Weyhe-Kirchweyhe. „Va, pensiero, sull'ali dorate“ (Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln), das Chorlied der gefangenen Hebräer in Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ (schlicht als „Gefangenenchor“ im Bewusstsein vieler Menschen verankert) war schon bei der Uraufführung 1842 in der Mailänder Scala ein Höhepunkt, und ist es bis heute geblieben. Rund 900 Opernfreunde saßen wie gebannt, als es am Freitagabend weit über den Weyher Marktplatz erklang und brachen anschließend in einen begeisterten Applaus aus. „Ganz großartig! Klanggewaltig und schön!“ Wen immer man fragte, das Lob für die Freiluft-Verdi-Gala war groß.
Es war ein Abend der Emotionen und schönen Töne. Die Festspieloper Prag und die Tschechischen Symphoniker Prag gestalteten aus altbekannten Verdi-Opern neue kleine Geschichten und entführten das Publikum in eine charmant durcheinander gewürfelte Welt der Romantik, mit angemessenen Kostümen in das ewige Ringen um Macht und Liebe und all den damit verbundenen Rivalitäten, der Unterdrückung und dem Kampf für Freiheit.
Neben den Zuschauern im abgegrenzten Marktbereich verfolgten etliche Opernfans das Ereignis vom Außengelände der Gastronomen, von ihren Balkonen oder schauten gebannt aus ihren Fenstern, genossen die Musik in einzigartiger Atmosphäre unter freiem Himmel. Die Besucher belohnten bei doch abgekühlten Temperaturen die zweistündige Verdi-Gala am Ende mit stehenden Ovationen.
Der erfolgreiche Abend basierte auf der bestechenden Idee des tschechischen Baritons und Regisseurs Oldrich Križ. Er schuf aus einigen der bekanntesten Opern des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi neue Geschichten. So gelang es Križ, die beliebtesten Arien, Solopartien und Chorstücke den Opernfans zu präsentieren, ohne dass das Publikum bloß ein Potpourri der großartigen Melodien zu hören bekam. Unter der musikalischen Leitung von Martin Doubravský spielten und sangen sich die Protagonisten in die Herzen der Opernfans. Rund 70 Künstler, in Orchester und Chor oder als Solisten, waren beteiligt.
„Nabucco“ bildete den thematischen Schwerpunkt des ersten Teils. In einem schlichten Bühnenbild fügten sich der Chor „Gloria all'Egitto“ aus „Aida“, das Duett aus Don Carlo „Dio che nell'alma infondere“ und die Arie „Rataplán“ zu einem lebendigen Hörereignis zusammen.
Weniger dramatisch, etwas lockerer und leicht, brachten die Darsteller nach der Pause die schönsten Stücke aus „Rigoletto“ und „La Traviata“ auf die Bühne. Da durften „Bella figlia del'amore“, „La donna è mobile“ sowie das Trinklied nicht fehlen.
Verdis Opern erzählen meist von sehr dramatischen Ereignissen. Die für die Gala ausgewählten Stücke boten fast die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle und sorgten für nachdenkliche Szenen. „Das ist schön, dass hier auch mal wieder etwas für uns Opernfreunde stattfindet“, fand ein Gast in der Pause und erntete bestätigendes Kopfnicken seines Partners. „Immer wieder gerne“, kam von einer weiteren Besucherin. „Ein schönes Opern-Erlebnis“, war immer wieder zu hören.
Dass Verdi gelebt hat und immer noch lebt, hat er mit seiner unvergesslichen Musik bewiesen. Wann genau, ist übrigens hingegen strittig. Giuseppe Verdi wurde am 11. Oktober 1813 in Le Roncole bei Parma mit dem Vermerk ins Taufregister eingetragen, dass er am vorherigen Abend geboren sei. Aber was spielt das für eine Rolle, wenn wir seine „Traviata“ oder den „Rigoletto“ zu hören bekommen? Verdi entschloss sich für den 9. Oktober als Geburtstag. „Die Wahrheit nachbilden, kann eine schöne Sache sein, aber größer, viel größer ist deren Erfindung“, soll er einem Freund geschrieben haben. Und tatsächlich sind und bleiben alle seine großen und tragischen Figuren echt.
Am Ende dieses unvergleichlichen Abends wurde noch einmal von den Darstellern als Dankeschön die Keimzelle der „Nabucco“-Komposition ganz nahe am Bühnenrand in den warmen Nachthimmel und den stehenden Applaus gesungen, das kam an. Nicht wenige Zuhörer summten ergriffen – längst auf dem Heimweg – mit.