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Rinkes Rauten Die Tragödie der Liebenden

Der Dramatiker und Romanautor Moritz Rinke schaut in "Rinkes Rauten" jeden Sonntag im WESER-KURIER auf die Welt. Thema muss nicht immer der SV Werder sein.
18.05.2024, 05:14 Uhr
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Von Moritz Rinke

Die EM im eigenen Lande naht, und ich habe zunehmend schlaflose Nächte. Mein Sohn fragt jeden Morgen: „Hast du Tickets?“ „Hast du jetzt Tickets?“ „Wann hast du denn Tickets?“ Vor ein paar Tagen saß ich wieder vor dem Uefa-Ticket-Portal und versuchte, EM-Tickets zu bekommen, die Restposten. Schon bei den großen zwei Uefa-Bewerbungsrunden ging ich leer aus, allerdings bewarb ich mich auch nur ganz naiv mit einer E-Mail-Adresse, die Ticket-Ergatterungsprofis hatten sich offenbar dreißig E-Mail-Accounts zugelegt. Ich kam mir vor wie ein einsamer romantischer Angler, aber die anderen kamen mit riesigen Fischernetzen oder Grundschleppnetzen, da hat man mehr „Beifang“ wie es in der Fischerei heißt.

Bei den Restposten, die mir noch blieben, waren Spiele dabei wie Slowenien gegen Serbien oder Polen gegen Österreich. Ein Ticket kostete sage und schreibe 500 Euro, interessantere Spiele mit Deutschland, den Niederlanden oder der Türkei hatte es noch in der ersten Uefa-Ticket-Runde für circa 70 Euro gegeben. Aber jetzt Slowenien gegen Serbien (wahrscheinlich mit einem 0:0-Resultat) für 1000 Euro? Oder für 2000 für die ganze Familie?? Nee! „Diese Uefa-Gangster!“, murmelte ich und klappte den Computer zu, dann eben keine EM! Am nächsten Morgen wieder: „Hast du jetzt Tickets?“

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Ich bin jetzt auch in der Auslosungsaktion des Bahn-Bonus-Services. Ob ich da wohl zwei Tickets gewinne? „Wer´s glaubt, wird selig“, murmelte ich wieder. Warum sollte es gerade bei der Bahn klappen, wo doch sonst nichts bei der Bahn klappt? Vor der Schule stehe und warte ich jeden Tag in der „Abholsituation“, wie es auch in der Kita heißt, weil es seit der Coronazeit in der Abholsituation immer noch ganz bestimmte Regeln gibt: Abstände bei Erkältungen, draußen warten, nicht in die Klassenzimmer oder Kitaräume etc..

Beim Warten fragte mich gestern die Mutter von Freya, die mit meinem Sohn in eine Klasse geht: „Du hast ja gerade so ein schönes Fußballbuch herausgebracht. Da hast du ja auch bestimmt EM-Karten, wir haben auch Tickets bekommen!“

„Ach? … Wie denn?“, stammelte ich.

„Durch Coca-Cola. Ein Viertelfinale in Berlin, vielleicht ja mit Deutschland!

„Ui“, entgegnete ich.

„Na ja, dabei interessiert sich Freya gar nicht für Fußball“, sagte sie, „wir gehen aber trotzdem.“

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Man sollte in der Abholsituation auch verbieten über EM-Tickets zu sprechen! Der Vater von Nikolai hat auch welche, aber das weiß mein Sohn Gott sei Dank nicht, ich habe es dem Vater verboten zu sagen bzw. der Vater hat es Nikolai verboten, meinem Sohn zu sagen.

Früher habe ich Theo Zwanziger vom DFB angerufen, da hatte ich dann Tickets. Zwanziger war der Boss vom DFB, ich saß in der DFB-Kulturstiftung mit ihm, aber seit dem „Sommermärchen“-Skandal geht so etwas beim DFB nicht mehr, kein einziges Ticket gibt der mehr raus. Gerhard Schröder hat auch mal Tickets für das WM-Halbfinale 2006 in Deutschland besorgt, mein Gott, da war die Welt noch eine andere. Alle, die mir früher Tickets besorgt haben, sitzen heute auf der Anklagebank oder waren damals schon korrupter als ich dachte.

Auf den Tribünen bei der EM werden also nur Leute sitzen, die Grundschleppnetzwerke eingesetzt haben, keine einzigen liebenden romantischen Angler wird man sehen.

Es ist, offen gestanden, eine Tragödie für die wahren, die wirklichen Fußballliebenden. Ich komme mir vor wie Leon Goretzka oder Mats Hummels, die jahrelang bei der Nationalmannschaft dabei waren, die gerade in Topform sind und die es eigentlich verdient hätten, ein EM-Ticket zu bekommen, aber sie bekommen keins. Gestern hat der Bundestrainer seinen EM-Kader bekannt gegeben, Goretzka und Hummels sind nicht dabei.

Ich auch nicht. Meine letzte Hoffnung ist jetzt Dieter Burdenski, die Werderlegende. Burdenski hat magische Hände, sonst hätte er ja auch nicht 444-mal bei Werder Bremen im Tor gestanden. Burdenski hatte bei der kürzlichen Jubiläumsfeier von Werder Bremen angedeutet, dass es immer Wunder gebe, die von der Weser kämen, auch in Sachen EM-Tickets.

Mein Sohn würde Purzelbäume machen und danach Torwart werden.

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