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Das Porträt Der Lebensweg eines Hütejungen

Dass Herbert Brückner, der Hütejunge vom Dorf, einmal Bremer Umweltsenator werden würde, hatte wohl niemand geahnt. Er selbst am wenigsten. In einer Autobiografie erzählt der gebürtige Schwarmer sein Leben.
24.07.2022, 15:51 Uhr
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Der Lebensweg eines Hütejungen
Von Ivonne Wolfgramm

Schwarme. "Schon beim Kühehüten interessierte mich alles, was wächst, läuft, kriecht und fliegt", sagt Herbert Brückner über seine Kindheit. So lässt es sich vielleicht erklären, dass der gebürtige Schwarmer 1975 für zwölf Jahre Umweltsenator der Hansestadt Bremen war. Jüngst hat der 83-Jährige nun seine Biografie veröffentlicht, die einen umfangreichen Blick auf sein Leben und sein Lebenswerk bietet.

"Die Idee, meine Biografie niederzuschreiben, hatte ich schon lange", sagt Brückner. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer im Dachgeschoss eines alten Bauernhauses, erbaut im Jahr 1703, das am Rande von Schwarme liegt. Bis zur Decke reichen die scheinbar endlosen Meter an Bücherregalen. Ebenso endlos wirkt die Menge an Literatur, die dort gesammelt steht. Seine Worte wählt der ehemalige Senator bedächtig. "In der Politik hatte man mich oft falsch eingeschätzt", erinnert er sich. "Mit diesem Buch wollte ich klarmachen, wer ich wirklich bin."

Mehrere Jahre hat es gedauert, bis er seine Biografie veröffentlichen konnte. Andere Buchprojekte und Krankheit kamen dazwischen. Der Titel seines Lebenswerks: "Vom Hütejungen zum Bremer Senator". Sämtliche Unterlagen und Bilder, die im Laufe seines Lebens entstanden und angefallen sind, hat Herbert Brückner aufbewahrt. Die Menge an Dokumenten ist beachtlich. Er erhebt sich von seinem Stuhl, geht zwei Meter nach rechts und öffnet eine Aktenschublade. Darin: unzählige Seiten Papier, die einen Teil seiner Vita nachzeichnen. Einen weiteren Teil seiner Erlebnisse hat Brückner seit 1963 akribisch in Kalendarien festgehalten, Tagebücher führte er nicht. "Der Rest sind Erinnerungen", sagt er. Natürlich habe er diese überprüft und mit anderen Quellen abgeglichen, soweit es möglich war. "Mit dem Alter erinnert man sich nur an die guten Sachen. Ich habe aber auch vieles erlebt, was nicht so schön war."

Es war sehr eng, Licht gab es keins. Strom haben wir erst 1947 bekommen.

Seine Kindheit ist ihm als "beschwerlich" im Gedächtnis geblieben. Geboren wurde Herbert Brückner am 8. Oktober 1938 in Schwarme. Die Hebamme, genannt Kösters Mudder aus Martfeld, sei auf die letzte Minute gekommen, weiß er aus den Erzählungen seiner Mutter. Er war das dritte Kind seiner Eltern. Gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern, seinen Eltern und der Großmutter mütterlicherseits verbrachte Brückner seine Kindheit in einem Häuslingshaus. "Mit drei Kindern lagen wir in einem Bett. Es war sehr eng, Licht gab es keins. Strom haben wir erst 1947 bekommen." Am Anfang seien sie noch Häuslinge gewesen. Boten dem Bauern ihre Arbeitskraft im Gegenzug für eine Unterkunft. "Wir hatten auch ein bis zwei Kühe, aber keine Wiese. Deshalb mussten wir Kinder die Tiere Jahr für Jahr durch den Ort ziehen und sie am Wegesrand weiden lassen", erzählt Brückner. "Daher stammt auch der Begriff Hütejunge. Es war eine schwere Zeit. Während andere Fußball spielten, musste ich meiner Pflicht nachgehen."

Zu seinen Kindheitserinnerungen gehören unweigerlich auch die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs: sein Vater, der in Norwegen Kriegsgefangener war oder seine Einschulung im Herbst des Jahres 1944. "An manchen Tagen waren wir kaum eine Stunde in der Schule, weil die Flugzeuge der Engländer bei den Angriffen aus Bremen im An- und Abflug meist eine große Schleife flogen und dabei auch über Schwarme kreisten", schreibt Brückner in seiner Biografie. Auch über die Erlebnisse mit den englischen Soldaten, die sich nach Kriegsende für einige Zeit einquartierten, berichtet er.

