Kaum haben die Besucher im Stadttheater Bremerhaven ihre Handys in den Flugzeugmodus geschaltet, sehen sie sich auch schon auf den Miami Airport in Florida versetzt. "Hände hoch!": FBI-Fahnder Carl Hanratty und seine Gurkentruppe schaffen es endlich, den jungen Scheckbetrüger und Hochstapler Frank William Abagnale Jr. festzusetzen.
Doch der blondgelockte Smartie, echter Amerikaner, möchte den Fluggästen im Saal erst noch seine Lebensgeschichte erzählen. Die Show "Catch me if you can" (Fang mich, wenn du kannst) beginnt – und wie. Regisseur Till Nau und Ausstatter Lukas Pirmin Wassmann inszenieren eine rasante biografische Swing-Revue mit bonbonbunten Bildern der 1960er-Jahre, die das Publikum elektrisiert.
Die Handlung: Er ist 16 Jahre jung, hübsch, mag Mädchen und Geld und hat die grandiose Fähigkeit, andere etwas (Falsches) glauben zu lassen. Frank, Sohn einer französischen Tänzerin und eines US-Weltkriegssoldaten, der als Schreibwarenhändler pleite geht, ist ein Blender von aufreizender Unverfrorenheit. Nach der Scheidung seiner Eltern büxt er aus, fälscht mit immer größerer Perfektion Schecks, prellt die Banken des Landes um 2,5 Millionen Dollar, erhöht seine Glaubwürdigkeit, indem er sich nacheinander als Flugkapitän, Arzt und Rechtsanwalt ausgibt. Denn vom Vater hat er gelernt: "Der Nadelstreif ist das, was zählt."
Der Kinofilm: Frank Abagnale gibt es wirklich, er ist heute 76 Jahre alt. Nach fünf von zwölf Jahren Haft engagierte ihn das FBI als unschlagbaren Experten, er baute sich eine bürgerliche Existenz auf. Wie eine Maus, die so lange in der Milch strampelt, bis Butter daraus wird – Papas Lebensmotto wurde zum Leitmotiv seiner eigenen Biografie. Steven Spielberg machte 2002 eine schwerelose Gaunerkomödie daraus, mit Leonardo DiCaprio als charmantem Betrüger und Tom Hanks als steifem Fahnder Carl, der zu einer Art Ersatzvater mutiert.
Das Musical: 2011 kam das Musical von Terrence McNally (Text) und Komponist Marc Shaiman Musik) am Broadway heraus. Da hier die beiden Hauptfiguren als Erzähler fungieren, ist es in manchem Detail präziser als der Film. Dass Frank vor allem deshalb zum Gauner wird, um die finanzielle Misere seines Vaters zu beheben und seine Eltern wieder zusammenzuführen, wird ebenso unterstrichen wie seine Sehnsucht nach einer eigenen Familie, wenn er sich in die Krankenschwester Brenda verliebt. Das Musical gönnt sich ein paar sentimentale Momente mehr, dafür kommt das Ende hier schnell und knackig daher.
Die Inszenierung: Fast drei Stunden läuft ein faszinierender Bilderbogen ab. Wechselnde Gardinenschleier sorgen dafür, dass man oft nur Teile der Bühne sieht – so wie Fahnder Carl stets nur Puzzlestücke vorfindet. Wenige Ausstattungsstücke wie Kartenschalter, Telefonzelle, Hotelbett oder Theke einer Bar deuten die rasch wechselnden Orte der Handlung ausreichend an. Öffnet sich die Drehbühne ganz, erscheint eine geschwungene Showtreppe, die die in ihrem Unterbau auch mal eine Nasszelle andeutet: Die brillante Filmszene, in der Frank sich, von Carl im Hotelzimmer ertappt, als Agent des konkurrierenden Secret Service ausgibt und entkommt, lässt sich das Musical nicht entgehen. Am Ende verschwinden alle Schleier, Carl verhandelt Franks Zukunft im nackten Bühnenhaus. Auch die Inszenierung macht sich ehrlich.
Das Personal: Für die Hauptfiguren hat man Gäste engagiert. Tobias Bierl als Frank gewinnt als herziger Schlawiner alle Sympathien – ein Nachwuchstalent mit Kondition (auch in den Dialogen), Spielwitz ("Brötchentanz") und starker Musicalstimme. Der erfahrene Frank Winkels vollzieht die Entwicklung vom bärbeißen Cop zum väterlichen Freund mit viel Augenzwinkern nach. Celena Pieper wertet die kurze Rolle der Brenda mit farbigem Sopran ("Flieg ins Glück") atemberaubend auf. Aus dem Opernensemble kommen Franks Eltern: Mezzosopranistin Boshana Milkov gibt die Lebedame par excellence, Spieltenor Andrew Irwin singt und spielt den im Suff endenden Pleitevater mit größter Einfühlung.
Dazu tritt der geradezu spielwütige Chor von Edward Mauritius Münch, dessen Mitglieder – voran James Bobby, MacKenzie Gallinger, Róbert Tóth und Iris Wemme-Baranowski – viele kleinere Rollen übernehmen. Eine höchst bewegliche sechsköpfige Musicaltruppe hilft ausgiebig mit, dass Schlitzohr Frank jederzeit durchs Leben tanzen kann. Till Nau, Regisseur und zugleich Choreograf, sorgt dafür, dass sich der Chor diesem Gastsextett elegant anschmiegt, Lukas Pirmin Wassmann für immer neue Kostüme. Ob Showgirls mit Glitzertrikots und Federfächern, schwarze Schattenmänner, fesche Stewardessen, Krankenschwestern oder Flugkapitäne – fast jede Nummer wird zum Höhepunkt.
Die Musik: Die scharf geschnittenen Songs klingen ganz wie der Swing der 60er. Es wird durchweg deutsch gesungen, mit manch amüsanter Textzeile. Die Kriminalnummer "Brich kein Gesetz", das Kneipenduo "Kleiner Bub, sei ein Mann", das witzige Liebesduett über die Weltwunder, das ironische "Familienclan"-Ensemble in Lindgrün – viele der 18 Nummern sind für heftigen Zwischenapplaus gut. Kapellmeister Davide Perniceni und Mitglieder des Philharmonischen Orchesters bieten einen Sound zwischen Jazzbar und Bigband, als hätten sie nie etwas anders getan. So viel gute Unterhaltung: Bremerhavens "Catch me if you can" sollte man nicht verpassen.