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"Ich hatte die Schnauze voll von mir" Schwedische Songwriterin mit rosa Pop und klarem Blick

Sie hörte endlich auf, auf den richtigen Moment zu warten und machte sich an die Arbeit. Lob allerorten für das Soloalbum der Schwedin Jennie Abrahamson.
06.08.2010, 00:00 Uhr
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Von Claudia Nitsche

Sie hörte endlich auf, auf den richtigen Moment zu warten und machte sich an die Arbeit. Lob allerorten für das Soloalbum der Schwedin Jennie Abrahamson.

Schön, wenn es im Leben eines Musikers einen magischen Moment gibt. Noch besser, wenn man ihn erkennt. Jennie Abrahamson ist eine schwedische Sängerin, die mehrere Instrumente spielt und nun auf ihrem - zweiten - Soloalbum "While The Sun's Still Up And The Sky Is Bright" zu hören ist. Sie kann entscheidende Augenblicke nicht nur benennen, sondern herbeiführen. So schaffte sie es mit einem gezielten Tritt in ihren eigenen Hintern endlich, diese rosafarbenen Popsongs aus dem Hut zu zaubern. Der mädchenhafte Eindruck täuscht: Sie hat lange aschblonde Haare, trägt ein Sommerkleid und isst Schokokekse, während sie von Schlüsselmomenten erzählt. Doch ihr Blick auf sich selbst und das Leben ist ganz klar.

teleschau: Das Plattencover zu "While The Sun Is Still Up..." hat einen ziemlichen "Love und Peace"-Einschlag. Ist das Absicht?

Jennie Abrahamson: An die Siebziger darf es erinnern. Aber allzu folkig soll es nicht wirken. Ich wollte ein Bild einer schwedische Fotografin, die kleine Welten schafft und Leute reinsetzt. Aber sie war in Urlaub und ich in Eile. Letztlich bin ich mit dem Fotografen an einem Morgen im Park die Bäume hochgeklettert und wir haben die Fotos gemacht. Eine andere Welt wollte ich mit dem Album schon gerne erschaffen.

teleschau: Weil es nach zahlreichen Projekten Sie selbst widerspiegelt wie wenig zuvor?

Abrahamson: Ich bin nahe dran an dem, was ich da komponiert habe. Der Weg begann vor über zehn Jahren, als ich nach zwei Alben mit der Band Heed spürte, dass ich keinen Spaß mehr hatte. Es war gut, die Songs zu entwerfen. Wir haben zu viert komponiert, man hört also Spuren von mir. Als ich jedoch auf der Bühne stand, merkte ich plötzlich, dass ich das Kostüm, das die Lieder tragen, nicht schön finde.

teleschau: Danach gab es aber noch lange kein Soloalbum.

Abrahamson: Dann spielte ich erst noch bei der Countrypop-Band Yukon AK. Gleichzeitig habe ich meine Songs geprobt und ordentliche Demos von ihnen aufgenommen. Prompt hat mich die EMI angerufen, wollte einen davon haben.

teleschau: Und das war nicht gut?

Abrahamson: Nein. Dort waren wir mit Heed. Ich habe mich für das Interesse bedankt, und ihnen mitgeteilt, dass sie mir nichts anbieten können, was ich möchte. Letztlich wären wir ins Geschäft gekommen, aber dann feuerte die EMI ihre Mitarbeiter.

teleschau: Also ging es weiter.

Abrahamson: Dann gründete ich vor drei Jahren mein eigenes Label. Das machten schließlich viele meiner Freunde, also konnte ich das auch. Allerdings war diese Zeit dann heftig. Ich unterrichtete an einem Gymnasium Musik, tourte und gründete meine eigene Firma.

teleschau: Muss man als Musikerin so viel arbeiten, um zu überleben?

Abrahamson: Ja und nein. Ich wollte immer sicherstellen, dass ich meine Rechnungen bezahlen kann. Ich möchte die Zügel unbedingt festhalten, das hat für mich bedeutet, ich musste viel arbeiten. Der Lehrerjob im Gymnasium war mehr als eine Sicherheit, und es fiel mir schwer, mich dagegen zu entscheiden. Da waren tolle junge Leute, die ihre eigenen Songs schreiben und produzieren. Aber ich konnte nach so einem Arbeitstag nicht am Abend ins Studio gehen und meine Sachen machen.

teleschau: Eigentlich hatten Sie immer eine Ausrede, um nicht an Ihren eigenen Sachen zu arbeiten.

Abrahamson: Ich war einfach zu furchtsam und feige, habe auf die richtige Zeit und die richtige Stimmung gewartet, das immer nach hinten verschoben. Geschrieben hatte ich eine Menge, aber dann war da noch diese Abneigung gegen große Label. Mit Heed haben wir nicht wenig verkauft und nicht einen Penny verdient. Ich weiß nicht, wo das Geld stecken geblieben ist, warum Songs unerlaubt für Werbespots verwendet wurden. Ich wollte nicht mehr allzu viel anderen Leuten überlassen.

teleschau: Und wie haben Sie sich die Feigheit ausgetrieben?

