Landkreis Osterholz. Ruben Bernau erinnert sich gut: Der drohende Ärztemangel auf dem Land sei schon vor elf Jahren absehbar gewesen, als er die Hausarzt-Praxis seines Vaters in Hambergen übernahm. "Jetzt merken wir, dass es real schwierig wird", sagt Bernau, der sich damals voller Überzeugung abseits der Ballungsräume niedergelassen hat. "Es gibt eigentlich genug Ärzte, nur an der falschen Stelle." Das habe leider auch mit Imageproblemen zu tun, stellt der Allgemeinmediziner und Ärzte-Funktionär auf Anfrage in seiner Diagnose fest.
Das Ansehen der Generalisten stehe beim studentischen Nachwuchs nicht zum Besten: "Der Berufszweig hat an der Uni nicht so den Stellenwert", bedauert Bernau. Ein Hausarzt, so besagt es das Klischee, arbeitet 60 oder 80 Stunden pro Woche, auf der Stadt wie auf dem Land. Und er schreibt Überweisungen für die Spezialisten, statt sich selbst um Forschung und Fortbildung zu kümmern. Bernau kennt diese Vorurteile – und er räumt damit auf, wo immer sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
Werbung bei Medizinstudenten
Neulich, beim ersten Online-Festival der Allgemeinmedizin, hat er vor 400 Studierenden gesprochen (www.werde-hausarzt.de). Über Zeitmanagement zum Beispiel, und darüber, wie man fachlich auf der Höhe der Zeit bleibt. "80 Prozent der Beratungsanlässe meiner Patienten löse ich abschließend", sagt Bernau selbstbewusst. Nicht wenigen Standeskollegen gelinge das ebenfalls.
Natürlich müsse man auch die eigenen Grenzen kennen. Doch der Sprachgebrauch macht Imagewandel und Nachwuchswerbung nicht einfacher: Hausärzte werden gemeinhin von Fachärzten unterschieden. Dabei hat auch ein Hausarzt einen Fachtitel: entweder für Allgemeinmedizin oder, seltener, für Innere Medizin. "In Niedersachsen werden die Studienplatz-Kapazitäten jetzt hochgefahren", sagt Bernau. "Immerhin. Aber bis das wirksam wird, werden wir noch ein Tal durchschreiten müssen."
Engpässe werden spürbar
Der Hamberger schildert, wie er dieses Tal einschätzt. Er betont, es handele sich dabei nicht um eine Stellungnahme von Ärztekammer oder Hausärzteverband, in deren Bezirksvorständen er jeweils mitarbeitet. Doch Bernau, der seine Praxis für Familienmedizin zusammen mit Ehefrau Iris führt, ist in der Region hinreichend vernetzt, um sich eine Einschätzung erlauben zu können.
In der Samtgemeinde verteilen sich die Patienten recht gut auf insgesamt vier Praxen, wobei ein Wallhöfener Kollege auch mit fast 80 Jahren noch praktiziere. "Wenn solche Haudegen eines Tages aufhören, hinterlassen sie ein Riesenloch", weiß der Mittvierziger Bernau. Das Problem betrifft auch die Spezialisten, wie zuletzt in Osterholz-Scharmbeck der Fall des Psychiaters Schmidt gezeigt hat; er ging in den Ruhestand, ohne einen Nachfolger finden zu können (wir berichteten). Vorboten eines schwierigen Generationswechsels.
Lange Wartezeiten
In einigen Schwaneweder Haus- und Facharztpraxen gebe es bereits handfeste Aufnahmestopps, weiß Bernau: "Da wird es in manchen Ecken richtig eng." Patienten aus der Kreisstadt wiederum würden zunehmend auch in Hambergen oder anderen umliegenden Orten vorstellig, weil sie im Stadtgebiet sonst mit langen Wartezeiten rechnen müssen. "Da sollte man sich vielleicht lieber noch mal genauer umschauen", rät Bernau. Eigentlich empfehle es sich, die Wege kurz zu halten; das helfe im Notfall Arzt und Patient (Info unter www.arztauskunft-niedersachsen.de)
Bei Routine- oder Vorsorge-Untersuchungen ohne Akutbeschwerden kann die Aufnahmefrist sechs oder neun Monate betragen, berichten unterdessen Leser der Redaktion. Eine Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), die den gesetzlichen Versorgungsauftrag wahrnimmt, zeigt, dass es Luft nach oben gibt. Auch dort weiß man, dass es in absehbarer Zeit in der Region mehr Praxisaufgaben als -übernahmen geben wird, mehr Ruhestände als Neueröffnungen. Längst gibt es daher eine landesweite Kampagne (www.niederlassen-in-niedersachsen.de) sowie in unterversorgten Gebieten zusätzliche finanzielle Anreize.
KVN: Kein Notstand
Im Falle der Osterholzer Nervenarzt-Praxis etwa winkt dem Nachfolger seit Februar ein KVN-Zuschuss von 50.000 Euro. KVN-Bezirksgeschäftsführer Michael Schmitz aus Stade bittet um Geduld: Er sehe für die Psychiater-Versorgung des Kreisgebiets "erste Teillösungen für den Oktober". Es sei aber noch zu früh, um darüber zu berichten. Ansonsten sei die Lage im Kreisgebiet gegenüber den Vorjahren kaum verändert, sagt Schmitz und verweist auf den allgemeinen Fachkräftemangel: "So schnell dreht sich die Welt nicht." 2021 hatte der KVN-Sprecher erklärt, die Hausarzt-Dichte westlich der Hamme könnte zwar größer sein, aber einen Notstand sehe er nicht.
Thomas Köhnken, Vize-Geschäftsführer und zuständig für die vertragsärztliche Versorgung, unterstreicht: Investitionskostenzuschüsse würden bei Hausarzt-Bewerbungen im Versorgungsbereich Osterholz - bestehend aus der Kreisstadt, Hambergen, Ritterhude und Schwanewede – weiterhin nicht gewährt.