Nun war ich endlich einmal in der berühmten Oberen Ratshaushalle. Was für ein Festsaal! Schon allein, wie es riecht nach all dem altwürdigen Holz. Und nach all den Jahrhunderten, in denen hier beraten, gestritten und zum Wohle der Stadt Entschlüsse gefasst wurden! Und jetzt am Mittwoch wurde in der Oberen Ratshaushalle gefeiert, Festakt! Die Unesco hat Bremen in das internationale Netzwerk der „Creative Cities“ aufgenommen und ihr den Titel „City of Literature“ verliehen.
Ich wusste bei der Rede von Bürgermeister Andreas Bovenschulte gar nicht, wo ich hinschauten sollte – auf die phantastische Holzdecke, die schöne ornamentale Bemalung, die prächtigen Schiffsmodelle, die von der Decke hängen, oder auf den Bürgermeister.
Er sprach den wundervollen Satz: „Ein Book-Ruck wird nun durch Bremen gehen!“ Ja, um nämlich von der Unesco diesen Titel „City of Literature“ zu bekommen, muss eine Stadt das Ziel haben, möglichst viele Menschen für die Literatur und das Lesen zu begeistern. Und so sind im Zuge der Bewerbung, wie beim Festakt zu hören war, schon viele Projekte entstanden, in Zusammenarbeit mit dem Literaturkontor oder der Stadtbibliothek und all den zahlreichen Bremer Buchhandlungen.
Es ist also endgültig vorbei mit dem Alleinstellungsmerkmal von Werder Bremen in der Hansestadt, „Creative Cities“ klingt auch viel besser als Euro- oder Champions League und Bremen befindet sich nun unter anderen „Creative Cities of Literature“ wie Barcelona, Dublin oder Prag.
Die Direktorin der Stadtbibliothek Lucia Werder (was für ein Name für diese Stadt!) sprach von der „Macht des Lesens“; der Autor Bas Böttcher performte Slam-Poetry; ein Quartett der Bremer Philharmoniker bezauberte mit Dvorák, die Schriftstellerin und Illustratorin Anke Bär mit ihrer Leidenschaft für die Bremer Literaturszene und Katharina Guleikoff führte munter durch´s Festprogramm.
Ich selbst klang eher wie der Bundespräsident, ich durfte den Weser-Kurier vertreten und eine Rede über „Demokratie und Literatur“ halten.Was können also Bücher in einer durch Populismus, Polarisierung und Spaltung gefährdeten Demokratie bewirken?
Ich sprach unter anderem über den Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ des israelischen Schriftstellers David Grossmann. Ora, die jüdische Protagonistin, flüchtet in die Berge, damit sie im Falle des Todes ihres Sohnes, der als Soldat im Krieg kämpft, nicht erreichbar ist. Und sie hat nicht nur Angst, dass er stirbt, sondern ebenso, dass er tötet; dass er seine Menschlichkeit verliert.
Der Roman von Grossmann erzählt, wie es trotz Krieg möglich sein könnte, Mensch zu bleiben. Grossmann schrieb diesen Roman auch, weil er dachte, das Schreiben würde seinen eigenen Sohn schützen, der 2006 im zweiten Libanonkrieg dennoch kurz vor dem Waffenstillstand getötet wurde.
Grossman aber schrieb an dem Buch weiter, um die gegen die Trauer anzukämpfen. Und er schaffte es, gerade nicht in den Hass zu verfallen, in den Jargon der Politiker, wie wir ihn jetzt zum Beispiel vom ultranationalistischen Kriegs-Kabinett in Israel kennen.
Man müsste diesen Roman eigentlich über Israel, über dem Gazastreifen und auch über den Kampfgebieten in der Ukraine abwerfen, um vielleicht die größte Waffe gegen den Krieg zu liefern. „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, schrieb Franz Kafka.
Und es gibt diese Anekdote in einem Buch von Tzvetan Todorov über einen jungen Kommunisten, der in einer Bibliothek zufällig „Lehrjahre des Gefühls“ von Flaubert entdeckt und sich so sehr in die Lektüre vertieft, dass er seine Verpflichtungen als Parteimitglied vernachlässigt und verhaftet wird. Er bereute jedoch nichts und sagte: „Wenn ich je begriffen habe, und sei es auch im Gefängnis, was Freiheit ist, dann als ich Flaubert gelesen habe.“
Das empfahl ich dann auch dem Bürgermeister. Wenn er jemals genug habe von der SPD, dann solle er einfach nur noch „Lehrjahre des Gefühls“ lesen. Dann würde ihn seine Partei wahrscheinlich nicht verhaften lassen, aber wer weiß, was dann in Andreas Bovenschulte vorgehen würde. Vermutlich erst einmal ein „Book-Ruck“.