Seine kaufmännische Ausbildung im Kontor Röwer und Co. in Blender, die Herbert Brückner dank des Dorfschlachters erhielt, sowie die Besuche in der Städtischen Berufsschule in Verden waren prägende Stationen in seiner Jugendzeit, ebenso wie das ehrenamtliche Engagement im evangelischen Jugendkreis des CVJM (Christlicher Verein junger Menschen) in Schwarme. Besonders im Gedächtnis geblieben ist dem 83-Jährigen der 15. Oktober 1957. Der Tag, an dem er seine wenigen Habseligkeiten packte, sich auf sein Fahrrad setzte und den Weg nach Hannover antrat. Dort begann er seine Ausbildung zum Diakon. "Die Jugendarbeit war mir immer ein wichtiges Anliegen", sagt er. Und die wollte er als Diakon weiterführen.

Viel Auswahl gab es damals nicht. Es war einfach selbstverständlich.

Auch diese Lebensjahre des Herbert Brückners waren von einigen Herausforderungen gekennzeichnet. Doch am Ende, im Jahr 1963, führte sein Weg ihn wieder ein Stück näher in Richtung Heimat – als Jugend- und Gemeindediakon in der Neuen Vahr in Bremen. Er bezog dort mit seiner Freundin und späteren Ehefrau Elke ein Häuschen an der Paul-Singer-Straße, sie gründeten eine Familie. Zudem war es die Zeit, in der er in die SPD eintrat. Während Brückner davon erzählt, öffnet er eine Schreibtischschublade und zieht sein Original-Parteibuch daraus hervor. "Am 1. Februar 1964 bin ich in die SPD eingetreten." Auf die Fragen, wieso ausgerechnet die Sozialdemokraten, antwortet er: "Viel Auswahl gab es damals nicht. Es war einfach selbstverständlich."

Mit dem Eintritt in die Arbeiterpartei nahm sein Leben eine weitere Wendung, die der ehemalige Hütejunge vom Lande nicht für möglich gehalten hätte. So beschäftigt sich ein Großteil seiner Autobiografie mit seinem politischen Schaffen: Seine Aktivitäten in der Bremischen Bürgerschaft und im SPD-Ortsverein Neue Vahr sowie schließlich die Senatswahl im Jahr 1975, aus der Herbert Brückner als Senator für Umweltschutz und Gesundheit hervorging – und es für zwölf Jahre blieb. "Der erste Empfang des Senatspräsidenten Hans Koschnick nach der Wahl hat mich sehr bewegt", erinnert er sich. Direkt nach seiner Wahl zum Senator nahm er die Arbeit auf. Sein Organisationstalent, das er sich während seiner Ausbildung in Blender angeeignet hatte, sei ihm dabei sehr zugutegekommen, sagt Brückner. Eine Anekdote aus den Anfangszeiten hat er noch parat: "Damals hatte ich einen eigenen Fahrer bekommen. Ich wollte das erst nicht, ich musste mich daran gewöhnen."

Der erste Empfang des Senatspräsidenten Hans Koschnick nach der Wahl hat mich sehr bewegt.

Nach seiner Amtszeit ging es in Sachen Umwelt für den gebürtigen Schwarmer weiter. Auch über diesen Lebensabschnitt schreibt er ausführlich in seiner Biografie. So war er lange Jahre ehrenamtlich als Umweltberater der Kirchen aktiv. Bis 2008 war Brückner zudem Präsident der Naturfreunde International. Dieses Amt führte ihn auch nach Senegal. Aus dieser Zeit ist der ehemalige Senator auf ein Projekt ganz besonders stolz: "Wir konnten ein Naturfreundehaus im Senegal – für den ersten Mitgliedsverband in Afrika – errichten. Das war auch sehr bewegend."

Heute lässt es Herbert Brückner wesentlich ruhiger angehen. Mit seiner Frau Elke pendelt er immer mal wieder zwischen dem Erstwohnsitz in Bremen und dem historischen Fachwerk-Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert in Schwarme, seinem Zweitwohnsitz. Fühlt sich Brückner mehr als Bremer oder doch als Schwarmer? Die Antwort fällt ihm nicht ganz leicht, er nimmt sich einen Augenblick Zeit, bevor er antwortet: "Ich bin eher ein Bremer. Das heutige Schwarme hat mit dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, nur noch wenig zu tun."

Info

Herbert Brückners Autobiografie "Vom Hütejungen zum Bremer Senator" ist dieses Jahr im Kellner Verlag erschienen und kostet 18,90 Euro. Das Werk umfasst 250 Seiten, die durch historische Bilder und Dokumente ergänzt werden.

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