Im Seitenflügel hustet die Liebste, Impfdurchbruch. Die Kinder und ich, die negativ Getesteten, wohnen im anderen Flügel. Schule und Kita sind gestrichen, Quarantäne. Ich übernehme ab sofort alles. Unfassbar, wie lang die Tage ohne Kita und Schule sind. Mein Sohn steht ohne Schule seltsamerweise noch eine Stunde früher auf, die Kleine wird dann auch wach und sagt: „Mama?“
„In Isolation“, kann ich ja schlecht einer Dreijährigen sagen, ich sage: „Mama hat Schnupfen“. Die Kleine springt aus dem Kinderbett und rennt schon Richtung Seitenflügel. „Es ist ein ganz schlimmer Schnupfen“, rufe ich hinterher. Meine Panik, als die Kleine das erste Mal die altbauknarrende Tür zum Seitenflügel öffnet, es kommt mir vor, als überquere sie die Grenze nach Nordkorea. Durch den Spalt der Tür sehe ich, wie sie auf ihre Mutter zuläuft und diese immer weiter zurückweicht. Es ist herzzerreißend.
Ich frage meinen Sohn, ob wir es wie in der Schule machen sollen, Maskenpflicht? Ihn nerven die Dinger schon in der Schule, erklärt er. „Ich werde nicht positiv, das weißt du doch!“ Wir hatten nach den Herbstferien, den Drachenkampf Siegfrieds aus den „Nibelungen“ nachgespielt und uns vorgestellt, dass uns das Drachenblut, in dem wir badeten, eine Schutzhaut gegen Corona verleiht. Ich hatte sogar Rotbäckchensaft in die Wanne gekippt.
Ich spiele mit meinem Sohn Fußball in der Wohnung, er will der Nachfolger von Manuel Neuer werden, er hechtet schon ziemlich gut. Den Nachbarn unter uns habe ich informiert, dass wir in Quarantäne sind und es die nächsten Tage (oder Wochen) laut werden könnte.
Mit der Kleinen spiele ich zwischendurch Ponyreiten, ich bin das Pony und krabbele durch die Wohnung, in der es immer kälter wird, ich habe alle Fenster aufgerissen. „Jetzt Pony zu Mama!“, sagt sie. „Nein“, sage ich, „das Pony kann nicht zu Mama.“ Sie schreit, springt von meinem Rücken und läuft wieder auf die Tür des Seitenflügels zu, ich halte sie fest. Plötzlich meine Wut auf diese Impfquote in Deutschland, auf die Impfgegner und diese Dummheit von Menschen, die für das Recht auf ihre eigene Meinung alles andere ignorieren.
Die Tochter weint. Da helfen jetzt nur noch die „Babybus“-Animationsfilme oder „Ein Fall für die Erdmännchen“ auf Kkia. Mein Sohn protestiert, er will die „Manuel-Neuer-Challenge“ auf Youtube sehen. Ich parke die Kinder vor zwei Geräten und koche, putze, sauge, schiebe den Kindern Vitamin D, Zink und Kiwis in den Mund und das Teststäbchen in die Nase.
Nebenbei versuche ich, das Gesundheitsamt anzurufen, immer besetzt. Ich googele „Quarantäne“ und lese, dass sie nicht in der Maßnahmenverordnung des Landes geregelt wird, sondern von den Bezirken in „Allgemeinverordnungen“. In Charlottenburg-Wilmersdorf, wo wir wohnen, dauert sie wohl 14 Tage, in Kreuzberg zehn, in Reinickendorf sogar nur fünf. Ein Wahnsinn, was für einen Sinn ergibt das?
Ich googele lieber, wie lang man eigentlich infektiös ist. Wie stark ist die Virenlast bei Geimpften? Kann man Viren-Aerosole wegsaugen? Je mehr ich googele, desto weniger weiß ich. Von all den Virologen-Talkshows ist mir keine einzige Erkenntnis geblieben. Ich rufe die Liebste hinter der Wand an.
„Wie geht´s?“
„Eigentlich gut“, antwortet sie. „Ich mache Yoga.“
„Ah, schön“, sage ich. „Die Kinder sind noch negativ. Aber wie halten wir das 14 Tage durch? Oder wollen wir nach Reinickendorf umziehen, da sind´s nur fünf?“
Abends liege ich erschöpft auf dem Sofa, mit Mütze, Schal und Maske. Im Fernsehen fragt Ingo Zamperoni von den „Tagesthemen“ den Ministerpräsidenten von Sachsen, wer schuld sei, dass es in Deutschland so weit gekommen sei. „Niemand ist schuld“, sagt er, „das Virus ist schuld.“
Ich schaue über den Fernseher hinweg auf die Wand. Genau hinter dieser Wand ist es jetzt, denke ich. Plötzlich ist es wirklich da. Fortsetzung folgt.