Zu Hause ins Flugzeug steigen und in die Lüfte starten, dann in Norwegen auf einem See am eigenen Ferienhaus landen, das Flugzeug noch schnell in die Garage fahren – und schon ist man mitten im Urlaub. Was sehr mondän und fast nach einer Episode aus einem James–Bond-Film klingt, ist für Helmut Lanfermann nichts Ungewöhnliches. Nicht etwa, weil dies sein gewöhnlicher Jetset-Alltag wäre. Sondern weil es das für seine Kundschaft ist.
Lanfermann ist Geschäftsführer von Flywhale. Und fliegende Wale sind für ihn kein Paradox. Für ihn ist es ein Geschäftsmodell. Das Unternehmen entwickelt, baut und vermarktet Ultraleichtwasserflugzeuge. Den Wal im Namen hat das Unternehmen seinem Gründer zu verdanken. Helmut Rind, ein großer Liebhaber der Luftfahrt und begeisterter Wasserflieger, ließ sich bei der Namensfindung von dem Flugzeugkonstrukteur und Flugpionier Claude Dornier und dessen berühmten „Wal“ inspirieren. Nachdem der gebürtige Huder bereits als Kind sehnsüchtig den Flugzeugen am Himmel hinterher geschaut hatte und eine Passion für die Luftfahrt entwickelte, wurde er später selbst zum Ultraleichtpiloten.
Irgendwann wurde Rind auf das Fliegen mit einem sogenannten Amphibium aufmerksam. Doch die Modelle auf dem Markt stellten ihn nicht zufrieden. „Das kann ich selbst besser“, dachte er sich. In seiner Garage in Neerstedt begann er sein Projekt – und wurde vom gelernten Maschinenbauer selbst zum Flugzeugkonstrukteur. Aus dem Projekt wurde ein Betrieb in Dötlingen. Und etwa zwölf Jahre später ist Flywhale eine GmbH & Co. KG mit 13 Mitarbeitern. Inzwischen hat Helmut Lanfermann die Geschäftsführung übernommen, doch das Anliegen des Unternehmens ist dasselbe geblieben: erstklassige Ultraleichtwasserflugzeuge bauen – und weiterentwickeln.
„Streng genommen bauen wir keine Flugzeuge, sondern Luftsportgeräte“, sagt Lanfermann. Ohne eine offizielle Zertifizierung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit darf man kein Flugzeug bauen. Für Flywhale ist dieser Umstand allerdings kein Nachteil, sondern eher ein Pluspunkt, wie Lanfermann erklärt: „So eine Zertifizierung ist sehr aufwendig, weil jedes Teil geprüft und alles dokumentiert werden muss. Da wir das nicht müssen, sind wir interessanter für die Kunden, weil unsere Modelle günstiger sind.“ Dabei betont er, dass ein Flywhale-Luftsportgerät keineswegs unsicherer als ein zertifiziertes Flugzeug ist: „Wir arbeiten genauso präzise und sind ebenso auf Sicherheit bedacht wie andere Firmen“, sagt er. Der Rettungsschirm für das Flugzeug selbst ist nur ein Beweis dafür.
Konkurrenz ist überschaubar
Mit dem Ultraleichtwasserflugzeug ist Flywhales Konkurrenz überschaubar. Maximal sechs Mitbewerber mit einem vergleichbaren Produkt fallen Lanfermann weltweit ein. „In Deutschland gibt es keinen zweiten Hersteller, der so etwas produziert“, sagt er. Auch die Kundschaft ist international. „In Deutschland gibt es keine Erlaubnis, auf Wasser zu landen. Beispielsweise in Skandinavien oder Polen ist das hingegen kein Problem“, erzählt Lanfermann. Aber auch für Deutsche müsse das kein Ausschlusskriterium sein. Mit einer Reichweite von bis zu sieben Flugstunden beziehungsweise 1000 Kilometern könne man es gut mit einer Tankfüllung auf ein Gewässer im benachbarten Ausland schaffen. Zumal dazu nicht einmal eine Privatpilotenlizenz nötig ist. Der günstigere Flugschein für Ultraleichtmaschinen reicht aus.
