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Flüchtlingshilfe im Landkreis Der persönliche Kontakt ist entscheidend

Bei der Integration von Geflüchteten leisten freiwillige Helfer wertvolle Unterstützung, auch im Landkreis Diepholz. Sie helfen gern, dennoch haben sie Wünsche zur Verbesserung.
15.06.2023, 13:06 Uhr
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Der persönliche Kontakt ist entscheidend
Von Sarah Essing

Landkreis Diepholz/Syke. Sie kommen aus Syrien und dem Irak, Afghanistan, Eritrea, Libyen und der Ukraine. Sie fliehen vor Krieg und Verfolgung und haben auch im Landkreis Diepholz Unterkunft gefunden. Angekommen sind die Menschen damit aber noch lange nicht. "Dazu bedarf es mehr", sagt Andrea Hillmann-Köster. Die Brokserin ist eine von vielen Ehrenamtlichen, die im Landkreis aktiv Geflüchteten unterstützend zur Seite stehen. Was alles dazu gehört, was gut läuft und wo es hakt, dazu tauschten sie und weitere Integrationshelfer aus Stuhr, Bassum und Syke sich jetzt im Syker Kreishaus mit Kreisrätin Ulrike Tammen und Saskia Bredemeier von der Koordinierungsstelle Inklusion und Integration beim Landkreis aus.

Was sagt die Kreisverwaltung dazu?

Es ist eine wichtige Aufgabe, die die freiwilligen Helfer leisten, sagt Kreisrätin Ulrike Tammen. Denn "das ist etwas, wo das Ehrenamt gebraucht wird." Der Landkreis unterstützt die 15 Städte, Gemeinden und Samtgemeinden bei der Aufgabe der Flüchtlingsbetreuung zwar finanziell, doch die Kommunen entscheiden, wie das Geld eingesetzt wird. Das sei sehr individuell, "und das ist auch gut so", unterstreicht Tammen, da nur die Menschen vor Ort wissen und einschätzen könnten, wie das Geld am besten angelegt sei.

Welche Erfahrungen haben die Engagierten gemacht?

Sehr individuell ist auch der Weg der Freiwilligen in die Flüchtlingshilfe. Hilke Schimke kam 2015 zu ihrem Ehrenamt über einen Helferkreis der Kirchengemeinde. Seitdem betreut sie Familien im Ort. Hilft wie alle Ehrenamtlichen bei Anträgen, Amtsgängen, bei der Wohnungs- oder Kita-Suche und beantwortet vor allem Fragen zum alltäglichen Leben. "Es braucht den persönlichen Kontakt, damit die Integration gelingt", ist sie überzeugt.

Andrea Daum ist seit 2015 beim Flüchtlingsnetz Stuhr; dieses richtete 2017 einen festen Treffpunkt an der Bremer Straße ein, betreibt eine Fahrradausgabe und seit einem Jahr auch einen Umsonst-Laden. Alles Anlaufstellen, die gern und vielfältig zum Austausch genutzt werden. "Es ist kein Job", sagt sie. Bei diesem Ehrenamt erfahre man viel über die Menschen, die hierher kommen. So entstünden Beziehungen. Durch die geplante Umgestaltung des Brinkumer Ortskerns ist der Treffpunkt jedoch gefährdet. Das Gebäude soll ebenfalls abgerissen werden und das Netzwerk braucht eine neue Bleibe. "Das beschäftigt uns sehr", räumt sie ein, auch wenn Gespräche mit der Gemeinde bereits laufen. "Wir fragen uns schon, was aus uns wird, denn wir brauchen diesen Treffpunkt." Ulrike Tammen zeigt sich optimistisch, dass eine Lösung gefunden wird. "Jeder weiß, was daran hängt", sagt sie.

Andrea Hillmann-Köster zog 2017 nach Bruchhausen-Vilsen. Neu im Ort folgte sie einem Aufruf der Initiative Lebenswege begleiten. Seitdem betreut sie eine Familie aus Westafrika. "Niemand kommt nur 'einfach mal so'", sagt sie. Die Menschen, die fliehen, lassen alles und alle zurück, sie können möglicherweise nie mehr zurück. In dieser Lage seien ein Dach und ein voller Kühlschrank schon viel, "doch um in der Gesellschaft anzukommen, bedarf es mehr."

Arman Emami kam 2015 nach Bassum. Er flüchtete aus dem Iran und erfuhr damals viel Unterstützung. "In Bassum kommen viele auf die Geflüchteten zu", freut er sich über diese Offenheit. Zu denjenigen, die ihm damals zur Seite standen, hält er heute noch guten Kontakt. Nun hilft er selbst. Übersetzt für die Stadt aus dem Persischen oder Kurdischen, hilft bei der Tafel, der Kleiderkammer und betreut eine Familie aus dem Iran. Helferkreis und Geflüchtete seien in Bassum "wie eine kleine Familie". Das helfe sehr.

Wo besteht Verbesserungsbedarf?

