Syke. Wer am Freitagabend an der Syker Christuskirche vorbeiging, vernahm wunderbare Töne. Gassenhauer, die fast jeder kennt, drangen aus dem Gotteshaus. Zu Gast war Marco Linke, Sänger, Regisseur und Schauspieler vom Weyher Theater mit seinem Programm über die Comedian Harmonists. Ergänzend kamen Stücke von Max Raabe und seinem Palastorchester dazu. Am E-Piano begleitete ihn Yonathan Ghebretensae. Eingeladen hatten der Förderverein für Gospelmusik und die Syker Kirchenstiftung. Sie durften sich über vollbesetzte Kirchenbänke freuen.
Mit „Kein Schwein ruft mich an“ und "Veronika, der Lenz ist da“, singend und pfeifend, brachte der Interpret die Zuhörer sofort in Stimmung. „Der Berliner Musiker Harry Frommermann, der das amerikanische Quartett 'The Revellers' gehört hatte und Ähnliches auf die Beine stellen wollte, gab am 18. Dezember 1927 im Berliner Lokalblatt folgende Anzeige auf“, gab Linke auch immer wieder Einblicke in die Geschichte des Quintetts. „Achtung. Selten. Tenor. Bass (Berufsanfänger, nicht über 25 Jahre) sehr musikalisch, schön klingende Stimmen, für einzig dastehendes Ensemble, unter Angabe der täglich verfügbaren Zeit, gesucht“.
Furiose Soli am Klavier
70 Interessenten meldeten sich, darunter auch Johannes Heesters, der jedoch nicht den Weg in die Gruppe fand. Fünf Musiker – Tenor Ari Leschnikoff, Tenor Erich Collin, Tenor Harry Frommermann, Bariton Roman Cycowski und Bass Robert Biberti – sowie Pianist Erwin Bootz begannen unter dem Namen Comedian Harmonists mit ihren Proben. „In der Kneipe, wo sie übten, war es so kalt, dass sie Mäntel und Handschuhe anbehielten“, berichtete Linke weiter, ehe es mit „Irgendwo auf der Welt gibt´s ein kleines bisschen Glück“ weiterging. „Das ist die Liebe der Matrosen“, das bereits 1928 auf Schallplatte erhältlich war, oder „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“, „Ein Freund, ein guter Freund“ und „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“, intonierte Linke in ganz eigenem Stil, immer mal wieder untermalt von einem furiosen Solo am Piano. Ein Wermutstropfen: Außer Mikrofonen gab es keine einem Kirchenschiff angepasste Tontechnik. Das Hörerlebnis war deswegen nicht optimal. Das wurde vielseits bedauert.
In ganz Europa waren die Harmonists innerhalb kurzer Zeit unterwegs, Kritiker waren allerorts des Lobes voll. Es hieß: „Mit ihrem Können werden selbst banale Melodien veredelt.“ Bei „Was macht der Maier auf dem Himalaya“ oder „Mein kleiner grüner Kaktus“ und „Was will der Mann da auf der Veranda“ klatschten die Zuhörer begeistert mit. Mit Erstaunen vernahmen viele zudem, dass auch Volksweisen wie „Guter Mond, du gehst so stille“ und „In einem kühlen Grunde“ zum Programm der Harmonists gehörten. Auch das wurde von Linke dargeboten. „Ich mach heut frei“ und „Amalie geht mit 'nem Gummikavalier ins Bad“, dürften hingegen wohl zu den weniger bekannten Stücken gehören.
Hintergrundinformationen und Gesang
1932 traten die Comedian Harmonists vor 2700 Besuchern in der Berliner Philharmonie auf. Von da an galten ihre Konzerte als Kunst und sie waren von der Vergnügungssteuer befreit. „Mit Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde es für Frommermann und zwei weitere Musiker schwierig, weil sie Juden waren", erläuterte Linke weiter. Wegen Auftrittsverbotes gab es im März 1934 das letzte gemeinsame Konzert in Deutschland. 1935 folgte in Norwegen das endgültige Aus der Gruppe. Die drei jüdischen Harmonists emigrierten in die USA. Frommermann wurde 1943 eingebürgert und nannte sich fortan Harry Frohman. Passend dazu wählte Linke die Lieder seines Vortrags. Mit „Wenn der Wind weht über das Meer“ und „Auf Wiedersehn, my dear, gib mir den letzten Abschiedskuss“, endete das Konzert in Syke.
Den kleinen, grünen Kaktus gab es als Zugabe, die wie die gesamte Darbietung der beiden Musiker mit tosendem Beifall belohnt wurde. Aber es gab abschließend auch mahnende Worte Linkes: „Alle sechs Mitglieder des Ensembles überlebten den Krieg. Frommermann kehrte nach Deutschland zurück und zog in Bremen bei Erika von Späth ein. Mit ihr verband ihn seit 1948 eine Brieffreundschaft. Er starb am 29. Oktober 1975 mit 69 Jahren nach langer Krankheit und ist in Bremen auf dem Riensberger Friedhof beerdigt", ließ er die Zuhörer wissen. "Es heißt von ihm, er habe immer einen gepackten Koffer unter dem Bett gehabt, falls der Antisemitismus nach Deutschland zurückkehre.“ So mancher verließ die Kirche wohl mit dem Gedanken: Was würde er wohl heute tun?