter Beteiligung von Houellebecq und seiner Ehefrau Qianyum Lysis Li wieder. Er widerspricht darin der Erzählung des Kirac-Chefs Stefan Ruitenbeek, nach der eine Marokko-Reise des Ehepaars angeblich aufgrund von Drohungen durch Islamisten abgesagt werden musste. Um den deprimierten Houllebecq aufzuheitern, so Ruitenbeek, habe man im November 2022 Begegnungen mit Prostituierten in Paris und Amsterdam organisiert.

Der Autor kann Änderungen verlangen

Vergeblich versuchte der Schriftsteller, sich gegen diese „Lügen“ zu wehren und die Veröffentlichung des Films mit juristischen Mitteln zu stoppen. Inzwischen wurde ihm das Recht zugesprochen, ihn vorab zu sehen und Änderungswünsche anzugeben. Sollten diese nicht respektiert werden, kann der Preisträger des renommierten Prix Goncourt erneut vor Gericht ziehen. Der Trailer, der zeigt, wie er mit nacktem Oberkörper in einem Bett eine junge Frau küsst, wurde zurückgezogen.

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Darüber hinaus wehrt sich der 67-Jährige mit seiner vielleicht stärksten Waffe: seiner Feder. Sie ist elegant und witzig, selbstironisch, oft bösartig. Ruitenbeek nennt er in dem neuen Buch nur „die Kakerlake“ und zwei der Film-Darstellerinnen „die Sau“ und „die Pute“. Von sich selbst schreibt er, er habe „quasi die Perfektion der Dummheit erreicht“.

Tatsächlich sei er auf Ruitenbeeks Vorschlag hereingefallen, gemeinsam mit seiner Ehefrau mit einer attraktiven Holländerin, die ein Fan seiner Werke sei, zu schlafen. Houellebecq war auch einverstanden, sich dabei filmen zu lassen, im Glauben, die Videos würden kostenlos auf eine Amateur-Pornoseite gestellt, als selbstlose Geste sozusagen. Seine Frau fädelte das erste Treffen in Paris ein, bei weiteren Dreharbeiten in Amsterdam legte ihm Ruitenbeek einen Vertrag vor, der im Buch abgedruckt ist und dessen Tragweite Houellebecq erst viel später realisierte.

"Ich betrat die Hölle"

Mit seiner Unterschrift überließ er dem Niederländer die Rechte an allen von ihm gedrehten Szenen. „Ich betrat wahrhaftig die Hölle“, schreibt der Autor. „Dort befinde ich mich noch heute.“ Sich selbst stellt er als Opfer sadistischer Profiteure dar und vergleicht sich mit Frauen, die vergewaltigt wurden, was wiederum für Empörung sorgte. Zugleich gibt Houellebecq einen Einblick in seine sexuellen Vorlieben. Und kreist letztlich konsequent um sich selbst.

Erstaunlicher ist der erste, kürzere Teil des Büchleins, der den Skandal um islamophobe Aussagen und eine Anzeige durch den Rektor der Großen Moschee in Paris, Chems-Eddine Hafiz, aufgreift. In einem abgedruckten Gespräch mit dem französischen Philosophen Michel Onfray hatte Houellebecq behauptet, dass „die angestammten Franzosen, wie man sie nennt“, gar nicht wünschten, dass die Muslime im Land sich assimilieren, sondern „dass sie aufhören, sie zu bestehlen und anzugreifen. Oder, andere Lösung: dass sie fortgehen“.

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Nun bietet er eine neue, differenzierte Version seiner Aussage an und entschuldigt sich „bei allen Muslimen, die dieser Text möglicherweise beleidigt hat“. Heute glaube er, dass „nicht die Muslime das Problem“ seien, sondern die Kriminellen ungeachtet ihrer Religion. Tatsächlich ist dies ein Meinungsumschwung des Autors, dessen 2015 erschienener Roman „Unterwerfung“ von der Wahl eines muslimischen Staatspräsidenten in Frankreich handelt, der dort die Scharia und die Polygamie einführt. Michel Houellebecq bleibt sich selbst treu: Er weiß zu überraschen.

Info

Michel Houellebecq: "Quelques mois dans ma vie. Octobre 2022 – Mars 2023". Flammarion, Paris. 100 Seiten, Euro 12,80 (bisher nur auf Französisch erhältlich).

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