Helfen würde auch mehr Verständnis bei der Bevölkerung, finden die Ehrenamtlichen. "Integration geschieht nicht auf Knopfdruck", sagt Daum. Dabei sei die Gesellschaft manchmal zu ungeduldig, findet sie. Viele der Geflüchteten haben einen langen Weg hinter sich und Fürchterliches durchgemacht. Es wird ihnen "viel abverlangt, und das in kürzester Zeit", sagt Schimke. Dennoch gebe es Menschen, "die urteilen nur und das tut mir manchmal in der Seele weh", sagt Hillmann-Köster. "Wir sagen immer, sie sollen sich integrieren, aber wenn sie keine deutschen Kontakte haben, geht das nicht", ist Schimke überzeugt. Aufgrund der Corona-Pandemie sei vieles eingeschlafen, wie etwa Spiele-Nachmittage oder Cafés, bei denen Flüchtlinge und Deutsche in Kontakt treten können. Zudem habe so mancher Helfer in dieser Zeit die Segel gestrichen. "Und es kommen keine Neuen", bedauert Daum. Das müsse nun wieder ins Laufen kommen. Und dafür sind auch neue Helferinnen und Helfer höchst willkommen. "Ich wünsche mir, dass es noch mehr Menschen gibt, die sich trauen zu helfen", sagt Hilke Schimke. "Gerade auch mehr junge Menschen und auch junge Familien", fügt Hillmann-Köster hinzu. Denn diese hätten noch mal einen ganz anderen Zugang und könnten die Menschen noch mal ganz anders mitnehmen.

Wo gibt es Hindernisse?

Sicher gebe es das Problem der Sprachbarriere, sagen die Freiwilligen, wobei sie festgestellt haben, dass Hemmschwellen nicht allein aufseiten derjenigen vorhanden sind, die Deutsch erst noch lernen müssen. Unnötig, denn mit Englisch, Französisch, Händen und Füßen sowie ein wenig Geduld und gutem Willen, sei alles möglich. Die Sprachkurse seien wichtig und richtig, sind sich die Helfer einig. Doch sie müssten allen Geflüchteten offen stehen. Doch es gebe dabei einen Fehler im System. "Wir integrieren nur die, die auch bleiben", kritisiert Daum, denn ob jemand bleiben darf oder vielleicht doch nicht, ist eine Frage, deren Klärung sich oftmals über Jahre hinweg zieht. "Viele Geflüchtete sitzen aufgrund ihres ungeklärten Status zwischen allen Stühlen", bedauert Hillmann-Köster. "Das ist so unwürdig."

Hinzu komme, dass die Hürden, um Sprachkurse anbieten zu können, zu hoch sind. Auch darin sind sich alle Helfer einig. Denn um Lehrkraft für einen Deutsch-Kurs zu werden, wird eine Anerkennung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) benötigt. Diese Anerkennung werde aber nur nach bestimmten Kriterien verteilt, die für Ehrenamtliche schwer zu erfüllen sind, kritisieren die Helfer. Und Fachkräfte sind inzwischen wie bei vielem anderen Mangelware.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Mit Sprachkursen allein sei es jedoch nicht getan, sind sich die Helfer ebenfalls einig. Damit allein lerne niemand eine neue Sprache, die sich in Grammatik, Wortschatz und zum Teil auch Schrift so erheblich von den Muttersprachen unterscheidet. Es braucht Möglichkeiten, die Sprache auch anzuwenden, eben Kontakte mit Deutschen. Eine Möglichkeit, diese zu schaffen, sehen die Ehrenamtlichen unter anderem darin, dass die Hürden, um hier arbeiten zu können, gesenkt werden. "Viele Geflüchtete wollen helfen, wollen arbeiten", sagt Daum. "Viele kommen hochmotiviert hier an", fügt Schimke hinzu. Das Potenzial sei also da, aber auch da seien die Hürden zu hoch. "Es müsste mehr Möglichkeiten geben, ohne dass perfekte Sprachkenntnisse erforderlich sind", findet Daum. Denn die Sprache lernen, wirklich lernen, wäre bei der Arbeit, beim Sport oder in Schule oder Kindergarten am einfachsten.

Zur Sache

Zahlen der Schutzsuchenden und Flüchtlinge für den Landkreis Diepholz

Anfang Juni lebten im Landkreis Diepholz circa 11.870 Personen mit Aufenthaltstitel, teilt die Kreisverwaltung mit. Diesen benötigen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland grundsätzlich, ist den Informationen des Bundesinnenministeriums zu entnehmen. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet dabei sieben verschiedene Aufenthaltstitel: die Aufenthaltserlaubnis, die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU, die Niederlassungserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Mobiler-ICT-Karte und das Visum. Die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Mobiler-ICT-Karte und das Visum werden jeweils befristet erteilt. Die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU sind unbefristet.

1450 Personen leben mit zum Beispiel einer Aufenthaltsgestattung im Landkreis. Diese erhalten Personen während eines Asylverfahrens, wenn der Asylantrag förmlich gestellt ist. Davor erhalten um Asyl nachsuchende Personen einen Ankunftsnachweis. Für die Dauer des Asylverfahrens dürfen die Betreffenden dürfen in Deutschland bleiben. Darüber hinaus leben 10.750 EU-Bürger im Landkreis.

Zum Vergleich: Laut dem Mid-Year Trends Report des United Nations High Commissioner for Refugees‚ Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) beträgt die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen weltweit rund 103 Millionen. Die Zahl umfasst Flüchtlinge, Asylsuchende, Binnenvertriebene und andere schutzbedürftige Menschen.

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