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Rinkes Rauten Schöne Grüße aus der Quarantäne – Folge zwei

Der Dramatiker und Romanautor Moritz Rinke schaut in "Rinkes Rauten" jeden Sonntag im WESER-KURIER auf die Welt. Thema muss nicht immer der SV Werder sein, Raute hin oder her.
04.12.2021, 17:32 Uhr
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Von Moritz Rinke

Die erste Quarantänewoche endet mit dem Test des Sohnes: Beide Striche rot. Wir wiederholen den Test: wieder zwei rote Striche. Ich erkläre ihm vorsichtig, dass es eventuell nun doch dieses winzige Virus sein könnte, von der Mama. Er sagt, er hätte doch extra in Drachenblut gebadet, er sei geschützt und beginnt zu weinen. Aber das Lindenblatt, sage ich, vielleicht haben wir eine kleine Stelle, wie in der Heldensage, nicht bedecken können. Ich nehme ihn in den Arm, stecke der Tochter nebenbei einen Teststab in die Nase und schlage vor, in ein richtiges Testzentrum zu fahren, das müsse sein Lieblingstorwart auch jeden Tag.

Ich rufe meine Partnerin hinter der Wand im Seitenflügel an. „Es steht jetzt wahrscheinlich 2:2, zwei Positive, zwei Negative, die Kleine und ich sind noch okay.“ „Wir heben den ganzen Irrsinn jetzt auf“, erklärt sie. „Besser die Kleine bekommt es jetzt auch, sonst sitzen wir noch Weihnachten in Quarantäne.“ Sie öffnet schon die altbauknarrende Tür und tritt aus ihrer Isolation.

Es kommt mir vor, als würde die Mauer fallen. Die Kleine stürzt auf ihre Mutter zu und strahlt; der Junge hört auf zu weinen und niest. Wiedervereinigung. Masken ab. Alle Regeln außer Kraft gesetzt. Familiäre Durchseuchung, ein bisschen Derby wie in Nordrhein-Westfalen, Köln gegen Gladbach, wo 50.000 Zuschauer ohne Masken jubelten. Der geöffnete Seitenflügel fühlt sich wie eine Befreiung an. Wie sehr würde ich das diesem Land wünschen: ein Öffnen aller Seitenflügel – wenn wir nicht schon jetzt auf manchen Intensivstationen offenbar kurz vor der Triage stünden. 

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Auf dem Weg zum PCR-Test denke ich über meine Wut nach, über die „Dummheit der Impfgegner“, wie ich hier geschrieben hatte.  Vielleicht müsste man stattdessen „Coronaleugner“ schreiben, mittlerweile gibt es ja schon einen Feldzug gegen die „Ungeimpften“, bei denen aber noch nicht einmal klar ist, ob sie alle „Impfgegner“ oder „Coronaleugner“ sind. Vielleicht müssen wir jetzt in der Sprache genauer darauf achten, um die Gräben nicht noch weiter zu vertiefen. Ein Schlagwort wie „Die Ungeimpften“, das klingt nicht gut. Insbesondere eine Zuschrift einer Leserin aus Hoyer/Weser berührt mich, die mir erklärte, dass es in ihrer Familie zwei Erkrankungen gegeben habe, die auf frühere Impfungen zurückzuführen seien, da könne sie keinem Impfstoff vertrauen, der nur eine Notzulassung habe.

,Zurück in die Isolation', ordne ich meiner Liebsten an

24 Stunden später. Der PCR-Test ist negativ. „Wir müssen alles wieder rückgängig machen, zurück in die Isolation“, ordne ich meiner Liebsten an und weise auf die Tür zum Seitenflügel.

Ich googele das Labor, das den Abstrich untersucht hat. Ich stoße auf eine GmbH, die Pflegegels gegen Parodontose herstellt. Der Mann, der den Test meines Sohnes unterschrieben hat, ist auf einem Bild zu sehen mit dem Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer. Sie halten in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ zusammen ein Parodontose-Gel in die Kamera.

Ich rufe die Kinderärztin an und sage ihr, dass ich dem PCR-Test, den wir in einem großen Testzentrum am Kurfürstendamm gemacht haben, nicht so richtig vertraue, vielleicht liegt es an dem Bild mit dem geschäftstüchtigen Labortest-Unterzeichner und diesem Maschmeyer. Wir fahren zur Kinderärztin, wo der Junge im Keller der Praxis erneut PCR getestet wird, die Ärztin trägt dabei einen Schutzanzug und sieht aus, als ob sie zum Mond fliegen wolle. Als ich meinen Sohn sehe, zwischen dem Keller-Gerümpel mit dem dicken Teststab der Mondärztin im Rachen, tut es mir so unendlich leid. Was muten wir unseren Kindern zu? Was ist das nur für eine Zeit?

Zu Hause angekommen, sage ich nicht einmal mehr „Hände waschen“. Ich erinnere mich, wie wir am Anfang der Pandemie lehrten, beim Händewaschen zweimal „Happy Birthday“ zu singen. Ja, wir sangen alle mehrmals täglich. Am Anfang war alles irgendwie noch ein Kinderspiel (Fortsetzung folgt).

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