Gründe, unter Stress zu geraten, gibt es viele. Wer zum Beispiel in einem Kriegsgebiet mit ständiger Angst lebt, steht unter Stress. Mit erheblichen seelischen Belastungen können aber auch Situationen verbunden sein, die dagegen harmlos erscheinen. Manche Menschen erleben Stress, weil sie mit Angehörigen in Streit geraten, andere, weil sie eine Prüfung ablegen müssen oder im Arbeitsleben vor Herausforderungen stehen. Dass auch die Corona-Pandemie zahlreiche Menschen seelisch beeinträchtigt, hat sich unter anderem bei Befragungen von Eltern gezeigt. Vor allem Alleinerziehende, Eltern mit jüngeren Kindern und Menschen mit niedrigerem Einkommen berichteten von einer starken psychischen Belastung. So unstrittig ist, dass chronischer Stress krank machen kann, so klar ist auch, dass es eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt, Stress erfolgreich zu begegnen. Spaziergänge im Grünen können ebenso dazu gehören wie Entspannungsübungen oder ein Meditationstraining. Wie aktuelle Forschungsarbeiten belegen, lässt sich der Erfolg an der Verringerung der Konzentration des Stresshormons Cortisol im Haar ablesen.
Vorbereitung auf Kampf oder Flucht
Dass Stress auch sein Gutes haben beziehungsweise eine hilfreiche Reaktion auf Reize sein kann, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was in Gefahrensituationen geschieht, beispielsweise bei einer Begegnung mit einem gefährlichen Raubtier in einer einsamen Wildnis. In solchen Fällen bleibt nur die Wahl zwischen Kampf oder Flucht. Um den Körper darauf vorzubereiten, das heißt mobil zu machen, werden Stoffe wie Adrenalin und das verwandte Noradrenalin ausgeschüttet, Hormone des Nebennierenmarks. Hormone veranlassen unter anderem Leberzellen dazu, den Energielieferanten Glukose abzugeben, der von den Muskeln benötigt wird. Der Organismus stellt auf diese Weise sicher, dass die zur Bewältigung der Herausforderungen benötigte Energie zur Verfügung steht. Auch auf das Herz-Kreislauf-System und die Atmung haben die hormonellen Veränderungen Einfluss. Der Puls und das Schlagvolumen des Herzens werden erhöht, die Bronchiolen in den Lungen, die für die Sauerstoffversorgung wichtig sind, geweitet.
Cortisol wird freigesetzt
Zu den Reaktionen auf große Herausforderungen gehört auch die Freisetzung von Cortisol, einem Hormon, das Stoffwechselvorgänge in Gang setzt. Cortisol mobilisiert Energiereserven. Wird hingegen die Ausschüttung von Cortisol gehemmt, verringert dies den Stress. Forscher haben zum Beispiel festgestellt, dass Neugeborene in ihrem emotionalen Erleben vom Stillen und dem Hautkontakt mit der Mutter profitieren, weil dabei Oxytocin freigesetzt wird. Dieses Hormon hemmt die Ausschüttung von Stoffen wie Cortisol.
In einer kürzlich im Fachjournal "Psychosomatic Medicine" veröffentlichten Studie zeigt eine Forschergruppe um Lara Puhlmann vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, dass sich mithilfe eines mentalen Trainings, das heißt geistiger Übungen, wie sie zum Beispiel für die Meditation typisch sind, das Stressniveau messbar verringern lässt. Auskunft darüber, ob ein Mensch anhaltenden psychischen Belastungen ausgesetzt ist, liefert die Cortisolmenge im Haar. Je länger der Stress anhält, desto größer ist die Menge des Hormons, die sich nachweisen lässt. Während eines neunmonatigen mentalen Trainings von Studienteilnehmern maßen die Wissenschaftler alle drei Monate beginnend an der Kopfhaut die Cortisolmenge in den ersten drei Zentimetern der Haare. Nach sechs Monaten war die Menge im Schnitt um 25 Prozent gesunken, um danach, also in den letzten drei Monaten, auf niedrigem Niveau zu verharren. Am Training hatten drei Gruppen mit jeweils etwa 80 Personen teilgenommen. Es bestand aus unterschiedlichen Einheiten, bei denen verschiedene Fähigkeiten geschult wurden, das heißt: Die Schwerpunkte lagen auf der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, auf Mitgefühl und Dankbarkeit oder aber auf Fähigkeiten wie der, die Perspektive anderer zu übernehmen.
"Weltweit gibt es viele Erkrankungen, darunter Depressionen, die direkt oder indirekt mit Langzeitstress zusammenhängen", erläutert Lara Puhlmann. Deshalb gelte es, herauszufinden, wie chronischem Stress begegnet werden könne. Die Studie belege, dass sich mit mentalem Training die allgemeine Stressbelastung verringern lasse. Stress beeinträchtigt nicht nur das Wohlbefinden, sondern wird außer mit Depressionen zum Beispiel auch mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes in Verbindung gebracht.
Grüne Umgebung entspannt
Möglichkeiten, sich zu entspannen und Stress abzubauen, gibt es viele. Während sich der eine mit Vorliebe zurückzieht und Musik hört, erledigt der andere Gartenarbeit, treibt Sport oder macht einen Spaziergang. Dass eine grüne Umgebung helfen kann, Stress zu verringern, ist in den vergangenen Jahren durch verschiedene Studien belegt worden. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass sich sowohl das Betrachten als auch das Erleben von Waldlandschaften positiv auf den Blutdruck, die Herzschlagrate und die Cortisolkonzentration auswirken können. Forschungsarbeiten haben zudem Hinweise auf positive Auswirkungen im Gehirn geliefert, etwa in der Amygdala, dem sogenannten Mandelkernkomplex. Er ist Teil des limbischen Systems, das für die emotionale Bewertung von Situationen zuständig ist und entwicklungsgeschichtlich zu den ältesten Regionen des Gehirns gehört. Eine erhöhte Aktivität der Amygdala kann auf Stress hindeuten. Wie die Untersuchungen von Mandelkernkomplexen nahelegten, schienen Stadtbewohner, die in der Nähe eines Waldgebiets lebten, weniger stark belastet zu sein.
Hilfreiches Miteinander
Dass auch das Miteinander mit anderen zur Verringerung von Stress beitragen kann, hat unter anderem eine Studie gezeigt, die eine Gruppe von Psychologen um Professor Andreas Mojzisch von der Universität Hildesheim vor wenigen Jahren in der Fachzeitschrift „Personality and Social Psychology Bulletin“ veröffentlicht hat. Die Wissenschaftler hatten Daten von Bewerbern für ein Sportstudium ausgewertet, die vor der Aufgabe gestanden hatten, an einem Tag eine Reihe von verschiedenen Tests zu absolvieren. Dafür waren sie in Gruppen eingeteilt worden. Befragungen lieferten Aufschluss über ihr Stressempfinden und darüber, wie stark sie sich mit ihrer Gruppe identifizierten und wie sie die emotionale und praktische Unterstützung durch andere Mitglieder ihrer Gruppe einschätzten. Die Cortisolausschüttung wurde mithilfe von Speichelproben ermittelt. Wie sich zeigte, waren die Bewerber umso weniger gestresst, je stärker sie sich mit ihrer Gruppe identifizierten. Wenn im Tagesverlauf die Identifikation mit der Gruppe zunahm, verringerten sich dementsprechend das Stressempfinden und die Cortisolwerte. Mojzisch zog aus den Ergebnissen diesen Schluss: "Das Ausmaß, in dem wir uns mit Gruppen identifizieren, sei es am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, ist ein Schlüssel für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit."