Damit gerechnet hatten sie überhaupt nicht, niemals. Aber sie freuen sich so sehr: "Darüber, dass wir überhaupt gesehen werden. Das ist eine Anerkennung", sagen Birgit Sündermann und Kati Meißner. Das Team erhält den Kulturpreis des Landkreises Diepholz für die inklusive Trommelgruppe Unikat, die sie sei Oktober 2021 leiten.
Begonnen hatte alles "im zweiten Corona-Jahr, im Oktober 2021", erinnert sich Kati Meißner. Die 52-jährige gelernte Altenpflegerin arbeitet seit zehn Jahren im Wohnheim der Lebenshilfe in Weyhe. "Das ist mein zweites Zuhause", sagt sie. Und dort herrschten im Sommer 2021, nach vielen Monaten der Beschränkungen aufgrund der Pandemie, beklemmende Zustände. "Die Bewohner durften ja nirgendwo mehr hin", sagt Meißner. Manchen von ihnen schlug die Isolation so aufs Gemüt, dass sie nur noch auf dem Sofa saßen. Einige entwickelten deswegen Bluthochdruck, manche wurden sogar aggressiv.
"Wir mussten irgendwas tun", erinnert sich auch Birgit Sündermann. Die 57-Jährige arbeitet halbtags im Sportverein TSV Blau-Weiß Melchiorshausen. "Sie hatte die Halle, ich die Leute", sagt Meißner lachend, die auch Integrationsbeauftragte des Vereins ist. Also schlossen sich beide zusammen und riefen eine inklusive Trommelgruppe ins Leben. Sündermann hatte dazu bereits eine Instruktor-Ausbildung für Drums Alive. Das ist ein Trommel-Fitnessprogramm für jedes Alter, ein Ganzkörper-Workout, das sowohl für Kinder wie auch Erwachsene oder Senioren geeignet ist – sogar für Kinder mit ADHS, Erwachsene mit Handicap und Patienten mit Parkinson, Alzheimer, oder nach einem Schlaganfall. Klassische Aerobic-Schritte werden mit einem pulsierenden Trommelrhythmus verbunden, was Körper und Geist gleichermaßen trainiert. Die Durchblutung und die Sensomotorik werden gefördert, Stress und Aggressionen können abgebaut werden.
Rhythmusgefühl und Ausdauer werden trainiert
Doch der Plan, der auf Papier gut aussah, funktionierte nicht. Die Konzepte von Drums Alive, die es für Kinder (als "Kids Beats"), für Senioren ("Golden Beats") und auch für Show-Auftritte ("Show Beats") gibt, klappten mit den Menschen mit Behinderung nicht. "Wir mussten einfach was Neues machen", sagt Sündermann. Getrommelt wird auf großen Gymnastikbällen, Durchmesser: 65 Zentimeter. Die ersten Exemplare waren rot, die neuen sind giftgrün und etwas kleiner. Die Roten gingen nach und nach kaputt – "bei jedem Auftritt mindestens einer", so Meißner –, weil das Material etwas dünner ist und einiges aushalten muss. Denn auf ihnen wird mit Sticks getrommelt. Rhythmusgefühl und Ausdauer werden so gleichzeitig trainiert, und die Teilnehmer können sich auspowern. "Beim ersten Training nach vier Wochen Weihnachtspause haben alle so richtig losgelegt", sagt Kati Meißner.
Mit acht Leuten angefangen, kamen nach kurzer Zeit schon über 30 dazu. Die Bewohner der Wohnheime in Bassum und Weyhe werden zu den Proben gebracht und später wieder abgeholt. Die meisten seien von Anfang an dabei, nur einige wenige krankheitsbedingte Ausfälle habe es gegeben. Es gebe so viele Nachfragen, dass Meißner und Sündermann dabei sind, eine zweite Gruppe zu organisieren. Die könnte ihre Trainingszeit vor der jetzigen Gruppe haben: freitags nachmittags im Sport- und Gesundheitszentrum in Melchiorshausen.
Inklusion steht im Vordergrund
Bei Unikat steht die Inklusion im Vordergrund. Es gibt weniger aerobische Elemente, aber für die Auftritte üben Sündermann und Meißner mit den Mitgliedern durchaus verschiedene Choreografien ein. Sie benutzen Sticks mit bunten Bändern dran, und die Trommler tragen einheitliche T-Shirts. "Das Wir-Gefühlt ist wichtig", sagt Meißner. "Wir sind alle gleich, das müssen wir nach außen zeigen."
Nach und nach haben die beiden gemerkt, was alles benötigt wird für die Auftritte. Aus einer kleinen ist dank eines Sponsors eine größere Musikanlage geworden. In einem speziellen Anhänger mit Aufstiegsrampe werden die Bälle transportiert. Mit Auf- und Abbau rechnen sie pro Auftritt vier Stunden. "Uns macht es beiden Spaß", sind sie sich einig. "Sonst ginge das alles auch gar nicht." Denn die öffentlichen Auftritte – zuletzt beim Freimarktsumzug in Bremen – seien wichtig. "Alle sind nach den Auftritten immer total stolz", weiß Sündermann.
Kati Meißner arbeitet Vollzeit im Wohnheim. Sie hat zwei Kinder und jede Menge Tiere: Pferde, Ziegen, Hühner, Minischweine. "Wenn ich so zwischen den Tieren bin, geht es mir gut", sagt sie. "Mehr brauche ich nicht." Birgit Sündermann, Mutter von vier Kindern, leitet im Verein noch zwei Drum-Bata-Gruppen. Dieses Ganzkörpertraining setzt sich zusammen aus Drums Alive und Tabata, einem hochintensiven Intervalltraining. Außerdem liebt sie es, mit ihrem Camper wegzufahren. Oder mit dem Motorrad. Auf jeden Fall am liebsten ans Meer.
Der Anerkennungspreis, den das Team von Unikat entgegennehmen wird, ist mit 2500 Euro dotiert. Was sie mit dem Preisgeld machen wollen, wissen Sündermann und Meißner schon ganz genau: "Wir sammeln für einen Büro-Container." Denn die Unterlagen, die mittlerweile zu ihrem Herzensprojekt gehören, nehmen immer mehr Raum ein. Und damit nicht alles in ihren Haushalten und teilweise eben auch in den Vereinsräumen "herumfliegt", wünschen sie sich einen eigenen Büroplatz. Mit dem Verein und der Gemeinde sei bereits abgesprochen, wo der Container stehen darf.