Während sein Verteidiger die schriftliche Einlassung verlas, die der Dolmetscher simultan übertrug, kämpfte der Angeklagte wieder mit den Tränen. Der 55-jährige Rumäne muss sich vor dem Landgericht Verden wegen versuchten Totschlags verantworten. Er hat jetzt aber bestritten, am 16. April dieses Jahres auf der Dreyer Straße in Weyhe in einem Auto gezielt auf seine Tochter und deren Freund zugesteuert zu sein, um beide zu überfahren. Es sei ihm nur darum gegangen, sie aufzuhalten und nach einem Streit den Familienfrieden wiederherzustellen. Er sei betrunken gewesen und habe die Kontrolle über das Fahrzeug verloren.
Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hat der Mann den Rover, wie berichtet, nach Beschleunigung auf etwa 45 bis 55 Stundenkilometer „absichtlich scharf nach rechts“ gelenkt und ist dann auf die 16-Jährige und deren ein Jahr älteren Freund absichtlich zugefahren. Die Tochter sei von dem Wagen erfasst worden und habe sich „potenziell lebensgefährliche“ Verletzungen zugezogen. Dem Begleiter sei es in letzter Sekunde gelungen, sich durch einen Sprung hinter einen Baum zu retten. Die Schwurgerichtskammer hatte zum Prozessauftakt den rechtlichen Hinweis erteilt, wonach auch „hinreichend konkrete Anhaltspunkte“ für versuchten heimtückischen Mord vorlägen.
Der Angeklagte hat indes beteuert, er habe nicht einmal in Verletzungsabsicht gehandelt. Es sei ihm ausschließlich darauf angekommen, „beide zu stoppen“. Er habe das Auto vor ihnen zum Halten bringen wollen, habe aufgrund seiner Alkoholisierung aber wohl Gas, Kupplung und Bremse nicht beherrscht, die Kontrolle über die Geschwindigkeit und schließlich auch über das Fahrzeug verloren. Der Wagen war nach den Ermittlungen gegen einen Baum geprallt, hatte sich überschlagen und war auf dem Dach liegen geblieben. Er wolle sich „noch einmal ausdrücklich dafür entschuldigen“, dass er betrunken ins Auto gestiegen sei – und für das, was dadurch ausgelöst worden sei“, hieß es am Ende der Erklärung.
Einleitend war die angebliche Auseinandersetzung dargestellt worden, die an jenem Sonntagnachmittag dazu geführt haben soll, dass die Tochter und ihr Freund die Wohnung in Weyhe verließen. Der Vater von insgesamt elf Kindern hat demnach angegeben, die in Rumänien lebende 16-Jährige sei Mitte März nach Deutschland gekommen, um hier ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie soll in einem Bremer Krankenhaus behandelt worden sein. Begleitet wurde sie von ihrem Freund und dessen Mutter. In dieser Familie, das habe er während der häuslichen Feier erfahren, werde über seine Familie „schlecht geredet“, so die Schilderung. "Ich wollte das klären."
"Streitgespräch" mit "Handgreiflichkeiten"
Es sei ein „Streitgespräch“ mit dem Jugendlichen entstanden. Dabei sei es auch zu „Handgreiflichkeiten“ gekommen; er sei an der Lippe verletzt worden. Der 55-Jährige will sich danach im Garten aufgehalten und seinen Alkoholkonsum dort fortgesetzt haben. Er habe noch mehr Bier und auch weiter Cognac getrunken. Dann sei seine Ehefrau erschienen und habe ihm mitgeteilt, Tochter und Freund seien gegangen. Er habe beide zurückholen wollen und sei daher trotz seiner Alkoholisierung losgefahren.
Ob zu der Erklärung denn Nachfragen gestellt werden könnten, wollte der Vorsitzende Richter wissen. Die Antwort des Verdener Verteidigers gefiel der Kammer nicht, wie sie schnell zeigte. Fragen sollten bitte schriftlich gestellt werden, damit er sie mit seinem Mandanten „besprechen“ könne. Die Antworten würden dann wiederum in schriftlicher Form erfolgen. Diese Vorgehensweise lehnte das Gericht nach kurzer Beratung ab und befand, der Angeklagte habe durch die vorgetragene Einlassung die „Möglichkeit des rechtlichen Gehörs“ gehabt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft schloss sich an. Die Kammer ging am zweiten Verhandlungstag davon aus, dass die beiden Jugendlichen zum Fortsetzungstermin am 25. Oktober „geladen werden können“.