Abrahamson: Ich glaube, ich hatte die Schnauze voll von mir. Dieses ewige Auf und Ab. Mein Freund ist im Gegensatz zu mir sehr bodenständig. Er sieht ein Problem und wie man es löst. Vielleicht habe ich mir das ein bisschen zum Vorbild genommen, ich wollte nicht mehr auf meinem Hintern sitzen und warten, was passiert. Denn eigentlich passt das nicht zu mir. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dann will ich die zumindest probieren.

teleschau: Und zum Dank für die Inspiration haben Sie Ihren Freund dann drei Monate alleine gelassen und sind nach New York gegangen.

Abrahamson: Das war schon in Ordnung, wir sind seit Ewigkeiten zusammen. Vor einigen Jahren ist es passiert, dass wir uns von Januar bis August so gut wie nicht gesehen haben. Wenn ich nach Schweden kam, ist er drei Stunden vorher abgereist. Er ist Drummer. Nach New York wollte ich alleine gehen, das war der Sinn der Sache.

teleschau: Was hat New York mit Ihnen gemacht?

Abrahamson: Es hat mir Frieden gegeben. Ironisch genug (lacht). Ich habe drei Monate lang mitten in Manhattan gelebt und an meinem letzten Tag wurde mir bewusst, dass ich in diesen lebhaften Straßen sehr langsam gelaufen bin. Das ist gegen meine Gewohnheit, ich will immer effektiv sein. Wenn schon laufen, warum nicht gleich den Körper trainieren. Aber ich fand es toll zu bemerken, dass ich meine Ruhe wieder hatte.

teleschau: Die war vorher weg?

Abrahamson: Ja, ich traf Menschen und konnte mich nicht an sie erinnern, gab vor sie zu kennen und habe viel rumgeflunkert. In manchen Situationen verhedderte ich mich, so nach dem Motto: "Hey, was hast du denn in letzter Zeit getrieben?", und der andere fragte: "Seit gestern, als wir zusammengearbeitet haben?" Ich saß an manchen Tagen abends zu Hause und heulte, weil ich es traurig fand, dass ich Leute so verarsche.

teleschau: Warum musste es New York sein?

Abrahamson: Weil da keine Freunde von mir wohnen und somit auch keine Verpflichtungen sind. Wenn man in New York jemanden kennenlernen will, geht das schnell. Aber ich wollte niemanden, der Ansprüche an mich stellt. Da ich schon oft dort war, kannte ich viele Plätze, meine Restaurants. Ich war die meiste Zeit allein und das war gut so.

teleschau: Aber Sie haben nur halb fertige Ideen mitgebracht.

Abrahamson: Ja, aber das hat mich nie wirklich beunruhigt, ich wusste, ich musste erst auftanken, dann würde sich der Rest schon ergeben. Ich schreibe ohnehin nicht kontinuierlich, sondern sammle tausend Schnipsel, die dann irgendwann geordnet werden müssen. Dafür bin ich dann direkt nach New York in unser kleines Sommerhaus im Wald gefahren. Ich versuche, aus jeder Idee einen Song zu machen, auch wenn ich ihn nicht verwenden will.

teleschau: Hat sich denn in Ihrem Alltagsleben seither etwas geändert?

Abrahamson: Abgesehen davon, dass ich einen sehr hektischen Sommer hatte, schon. Ich nutze jede Möglichkeit, um die langweilige Frau zu geben, den anderen eine schöne Party zu wünschen und ins Bett zu gehen (winkt und lächelt, d. Red). Mittlerweile weiß ich, dass ich mindestens sechs Stunden Schlaf brauche, acht sind mir lieber. Und ich bringe meine Laufschuhe mit, egal wo ich bin. Damit nutze ich endlich diesen Leerlauf, wenn man wartet. Statt E-Mails zu checken, vor dem Laptop zu sitzen und noch einen Film zu sehen, mach ich was aus meiner Zeit. Morgen zum Beispiel habe ich frei, mein UK-Manager wollte kommen, aber ich habe ihm abgesagt, ich brauch einen freien Tag allein.

teleschau: Spielen Sie denn eigentlich auch mit Ihrem Freund zusammen?

Abrahamson: Ja, er ist jetzt auf dem Album dabei.

teleschau: Ach, da liegt die eigentliche Intention dieses Albums! Ein Abgleichen von Zeitplänen ...

Abrahamson: Das könnte man glauben, aber mein Tontechniker und mein Freund kommen aus dem gleichen Ort wie ich. Damals war ich 13 Jahre alt, als unser Musiklehrer gebeten wurde, Talente zu präsentieren. Johannes und Mike haben bei meinem ersten Gig mit mir gespielt, und sie tun es noch immer.

teleschau: Und wie alt sind Sie jetzt?

Abrahamson: 32. Schön, oder?

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