Stuhr-Heiligenrode. In einem frischen Weiß erstrahlen die Wände der Heiligenroder Künstlerstätte im ehemaligen Müllerwohnhaus. Auch der Boden riecht noch frisch. An den Wänden hängen die Bilder des aktuellen Stipendiaten Christian Retschlag. Alles ist fein gemacht, passend zum 30-jährigen Bestehen der Künstlerstätte, das am Dienstag, 10. September, gefeiert werden soll.
Vor Ort begann alles Ende der 1970er-Jahre. Damals erwarb die Gemeinde Stuhr das Gebäudeensemble um die historische Wassermühle in Heiligenrode. Die Gebäude sollten restauriert werden und der Nachwelt erhalten bleiben. Vor allem sollten sie aber genutzt werden, von den Heiligenrodern selbst, aber auch für die Kulturarbeit. Über die genaue Nutzung debattierte die Politik, erinnert sich Edgar Wöltje, der von 1984 bis 2015 Kulturbeauftragter in Stuhr war. „Die Gebäude sollten mit Leben gefüllt werden“, berichtet er. In einem Konzept schlug Wöltje im Jahr 1985 vor, aus dem Müllerwohnhaus eine Künstlerstätte zu machen, und diese für den künstlerischen Nachwuchs zu öffnen.
Gemeinsam wurde der Künstlerhof Schreyahn im Wendland besucht. Dort wurde bereits im Jahr 1981 ein ähnliches Konzept einer Künstlerstätte für Stipendiaten umgesetzt. „Es war ganz wichtig, das mit dem Land zu machen“, berichtet Wöltje über eine Förderung durch das Land Niedersachsen. Auch die Politik und der damalige Stuhrer Gemeindedirektor Hermann Rendigs unterstützten das Vorhaben, wie Wöltje sich erinnert. „Die Parteien waren relativ offen“, sagt er.
Nach der Restaurierung der Räume war es dann bald soweit: Im Juli 1989 konnte mit dem Maler Hermann Sommerhage der erste Stipendiat in Heiligenrode einziehen. „Wir waren damals die fünfte Stipendiatenstätte in Niedersachsen“, sagt Wöltje. Heute gebe es von den ursprünglichen nur noch zwei, insgesamt vier. Heiligenrode sei der einzige, kommunalgetragene Ort, so Wöltje.
„Das Malatelier war damals noch in der kleinen Müllerstube“, berichtet Wöltje aus den Anfängen. Das alte Müllerwohnhaus gegenüber wurde noch renoviert. Eigentlich sollte das Atelier in der Wassermühle entstehen, aber der künstlerische Beirat hielt die Räume für zu klein, so der ehemalige Kulturbeauftragte. Gerade die Maler arbeiteten damals in „anderen Dimensionen“.
Das Stipendium sei anfangs noch für Maler- und Bildhauer und für zwölf Monate ausgeschrieben gewesen, so Wöltje. Der künstlerische Beirat mit Vertretern von Hochschulen und Museen traf und trifft die Entscheidung über die Vergabe. „Es wurde immer die Avantgarde ausgewählt. Wir waren immer en vogue“, sagt Wöltje. Und auch seine Nachfolgerin Marjet Melzer-Ahrnken bestätigt das: „Die Kunst ist nie gefällig.“
Rund 50 Bewerber interessieren sich jährlich für das Stipendium, das mittlerweile auf zehn Monate ausgelegt und mit 1400 Euro plus Unterkunft, Materialkostenzulage und Sponsoring für den Katalog zur Ausstellung dotiert ist. „Die Resonanz ist groß“, sagt Melzer-Ahrnken. Parallel residieren immer zwei Stipendiaten vor Ort. Auch sind jetzt alle bildenden Künstler zugelassen. „Es geht immer mehr in Richtung Konzeptkunst“, kann sie berichten. Das führe oft auch zu einer gewissen „Distanz“ zu den Künstlern, hat Wöltje beobachtet.
Inklusive Christian Retschlag, der aktuell in Heiligenrode zu Gast ist und gerade ausstellt, waren 52 Stipendiaten in der Künstlerstätte. „Es war immer eine sehr intensive Betreuung“, erinnert sich Wöltje, der bei Stipendiat Nummer 40 seinen Posten als Kulturbeauftragter verließ. Oftmals brauchten die Künstler, die frisch von der Hochschule kamen, am Anfang vielerlei Hilfe. „Jeder Künstler hat eine eigene Arbeitsweise“, sagt er. So gab es einen Bildhauer, der an seinen Holzskulpturen auf der Mühlenwiese arbeitete – durch den Lärm nicht immer zur Freude der Nachbarn, wie sich Wöltje schmunzelnd erinnert. Bei manchen Stipendiaten mussten die Gemeindemitarbeiter auch als „Lebenströster“ fungieren. Es sei nicht so einfach, „wenn man aus dem Schmelztiegel auf das Land kommt“, weiß Wöltje. „Einer kam damit nicht zurecht“, erinnert er sich. Andere wiederum kamen sogar mit ihrem Kind nach Heiligenrode und schlossen Freundschaften.
Und die Stipendiaten haben auch ihre Spuren in der Gemeinde hinterlassen. So stammen zum Beispiel die Figuren im Heiligenroder Mühlenteich oder das Stempelkreuz vor dem Stuhrer Rathaus aus den Händen von Stipendiaten. Insgesamt 36 Kunstwerke von 36 Stipendiaten nennt die Gemeinde ihr Eigen, so Melzer-Ahrnken.
Zum 30-jährigen Bestehen der Künstlerstätte soll ein Teil am nächsten Dienstag im Rathaus bei einer offiziellen Feierstunde für geladene Gäste zu sehen sein. Marjet Melzer-Arhnken hat extra eine Festschrift zum runden Geburtstag verfasst. Darin werden die Lebenswege von 41 Stipendiaten nach ihrem Aufenthalt in Heiligenrode porträtiert. „Das war richtige Privatdetektivarbeit“, erzählt Melzer-Ahrnken. „Das spannendste war, wie sich die Wege entwickelt haben“, sagt sie. Ein Großteil könne heute von der Kunst leben, hat sie herausgefunden. „Stuhr ist ein guter Weg, um weiter zu kommen“, freut sich auch Wöltje über den Erfolg der Künstlerstätte.