Seit der Wolf seinen Weg zurück nach Deutschland gefunden hat, löst die Frage nach dem Umgang mit ihm regelmäßig hitzige und emotionsgeladene Debatten aus. Von „Der Wolf gehört hier nicht her“ über „Es muss eine Obergrenze geben, ab der er bejagt werden darf“ und „Problem-Wölfe müssen ,entnommen' werden“ bis hin zur Forderung nach absolutem Schutz des Wildtiers reicht das Meinungsspektrum. Selbst verschiedene Ministerien sind sich beim Wolf uneins: So findet es das von Olaf Lies (SPD) geführte Niedersächsische Umweltministerium an der Zeit, eine Fachdebatte über die Ermittlung und Einführung einer Obergrenze zu führen, um die Population zu begrenzen. Während es aus dem Bundesministerium für Umwelt mit Leiterin Svenja Schulze (SPD) heißt: „Die Jagd auf Wölfe vermeidet keine Schäden bei Nutztieren!“
Der Meinungsriss geht durchs ganze Land. Im Landkreis Cuxhaven zieht er sich nun bis in die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) hinein: Sönke Hofmann hat die GEH-Mitgliedschaft des Schullandheims Dreptefarm (Wulsbüttel) gekündigt. Der von ihm geleitete Verein „Dreptefarm“ hält zehn alte Haustierrassen und ist gut 18 Jahre lang Mitglied gewesen. Ein Zeitungsartikel, in dem der Leiter der GEH-Regionalgruppe Elbe-Weser-Dreieck, Wolfgang M. Schüßler, Stellung zum Wolf bezieht, hat Hofmann jedoch umdenken lassen.
Kritik an „Stimmungsmache“
„Wolfgang Schüßler ist sehr rührig und engagiert, aber er vertritt eine sehr wolfsfeindliche Haltung“, so Hofmann. Er spreche unreflektiert und populistisch, und das nicht zum ersten Mal. Für Schüßler scheine es allein um die Nachzucht der alten Rassen zu gehen. Die übrigen Ziele der GEH – wie die Betreibung einer anderen Form von Landwirtschaft und der Erhalt der Biodiversität – gingen dabei verloren. Hofmann kritisiert, dass Schüßler seine Meinung als GEH-Sprecher verbreite und damit Stimmungsmache betreibe. Mit dieser GEH könne er sich nicht mehr identifizieren.
In der umstrittenen Pressemitteilung und im Gespräch mit der Redaktion behauptet Schüßler, dass die Meldungen von Wolfsrissen „wieder erschreckend zunehmen“ würden. Demnach überwinde der Wolf „stark gesicherte Weiden“ und reiße Nutztiere in der Nähe von Gebäuden und Orten. Vor allem für Hobbyhalter sei der Anblick gerissener und verletzter Tiere unerträglich: „Das Gefühl zu haben, dass das Leiden dieser Tiere für manche unerheblich ist, ist erschreckend“, schreibt der GEH-Sprecher.
Der Redaktion teilt er mit: „Zu glauben, dass es wolfssichere Zäune gibt, ist ausgesprochen naiv.“ Selbst unter Strom stehende Zäune von 1,40 Meter Höhe seien kein Problem für das Wildtier. Dass Zäune möglicherweise falsch geerdet gewesen seien und Wölfe sie deshalb überwinden konnten, weist er zurück: „Der Schäfer hat ein Interesse daran, dass seinen Tieren nichts passiert.“
Zugleich räumt er ein: Wie in jedem Beruf könnten auch bei der Weidetierhaltung Fehler passieren und Schwarze Schafe gebe es überall. Doch es gebe auch Böden, die einfach zu sandig oder zu moorig seien, um Elektroschutzzäunen festen Stand zu bieten. Andere Flächen seien so uneben oder durchwurzelt, dass sie für diese Zäune ungeeignet seien. Und an Deichen müssten die Zäune bis an die Wasserkante aufgestellt werden, behauptet er. Das funktioniere wegen der Gezeiten nicht.
Diese Ansicht vertritt offensichtlich auch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Im aktuellen Entwurf zur neuen Wolfsverordnung soll Weidertierhaltern nicht mehr pauschal empfohlen werden, Elektroschutzzäune in Höhe von 1,20 Meter zu errichten. Am Deich oder in der Lüneburger Heide seien die hohen Zäune weder geeignet noch zumutbar, wird Lies von einigen Medien zitiert.
