Mindestens drei Jahre und einen Tag dauert die Walz der Wandergesellen. Dass dann wirklich schon Schluss ist mit dem freien Leben „auf Achse“, kann sich Phillip Bergmann zurzeit noch nicht vorstellen. Am Dienstag machte der 27-Jährige im Ganderkeseer Rathaus Station und überbrachte Erstem Gemeinderat Matthias Meyer seinen traditionellen Gruß.
Der Emder, der auf der Walz zumeist unter seinem Pseudonym "Zephyr" in Erscheinung tritt, ist seit einem halben Jahr von seiner Heimatstadt getrennt – und darf sich ihr, wie es der Brauch will, nur bis auf 50 Kilometer nähern. Im Fall der Ostfriesenmetropole, die ganz im nordwestlichsten Zipfel Deutschlands verortet ist, schränkt das den Bewegungsfreiraum für Bergmann aber nur bedingt ein. In allen Himmelsrichtungen war er schon zugegen: Flensburg im Norden, Aachen im Westen, Dresden im Osten oder Konstanz ganz im Süden. "Meistens fahre ich per Anhalter", erklärt er. "Als Wandergesellen werden wir häufiger mitgenommen. In der Kluft gelten wir als vertrauenswürdig, die ist wie ein Ausweis."
Helfen im Mittelpunkt
An der Walz liebt der gelernte Tischler vor allem die Freiheit und das Hineinleben in den Tag. Morgens in Delmenhorst, mittags in Ganderkesee, später wieder Oldenburg: "Es gibt kein Ziel, es gibt nur den Weg", findet der Handwerker. Auf diesem Weg nimmt er immer wieder Arbeit an, wobei für ihn das Helfen im Mittelpunkt steht, nie das Geldverdienen. "Bei einer älteren Frau die Fenster neu einstellen, damit sie im Winter keinen Zug mehr spürt – das ist etwas, bei dem ich mich gut fühle."
Überhaupt steht für "Zephyr" nicht nur das Handwerkliche im Mittelpunkt seiner Wanderung. "Auf der Walz habe ich die Chance, unzählige Menschen, Orte und Geschichten kennenzulernen. Jeden Tag rede ich mit mehreren Dutzend Leuten. Manchmal werde ich spontan zum Frühstück eingeladen." Jeder Tag sei anders. Auf moderne Kommunikationsmittel wie ein Smartphone verzichtet er bewusst. "Kontakt halte ich mit Postkarten."
Nicht in "Schacht" organisiert
Als fremdfreireisender Tischler (Kürzel: frdfr.ti) gehört Phillip Bergmann keinem "Schacht" an, in dem viele andere Wandergesellen organisiert sind. Insider erkennen das sofort – am eingeschlagenen Hemdkragen. So kann er zwar nicht auf Infrastruktur und Netzwerke eines Schachts zurückgreifen, dafür hat er noch mehr von dem, was ihm am wichtigsten ist: Freiheit.
Die wird er in den kommenden Tagen nutzen, um weiterzuziehen: In Rheinland-Pfalz hat er Verabredungen mit anderen Wandergesellen. Danach geht es nach Hannover und Hamburg. Und dann? Phillip Bergmann zuckt mit den Schultern und lächelt zufrieden: "Da sind fast keine Grenzen gesetzt." Auch Norwegen oder Japan würden ihn mal reizen. Nur die Heimat ist tabu – näher als Bad Zwischenahn darf er Emden nicht kommen.