Hoope. Es ist nicht nur eine typische Handbewegung. Wer seine Erdbeeren selbst pflückt ist auf eine Art ganzheitliches Bewegungskonzept bedacht: bücken oder knien, den Blick schärfen, mit geübten Handbewegungen die Blätter zur Seite schieben. Wenn den Selbstpflücker diese aromatische, süße und beliebte rote Frucht anstrahlt, muss er das Bewegungskonzept noch ein Stück weiter ausdifferenzieren: Kommt die Erdbeere gleich in den Eimer oder Korb? Oder wird sie genascht?
„Zehn in den Mund, eine in den Eimer“, verrät Stefan Köhler aus Osterholz-Scharmbeck seine persönliche Naschquote. Er ist an diesem Sonnabend zusammen mit seiner Frau Barbara, seinen drei Kindern und dem Freund seiner Tochter auf dem Feld des Erdbeerhofs Klaus in Hoope unterwegs. Es ist die letzte Gelegenheit in diesem Jahr, dann ist die Saison für die Selbstpflücker vorbei. Wegen des kühlen April und Mai war die Saison extrem kurz. Landwirt Carsten Klaus spricht von „mittelmäßig“. Die Natur sei zehn bis 14 Tage im Rückstand gewesen. Die verlorene Zeit habe sie aufholen wollen, sodass die Pflanzen praktisch explodiert seien; auch die Erdbeeren. Statt der sonst drei bis vier Pflück-Wochen sei in diesem Jahr nur zwei Wochen Zeit für Selbstpflücker gewesen.
Großer Andrang

Endspurt auf dem Erdbeerfeld: Die Saison in diesem Jahr war kurz, der Andrang entsprechend groß.
Entsprechend groß ist der Andrang gewesen. Vor allem ein Wochenende zuvor sei fast kein Durchkommen mehr gewesen, verrät Michaela Klaus. Im Gegensatz dazu gehe es an diesem Sonnabend entspannt zu. Ob viel oder wenig Kunden, für die Ehefrau von Carsten Klaus macht es gleichermaßen Spaß, am Rande des rund zwei Hektar großen Feldes zu stehen und den Kunden zu verraten, wo noch die besten Früchte zu finden sind: „Sie müssen ganz nach hinten durchgehen.“ Dabei strahlt Michaela Klaus: „Wir haben nur nette Kunden. Bei uns geht es entspannt und familiär zu.“
Einer der netten Menschen auf dem Feld in Hoope ist Irek Manuszewski. Er ist das dritte Mal zum Selbstversorgen in Hoope. Aus seiner Sicht weiß er genau, was er vom Klausschen Angebot hat: süße Früchte, die keines Zuckers bedürfen. Dabei kennt Irek Manuszewski sämtliche Erdbeerfelder in Bremen und umzu. Die Früchte von Klaus seien die besten.
Immer weniger Erzeuger

Irek Manuszewski ist Erdbeerfan, "Profi-Pflücker" und Stammgast auf dem Feld.
Außer dem Angebot in Hoope gibt es in der Region allerdings auch nicht mehr viel. Seniorchefin Waltraud Klaus fallen nur zwei Erzeuger ein: Hildebrandt in Kirchwistedt und Kaemena in Bremen. Felix Koschnick, Leiter Versuchswesen Beeren der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, bestätigt dies: Alleine im Landkreis Osterholz habe es früher vier Erdbeeren-Erzeuger gegeben, heute sei es noch einer. Koschnick ergänzt, dass sich der Trend der Zunahme von Selbstpflückern in dieser Saison nicht fortgesetzt habe. Er vermutet, dass sich die Menschen eher mit der Familie und Freunden zum Grillen treffen als Erdbeeren zu ernten.
Menschen wie Margrit Bruns aus Schwanewede können das nicht verstehen. Sie, ihre Tochter und ihre Enkelin haben sich mit insgesamt neuneinhalb Kilogramm Früchten eingedeckt. Dies gehöre für sie einfach zum Jahreslauf, sagt Margrit Bruns strahlend: „Wir kommen schon Jahrzehnte hierher, sind schön gesund geblieben, fit und gut genährt. Ihre Tochter und die Enkelin nicken zustimmend. Erdbeeren zu pflücken sei eben eine Generationenfrage. Diese setzt sich nach dem Pflückerlebnis fort, denn danach kommt die große Familie von Margrit Bruns traditionell zusammen, um gemeinsam Erdbeertorte zu backen.
Volle Eimer

Alexander und Karina Schartner aus Blumenthal fahren jedes Jahr mit der ganzen Familie zum Erdbeeren-Selbstpflücken.
Während Enkelin, Tochter und Oma ihre vollen Eimer in Omas Auto verstauen, sind Karina und Alexander Schartner aus Blumenthal noch mittendrin im Früchteerlebnis. Wer auf sie zukommt und das Geschehen beobachtet, muss unwillkürlich schmunzeln. Karina und Alexander Schartner liefern sich so etwas wie einen nicht ganz so ernst gemeinten sportlichen Wettkampf mit Freunden: Wer pflückt die meisten Erdbeeren? Der Ausgang ist natürlich zweitrangig, alle lachen.
Er selbst pflücke seit seiner Kindheit Erdbeeren, erzählt Alexander Schartner. Ihm sei es wichtig, das Wissen an seine Kinder weiterzugeben. Sie sollten erfahren, was es bedeutet, bis Erdbeeren und Co. bequem im Supermarkt zu kaufen sind beziehungsweise woher unsere Lebensmittel überhaupt kommen. „Man muss sich dafür auch bücken“, bringt es Scharnter auf den Punkt, während sich eine seiner beiden Töchter mit einem verschmitzten Lächeln eine Frucht in den Mund schiebt.
Tagesrekord: 9,8 Kilo

Waltraud Klaus ist eine echte Expertin, wenn es um das Pflücken von Erdbeeren geht.
In diesem Moment bahnt sich an der Kasse bei Seniorchefin Waltraud Klaus und ihrer Schwiegertochter Michaela der Tagesrekord an. Den stellt Clara Lebküchler aus Loxstedt auf. 9,8 Kilogramm Erdbeeren hat sie in ihrer großen Edelstahlschale innerhalb von einer Stunde gesammelt. „Ich komme jedes Jahr“, sagt sie, „ich mache aus den Erdbeeren Marmelade. Das ist sinnvoller als einzukaufen.“
Doch die Umstände sind in diesem Jahr ganz besondere für die Rekordpflückerin: Clara Lebküchler ist hochschwanger. Das macht das Bücken und Pflücken naturgemäß zu einer Herausforderung. „Wann ist es denn soweit?“, fragt Michaela Klaus. „Es ist für Anfang September geplant“, antwortet Clara Lebküchler. Währenddessen zückt Michaela Klaus ihre Smartphone: „Darf ich Sie für unsere Facebook-Seite fotografieren?“ Hochschwanger einen Erdbeerpflück-Rekord aufzustellen, das schreit für sie einfach nach einem Foto. Clara Lebküchler hat nichts dagegen.