Zur Zumutbarkeit erklärt Schüßler, die Auflagen der Behörden bedeuteten viel Aufwand und Kosten. Täglich müssten die Halter die Schutzzäune kontrollieren und sicherstellen, dass sie funktionierten. Auch würden Zäune vor Ablauf der Förderperiode mitunter durch andere Tiere wie Rehe beschädigt. Für eine Neuanschaffung gebe es dann aber kein Geld. Und wenn ein Wolf in eine Herde seltener Haustierrassen gehe, sei der Schaden höher als bei einer herkömmlichen Herde. „Der Schutz einer Spezies darf nicht zum Verlust von 30 anderen Rassen führen, denn einige dieser Rassen sind in ihrem Bestand extrem gefährdet“, so Schüßler.
Er fordert daher: „Wenn unsere kleinen Herden durch den Wolf gefährdet werden, muss eine Entnahme möglich sein.“ Die Festlegung einer Obergrenze, samt der daraus folgenden Bejagung des Wolfs, sei notwendig. „Es werden schließlich auch andere Tiere wie Rehe und Wildschweine reduziert.“ Aber: „Es muss einen sauberen, sachlichen Grund geben, einen Wolf zu schießen.“ Eine Lösung ohne Bejagung - und nur durch staatliche Gelder für die Halter - ist für ihn keine Option.
"Ja, der Wolf macht Ärger und Arbeit", bestätigt Dreptefarm-Leiter Sönke Hofmann. Daher würde er es befürworten, wenn die Weidetierhalter eine Erschwerniszulage erhielten: "Wenn wir Schafe auf Weiden haben wollen, dann muss es einen Erschwernisausgleich geben." Anders als Schüßler ist Hofmann aber von Elektroschutzzäunen überzeugt. "Die Aussage, dass es keine wolfssicheren Zäune gäbe, ist nachweislich falsch“, behauptet er. Seien sie korrekt geerdet, bekomme der Wolf, wenn er am Zaun schnuppert, "einen gewischt". Passiere das dem Tier auch beim zweiten Mal, halte es sich von den Zäunen fern.
Gesellschaft soll sich gewöhnen
Hofmann ist allerdings auch überzeugt, dass es „arrogante Tierhalter“ gebe, die den Schutz ihrer Tiere vernachlässigten, um durch so provozierte Risse den Wolf ein für allemal loszuwerden. „Wenn die Zäune nicht richtig geerdet sind oder der Wolf entdeckt, dass er sich darunter hindurchwühlen kann, und er merkt, dass die Tiere in dieser Einzäunung gut schmecken, dann haben wir ein Problem“, so Hofmann, der zugleich Geschäftsführer des Naturschutzbunds (Nabu) in Bremen ist: „Wer nicht wolfssicher zäunt, füttert die Beutegreifer geradezu an und verschärft das Problem.“ Naturschützer forderten daher, dass Weidetierhalter, die ihre Tiere nicht richtig schützen, keine Entschädigung bekommen.
Als „Quatsch“ bezeichnet der Leiter der Dreptefarm die jüngst neu aufgeflammte Debatte über wolfsfreie Zonen. „Das ist absoluter Populismus.“ Auch die von Wolfgang Schüßler aufgestellte Behauptung, Schäfer würden wegen des höheren Aufwands durch die Schutzauflagen ihre Herden aufgeben, lässt Sönke Hofmann nicht gelten. Nicht wegen des Wolfs gäben die Weidetierhalter auf, sondern weil sie auf dem Weltmarkt für ihre Tiere nichts mehr bekämen.
„Man kann über den Wolf diskutieren“, räumt Hofmann ein. „Aber die Lösung kann nicht sein, dass alle Wölfe abgeschossen werden.“ Niemand garantiere, dass bei der Entnahme eines Einzeltiers neben dem „Problem-Wolf“ nicht auch mehrere andere Wölfe geschossen werden. „Davor habe ich Angst“, sagt Hofmann. Die Gesellschaft müsse sich an die Wölfe gewöhnen: „Der Wolf gehört in unsere Landschaft.“ Und angesichts der Rolle des Wolfs als Jäger von Schalenwild wolle er ihn auch nicht mehr missen.
„Es ist okay, ein Problem aufzuzeigen“, versichert Sönke Hofmann. „Aber es geht nicht, eine Tierart gegen die andere auszuspielen; wer das versucht, kann von uns keine Unterstützung erwarten“, so der Dreptefarm-Vorsitzende. Denn was die alten Haustierrassen betreffe, so sei nicht der Wolf das Problem, sondern der Mensch und sein Konsumverhalten. „Niemand“, so Hofmann, „will den Preis bezahlen, den die Halter für ein solches Tier nehmen müssen.“