Man könnte meinen, die Redewendung sei abgegriffen, in der Welt des Verbrechens aber trifft sie wohl häufiger zu, als man glaubt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Das gilt für die Einfalt wie für die Pfiffigkeit von Täterinnen und Tätern genauso wie für Grausamkeit, Sinnlosigkeit, ja, sogar für die Nachvollziehbarkeit manch einer Tat. Und es gilt für sämtliche Umstände, die mit Mord, Raub oder Entführung einhergehen können: die mediale Berichterstattung zum Beispiel oder ungewöhnliche Tatwaffen.
Mit derlei Absurditäten rund um wahre Verbrechen beschäftigen sich die Moderatorin Visa Vie, die eigentlich Charlotte Mellahn heißt, und die Podcasterin Ines Anioli in ihrem neuen True-Crime-Podcast. „Weird Crimes“ (Seltsame Verbrechen) heißt er und löst gleich in der ersten Folge ein, was die genannte Redewendung verspricht. Es geht darin um den ehemaligen Polizisten Michael R., den zwei Bekannte davon überzeugten konnten, dem sogenannten Katzenkönig ein menschliches Opfer bringen zu müssen. Anderenfalls würden Millionen von Menschen von eben diesem getötet werden. Was unglaublich klingt, ist alles andere als frei erfunden, sondern einer der Klassiker im deutschen Strafrecht.
Visa Vie recherchiert, bereitet die Fälle auf und berichtet detailliert von sämtlichen Aspekten der Verbrechen. Ines Anioli hört zu, fragt nach und kommentiert. Dieses Zusammenspiel funktioniert. Einerseits, weil Anioli die Fälle vorher nicht kennt und Entsetzen, Abscheu oder Ungläubigkeit nicht spielen muss. Andererseits, weil beide an passenden Stellen auch eigene Erlebnisse und Erfahrungen einfließen lassen. Als es darum geht, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, dass es einen Katzenkönig gibt, berichtet Anioli aus einer früheren Beziehung und schlägt den Bogen zum Protagonisten des Falls. „Ich kenne es, selber manipuliert zu werden“, sagt sie. Für Außenstehende sei das zwar oft unverständlich, aber „das ging über Jahre, peu à peu. Man hat Sachen nicht mehr hinterfragt, sondern Dinge geglaubt, die eigentlich total absurd sind.“
Empathie, das ist ein Schlagwort, das immer wieder fällt, wenn man mit den beiden über ihren Podcast spricht. Für die Lage der Opfer, für die der Angehörigen. Nur mit den Tätern haben sie kein Mitgefühl, niemals. „Meine Therapeutin hat einmal gesagt: Für das Kind kannst du Mitleid haben, aber nicht für den erwachsenen Mann, der alt genug war, eigene Entscheidungen zu treffen“, erzählt Anioli.
Doch warum beschäftigt sie sich überhaupt mit wahren Verbrechen, wenn doch klar ist, dass deren detaillierte Schilderung immer auch die Gefahr birgt, bei ihr selbst, genauso wie bei Hörerinnen und Hörern, alte Wunden aufzubrechen? „So bescheuert das klingt“, sagt sie, „die True-Crime-Folgen, die mich in der Vergangenheit aus persönlicher Erfahrung am meisten getriggert haben, sind diejenigen, bei denen ich intensiv hingehört und auch mal zurückgespult habe. Ich wollte hören, was dazu gesagt wird, wie sich das alles so entwickeln konnte“, sagt sie.
Warnung vor dem Weiterhören
Trotzdem warnen die beiden bei Folgen oder Sequenzen, die besonders explizit sind, vor dem Weiterhören. Und Themen, die schlicht nicht konsumierbar sind, vermeiden sie gänzlich. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht durchaus brutal zugehen kann. Folge zwei dreht sich um den sogenannten Schachbrettmörder Alexander Pitschuschkin, der 61 Menschen getötet und für jeden Mord ein Feld auf einem Schachbrett markiert hatte, ehe er viel zu spät geschnappt wurde.
Wie seltsam, wie "weird" also, muss ein Verbrechen sein, damit Visa Vie es im Podcast behandelt? „Beim Recherchieren der Fälle bin ich wie eine Profilerin“, erklärt sie. „Irgendwann muss dabei der Punkt kommen, an dem ich denke: Krass, das ist richtig absurd. An dem ich weiß, dass Ines mich mit großen Augen angucken wird.“ Und damit dürfte sie Erfahrung haben. Schon mit elf Jahren war sie selbst ernannter True-Crime-Junkie, in der Schule hielt sie Vorträge über den damals noch nicht gefassten Bremer Serienmörder Martin Ney. „Sein Fall hat meine kindliche Vorstellung von einer heilen Welt erschüttert“, sagt sie heute.
Die Idee zum gemeinsamen Podcast hatte allerdings Anioli. Sie fuhr mit Visa Vie zu einem Camping-Ausflug für ihren Podcast „Me-time“ und wurde davon überrascht, was ihr Gast eingepackt hatte. „Wir wollten auf einen idyllischen Campingplatz nach Brandenburg, und sie hatte eine Waffe dabei, um sich gegen Zeltmörder verteidigen zu können“, erzählt Anioli. Visa Vie nutzte die gemeinsame Fahrt dazu, ihre Freundin aufzuklären, wie viele Camping-Reisen mit ungeklärten Mordfällen geendet sind, was wiederum Anioli dazu brachte ein Podcast-Projekt anzuschieben.
Mittlerweile ist bereits die dritte Folge zu hören, „Die Krypto-Queen“. Weniger blutig, dafür „nachhaltig faszinierend“, wie Anioli sagt. Insgesamt zwölf Folgen haben sie für die erste Staffel geplant. Und Stoff für weitere Folgen gebe es mit Sicherheit genug.