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Rinkes Rauten Die erste Liebe in Bremen

Der Dramatiker und Romanautor Moritz Rinke schaut in "Rinkes Rauten" jeden Sonntag im WESER-KURIER auf die Welt. Thema muss nicht immer der SV Werder sein, Raute hin oder her.
14.11.2021, 05:00 Uhr
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Von Moritz Rinke

Zuerst gab es Freya aus Grasberg. Dann Claudia und Christine aus Lilienthal oder Kirsa aus Mooringen. Aber die erste Liebe in Bremen war das Theater am Goetheplatz, noch vor dem SV Werder.

Dabei begann es gar nicht so schön. Meine Mutter hatte mich in ein Weihnachtsmärchen gesetzt, um in der Sögestraße Besorgungen zu machen, ich sollte mich nicht von der Stelle rühren, nur zuschauen. Dann fiel ein Engel von einer Kulissenwolke, brach sich das Bein und die Vorstellung wurde abgebrochen. Als meine Mutter mich abholte, saß ich ganz allein im Zuschauerraum des Großen Hauses, nur eine Garderobiere hielt meine Hand.

Als ich noch kleiner war, hatte ich sogar einen eigenen Betreuer im Bremer Theater, den berühmt-berüchtigten Johann Kresnik, den Erfinder des Choreographischen Theaters, mit dem meine Mutter befreundet war. Wenn sie vormittags in der Stadt zu tun hatte, beobachtete ich Kresnik-Proben aus dem Kinderwagen.

Ich weiß nicht, was lauter war, ich oder Kresniks Stücke wie „Rudi Dutschke“ oder „Kriegsanleitung für jedermann“, auf jeden Fall schob mich die Regieassistentin auch auf andere Proben. Folgende Inszenierungen der berühmten Kurt-Hübner-Ära habe ich meinen Recherchen zufolge in ihrer Entstehung miterlebt: „Kabale und Liebe“, inszeniert von Peter Stein mit Jutta Lampe als Lady Milford, Bruno Ganz als Wurm und Edith Clever als Luise. Dann war ich noch Probengast bei „Don Gil und den Grünen Hosen“, einem Lustspiel, das mir besser zu gefallen schien als Kresniks ganzer Dutschke-Krach.

Später, mit 18, habe ich dann den Schauspieler Hans Falár in „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ von Dario Fo gesehen. Ich ging sieben Mal in diese Aufführung und bin sieben Mal auf dem Rückweg mit meiner 2CV-Ente im tückischen Sternkreisel fast mit einer Straßenbahn kollidiert, weil ich geistig immer bei Hans Falár und seinem Anarchisten war.

Und dann traf ich sogar den großen Kurt Hübner! Mein Vater verglich Hübner mit Hans-Dieter Höttges, der Werder-Legende („Mit mir steigt Werder Bremen nie ab!“); meine Mutter mit dem Reformator Martin Luther („Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“). Auch Hübner schlug die Reformation an die Tür des Bremer Theaters. Auch Hübner sollte vor dem damaligen Kultursenator Thape widerrufen und hielt stand. Auch Hübner fluchte und donnerte wie Luther und war genauso ein konservativer Revolutionär, einerseits im Alten verhaftet, andererseits mit der Nase schon im Neuen.

Er inszenierte am Bremer Theater den „Kaufmann von Venedig“ und war also Jahrzehnte später noch einmal an seine legendäre Stätte zurückgekehrt. Ich sprach ihn einfach im Foyer an, diesen Mann im ewigen blauen Pullover und dem großen Hemdkragen, mit dem massiven schwarzen Brillengestell, das immer etwas weiter vorne auf der Nase stand. Und diese kritischen prüfenden Augen, die einen unentwegt ansahen, wenn man sein Anliegen vortrug, denn ich wollte ja zum Theater, was ich ihm noch im Foyer mitteilte. Seine ersten Worte waren: „Bur, ich rate ab!“

Ausgerechnet Hübner riet mir vom Theater ab. Und doch wurde er so etwas wie mein Theatergroßvater, reiste zu meinen ersten Uraufführungen in Zürich und Stuttgart und legte sich mit meinen Kritikern an. Ein Jahr vor seinem Tod kam er noch aus München zu meiner ersten Bremer Aufführung, ich war so stolz. Mein Stück in Bremen. In Bremen! Ich hatte später die Ehre, am Royal Court in London und am New Yorker Broadway gespielt zu werden, aber das Bremer Theater war mir immer wichtiger. Echte Liebesgeschichten gehen nie zu Ende.

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Info

Unser Kolumnist Moritz Rinke liest an diesem Sonntag um 19:30 Uhr im Theater am Goetheplatz aus seinem neuen Roman „Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García“.

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