Die Produktion läuft ausschließlich auf Kundenbestellung. „Wir brauchen eine gewisse Vorfinanzierung, um loslegen zu können“, sagt Lanfermann. Immerhin kostet ein Flywhale mit der einfachsten Ausstattung rund 230 000 Euro. Zehn Flugzeuge sind bereits gebaut worden. Das klingt erst einmal wenig. Aber je nach Ausstattung dauert der Bau zwischen sechs und zwölf Monate. „Drei Stück müssen wir für uns selbst abziehen“, sagt Lanfermann, „die wurden für Tests, technische Innovationen und Vorführflüge benötigt.“ Sieben Maschinen wurden demnach bisher verkauft.
„Das ist zu wenig“, räumt Lanfermann ein und ergänzt: „Sonst würden wir uns ja auch nicht in dieser Situation befinden.“ Er meint die vorläufige Insolvenz des Unternehmens. Die Gründe dafür seien vielfältig. „Wir haben sicherlich Fehler gemacht. Uns sind aber auch Lieferanten weggebrochen“, so Lanfermann. Zudem wartet Flywhale seit Langem auf eine Zulassung, um einer EU-Verordnung folgend das Gesamtgewicht des Flugzeugs von 517,5 auf 650 Kilogramm anheben zu können. „Das Gewicht ist ein Problem, das viele potenzielle Kunden zurückschrecken lässt. Das Leergewicht beträgt bisher 330 Kilogramm. Mit Treibstoff, Gepäck und maximal zwei Personen an Bord kann es beim Gewicht schnell eng werden. Eine Erhöhung des Gesamtgewichts würde uns mehr Spielraum geben“, erklärt Lanfermann.
Nun sucht Flywhale nach Investoren. „Wir wollen unbedingt weitermachen“, sagt der Geschäftsführer und fügt hinzu: „Auch der Gutachter des Amtsgerichts setzt auf eine Fortführung des Unternehmens, weil wir so ein tolles Produkt haben. Das Flugzeug ist sehr leise, sicher und geräumig. Es gibt Überlegungen, ob man es für den Küstenschutz und Rettungsflüge nutzen kann. Immerhin kann man damit bis zu einer Wellenhöhe von einem Meter auf dem Wasser landen und könnte sogar jemanden liegend transportieren.“
Und es gibt noch einen Grund, warum die Fortführung des Unternehmens angestrebt wird. Flywhale steckt mitten in einem Forschungsprojekt, das von Niedersachsen Aviation, dem Land und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wird. Neben dem Standardmodell, das in Dötlingen gefertigt wird, soll ein elektrisch betriebenes Ultraleichtwasserflugzeug entwickelt werden. „Damit wollen wir eine noch geringere Lärmemission und eine größere Umweltverträglichkeit erreichen“, sagt Lanfermann.
„Wir arbeiten gemeinsam mit der Ostfalia Hochschule an dem Projekt“, ergänzt er. Die Hochschule entwickelt eine Mikrogasturbine. Während der Start und die Landung dann rein elektrisch ablaufen, soll die Turbine für Schub sorgen und den Stromgenerator wieder aufladen. „Die Kabinengrundkonstruktion ist fertig gebaut, der Motor ist ausgewählt, wir haben Tests gemacht. Jetzt warten wir auf die nächsten Schritte“, erzählt Lanfermann.
Und er hofft, dass es weiter geht. Denn er möchte mehr Kunden ihre Träume verwirklichen. Zum Beispiel dem, der sich ein Flywhale mit integriertem Wassertank wünscht – damit er auf einem See landen, dort angeln, die Fische im Wassertank lagern, nach Hause fliegen und dort frisch zubereiten kann. Einen Hauch mondän. Fast wie bei James Bond.