Der glatzköpfige Mann im orange-farbenen T-Shirt beugt sich nach vorne. "Fünf, sechs Minuten. Vielleicht auch nur vier", sagt er. Vier bis sechs Minuten – so lange dauerte es, bis er einen Zellennachbarn erdrosselte. "Ich habe kein schlechtes Gewissen", sagt er und blickt ausdruckslos an der Kamera vorbei. Dann ziehen sich seine Mundwinkel nach oben, ein fehlender Schneidezahn entblößt sich: Er lacht. "Das findest du echt krass, oder?", fragt er seinen Interviewpartner.
James Robertson ist einer von zehn Mördern, die in US-amerikanischen Todeszellen auf ihre Hinrichtung warten und in der Dokuserie "I am a Killer" von ihren Taten erzählen. Netflix, das die zehn 50-minütigen Folgen seit dem 3. August im Stream zeigt, nimmt somit eine weitere True-Crime-Produktion in sein Angebot auf. Aus gutem Grund: Auf realen Kriminalfällen basierende Serien wie "Making a Murderer" (2015) oder "Gefangen" (2016) laufen äußerst erfolgreich.
Der Trend beschränkt sich aber nicht nur auf Streamingangebote: So veröffentlicht der Anwalt Ferdinand von Schirach seine spektakulärsten Fälle in Kurzgeschichtensammlungen, die auch im Ausland hohe Auflagen verzeichnen. Und schon seit Jahren verzeichnet das Magazin "Stern Crime" hohe Absatzzahlen, so dass Anbieter wie etwa vor Kurzem der "Zeitverlag" mit eigenen Formaten nachziehen.
Die Macher von "I am a Killer" lassen zu Beginn ihre Protagonisten zu Wort kommen. Ausführlich dürfen sie ihre Taten schildern, wegen derer sie zum Tode verurteilt wurden. Robertson etwa erhoffte sich, wegen des Mordes in die Todeszelle verlegt zu werden. Denn dort erhält er Privilegien, beispielsweise eine größere Auswahl an Mahlzeiten.
Ein anderer erschoss seine Ex-Freundin und ihren neuen Liebhaber aus Wut; jemand anderes tötete bei einem Einbruch in Panik eine ältere Dame. Jeder von ihnen hinterfragt seine Motive und die Umstände, wie er in die Situation geraten ist, einem Menschen das Leben zu nehmen. Umso länger der Zuschauer den Schilderungen folgt, desto mehr taucht er in die Welt des Mörders ein – und läuft Gefahr, diesem bis zu einem gewissen Grad Absolution zu erteilen.
Später schildern jedoch Verwandte der Opfer, Anwälte und Polizisten ihre Sicht der Dinge, die zumeist anders ausfällt. Sie stellen die Distanz zu den Mördern wieder her und erzählen von den Folgen, welche die Tat ausgelöst hat. Am Ende jeder Episode werden die Todeskandidaten mit den Aussagen konfrontiert. Jeder von ihnen geht anders damit um. Manche kontern mit Lügen, manche beharren auf ihren Darstellungen.
Die große Stärke der Serie
Das breite psychologische Profil, das durch die vielen Blickwinkel entsteht, macht den großen Reiz der Serie aus. Letztendlich liegt die Wahrheit irgendwo zwischen dem Gesagten. Wo genau, entscheidet jeder Zuschauer selbst. Denn die Macher urteilen nicht, sie lassen erzählen und ziehen sich zurück. Zwischendurch stellen sie den teils grausigen Berichten Aufnahmen von Gefängnishöfen und dem Leben außerhalb der Mauern gegenüber.
Das schafft Zeit, das Erzählte zu verdauen und es einzuordnen. Die Taten indes werden in nachgestellten Szenen nur angedeutet. Gesichter sind dabei keine zu sehen, dafür aber die Mordwaffen und kleine Details wie aufgebrochene Türen. "I am a Killer" fokussiert sich allein auf das Gesagte und Belegbare, nicht auf Darstellungen, die Spekulationen entspringen. Das ist die große Stärke der Serie, die tiefe Einblicke in eine schwer zugängliche Welt gewährt.