Was wirkt entspannender als ein Sofa-Abend vor der Glotze? Wenn es nach Boris Schmaldienst und Stefanie Rathjen geht, dann ist es der Blick ins Schildkrötengehege. Das Paar hält seit ein paar Jahren Land- und Wasserschildkröten. Am Dorfrand der Ortschaft Lehnstedt in der Gemeinde Hagen im Bremischen haben Boris Schmaldienst und Stefanie Rathjen für sich, die beiden Kinder und die Tiere ein grünes Paradies geschaffen. „Wir haben gefunden, was viele suchen“, blickt der 54-Jährige zufrieden auf das gewonnene Landleben. Auf dem 7500 Quadratmeter großen Grundstück ist Platz genug für Hühner, Enten, Katzen, drei Pferde, Fische, Kaninchen und für die Schildkröten natürlich. „Unsere Kröten“, nennt das Paar sie liebevoll und könnte gar nicht mehr aufhören, von ihnen zu schwärmen.
„Es ist schon sehr faszinierend, dass es Schildkröten in ihrer Lebensform seit über 220 Millionen Jahren gibt, ohne dass sie sich großartig verändert haben“, erzählt Boris Schmaldienst. „Die haben einen ganz minimalistischen Lebensstil und sind sehr genügsam.“ Außerdem, fügt seine Partnerin hinzu, hätten sie beeindruckende Eigenarten. Schildkröten seien richtige Persönlichkeiten. „Sie sind neugierig, aber manchmal auch scheu. Außerdem sind sie verfressen.“ Und wenn sie erst einmal warm sind, sind Schildkröten alles andere als lahme Enten. „Die können ziemlich schnell sein.“ Das wird das Paar bald wieder beobachten.
Im Oktober, wenn es dunkler und kälter wird, vergraben sich Schildkröten zur Winterruhe. „Sie fahren den Stoffwechsel komplett runter“, berichtet Stefanie Rathjen. Aber wenn die Tage ab April länger und wärmer werden, kommen die gepanzerten Kröten wieder zum Vorschein. Mit dem Landleben kann das Paar seinen Schildkröten eine artgerechte Haltung bieten. Schildkröten brauchen Platz, erklärt Stefanie Rathjen. „Sie benötigen eine Landschaft.“ Ein gesichertes Areal, aus dem sie nicht ausbüxen können. Sinnvoll sei ein Frühbeet oder ein Gewächshaus mit Futterpflanzen wie Löwenzahn oder Wegerich oder Brennnesseln. „All das, was man aus dem englischen Rasen rausreißt“, sagt Boris Schmaldienst schmunzelnd. „Bei uns wächst das alles.“

Stefanie Rathjen teilt die Liebe ihres Partners zu den Schildkröten. Im Gewächshaus, so die 36-Jährige, fühlen sich die Tiere besonders wohl.
Mindestens zehn Quadratmeter Platz müsse man jeder Schildkröte einräumen, weiß das Paar. „Sie müssen sich aus dem Weg gehen können“, erklärt Boris Schmaldienst. Sie in einem Terrarium im Wohnzimmer zu halten, sei nicht artgerecht. „Schildkröten leiden darunter, aber man sieht es ihnen nicht an“, mahnt er. Diese Tiere sind zwar sehr genügsam, aber die Kehrseite ist, dass sie einen langen Leidensweg hinnehmen, erklären die beiden Halter. „Manchmal über Jahrzehnte“, sagt Stefanie Rathjen. „Bis es sich am Panzer zeigt.“ Verliere der seine Glätte und werde hügelig, sei das ein Zeichen dafür, dass es dem Tier nicht gut gehe, dass die inneren Organe zu schnell wachsen und der Panzer mit dem Wachstum nicht mitkomme. „Das ist dann oft der Zeitpunkt, wo die Tiere ausgesetzt werden“, sagt die 36-Jährige.
Im Gewächshaus sind die Kröten schon aus der Winterruhe erwacht. Neugierig reckt eine ihren Kopf unter dem Schild hervor. Stefanie Rathjen geht in die Hocke und deutet auf winzigen Nachwuchs – eine Mini-Schildkröte, gerade mal so groß wie eine Zwei-Euro-Münze. Und Boris Schmaldienst zeigt die beiden Dosenschildkröten, die auch auf dem Hof leben. „Sie können sich so in den Panzer zurückziehen, dass sie aussehen wie eine Dose.“ Diese Art sei eine Zwischenform zwischen Land- und Wasserschildkröten, erklärt der Fachmann. „Sie haben in Deutschland Schutzstatus.“ In der freien Natur würden die Kröten schwer überleben. Ihre Eier legen sie kilometerweit vom Wasser entfernt an einem warmen Ort in die Erde. „Die Sonne brütet die Eier dann aus.“ Dass diese das unbeschadet – zum Beispiel auf Ackerflächen – überstehen, sei unwahrscheinlich. Und wenn es doch geschlüpften Nachwuchs gibt, sei er ein gefundenes Fressen für Feinde wie Vögel, Hunde, Katzen oder Waschbären.
Landschildkröten können 100 Jahre alt werden
Wer Schildkröten besitzt, übernimmt Verantwortung. Allein schon wegen des erstaunlichen Alters, das die Tiere erreichen können. Die älteste Schildkröte auf dem Lehnstedter Hof wurde 1960 geboren. „Landschildkröten können um die 100 Jahre alt werden“, erklärt Stefanie Rathjen. Die Sumpfschildkröten ihres Mannes legen nochmal 50 Jahre drauf. Schon das ist faszinierend. Dass die Tiere einen überdauern. Man muss beizeiten überlegen, an wen man sie weitergibt. Drei dieser Wasserschildkröten schweben gemächlich durch das Becken, verschwinden hinter Wasserpflanzen, tauchen bis auf den Grund und dann wieder auf mittlere Wasserhöhe. Man kann das Paar verstehen, wenn es erzählt, dass diese Tiere eine entspannende Wirkung haben. Man blickt durch die Scheibe auf die schwebenden Kröten und wird ganz still. „Wir setzen uns oft im Sommer mit einem Kaffee ans Schildkrötengehege“, erzählt Stefanie Rathjen. „Das ist völliger Stressabbau“, meint Boris Schmaldienst.
Aber im Grunde sei der ganze Hof „ein schöner Ausgleich zum Beruf“. Stefanie Rathjen und Boris Schmaldienst arbeiten bei der Stadt Osterholz-Scharmbeck – er im Bürgerbüro, sie im Jobcenter. „Unser Landleben holt uns vom Sofa runter“, beschreibt Boris Schmaldienst den typischen Feierabend. Auf der Couch chillen steht eher nicht auf dem Programm. „Wir verpassen viel Fernsehen“, sagt Boris Schmaldienst und lacht. Es sieht nicht so aus, als würde er das bedauern.