Der Kreisbehindertenbeirat Osterholz möchte ein Schlupfloch in der Niedersächsischen Bauordnung schließen lassen. Es wird auch vom Inklusionsrat des Landes beanstandet, denn es erlaubt die Umgehung der vorgeschriebenen Barrierefreiheit im Wohnungsbau. Laut § 49 müssen neue Wohnungen stufenlos erreichbar sein, wenn das Gebäude mehr als vier Wohneinheiten umfasst. In jeder achten Wohnung eines Neubaus müssen die Räume rollstuhlgerecht sein. "Leider erlaubt § 63 auch Ausnahmen davon", sagt der Beiratsvorsitzende Michael Schumacher. Er findet, die Bauordnung sollte geändert werden.
Der Beirat will sich auf einer der kommenden Sitzungen – das nächste Treffen ist am 18. April – näher damit befassen und einen Vertreter der Baugenehmigungsbehörde einladen. Das sogenannte vereinfachte Verfahren sei eine Hintertür, um sich vor eventuellen Mehrkosten zu drücken, weil die Barrierefreiheit nicht gesondert geprüft werde, so die Beiratsmitglieder. Schumacher ist überzeugt, dass das Thema in den Landtag gehört und an Bedeutung gewinnen wird. Schließlich seien auch immer mehr Menschen mit einem Rollator unterwegs.
"Mehraufwand wird überschätzt"
Angela Reichel, Behindertensprecherin der Gemeinde Ritterhude, bekräftigt das. Der spätere Umbau einer Immobilie, das wisse sie aus eigener Erfahrung, sei ungleich teurer als eine barrierefreie Planung von Anfang an. Eigentlich würden stufenlose Lösungen auch nur geringe Mehrkosten verursachen, wenn sie von Vornherein mitgedacht würden, glaubt Reichel. Aber weil sich das noch nicht bei allen Bauträgern als Standard durchgesetzt habe, werde bisweilen ein enormer Aufpreis verlangt.
Zumindest auf einfache Nachrüstbarkeit sollte deshalb geachtet werden, findet Reichel, die außerdem in Erfahrung gebracht hat, dass in das Ritterhuder Hallenbad nun auch ein Lift eingebaut werde. Sie ist überzeugt: Was Rollstuhlfahrern nütze, schade Menschen ohne Behinderung nicht. "Letztlich können alle nur profitieren." Umso ärgerlicher sei es, dass zum Beispiel beim Bau von E-Lade-Stationen noch immer nicht an Autofahrer im Rollstuhl gedacht werde: Die Kabelanschlüsse lägen so hoch, dass sie im Sitzen nicht zu erreichen seien.
Positive Beispiele gefunden
Zum Thema barrierefreies Wohnen, setzt Michael Schumacher hinzu, sei er mit dem Kreisseniorenbeirat bereits in Kontakt. Er hat sich kürzlich auch eine mustergültige Lösung in den Geschäftsräumen der Bestatterfirma Otten angesehen. "Da wurde an jedes Detail gedacht." Und für die gefährliche Treppenhauskante im Haus am Markt gebe es nun nach Jahren des Wartens und Drängens nun ebenfalls eine zumindest provisorische Lösung: Wer dort zum WC will, muss wegen eines aufgestellten Automaten nun einen kleinen Schlenker machen, sodass man sich nicht mehr automatisch den Kopf stößt. Der Durchgang, findet Schumacher, sei so immer noch breit genug.
In Worpswede hingegen gibt es laut Holger Miehe ein ungelöstes Problem: Das renovierte Toilettenhaus am Parkplatz an der Bergstraße sieht nach seinen Worten zwar toll aus, ist aber für Rollstuhlfahrer vollkommen ungeeignet: Schwergängige Türen ohne elektrischen Öffner und vor allem auch drinnen viel zu eng, so der erste Eindruck. Marlies Falldorf aus Schwanewede hat sich unterdessen einmal die Arzt- und Zahnarztpraxen in ihrer Heimatgemeinde angesehen – und keinen Grund für Beanstandungen gefunden: Alle seien ebenerdig oder mit einem Aufzug zu erreichen.
Die Gemeinde Lilienthal ist derzeit nicht mit einem Sprecher oder einer Sprecherin im Kreisbehindertenbeirat vertreten. Britta Melcher hat ihr Amt aus gesundheitlichen Gründen zum Jahreswechsel niedergelegt. Sie war im Oktober 2016 von der Kommune entsandt worden.