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Corona-Folgen Die Krise der Jugendlichen

In der Pubertät ist der Freiheitsdrang groß. Während der Corona-Krise könnte das zu einem Problem werden. Die Jugendarbeiter in den Gemeinden sind nun besonders gefordert.
11.05.2020, 19:20 Uhr
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Von Lisa Urlbauer, Irene Niehaus und André Fesser

Landkreis Osterholz. Es ist eine der Anlaufstellen für die Zehn- bis 20-Jährigen in der Region, das Jugendhaus Pumpelberg in Osterholz-Scharmbeck. Mit Tischfußball und Billard, Koch- und Backangeboten, Rückzugsräumen und Ansprechpartnern. 30 bis 40 Jugendliche kamen im Laufe des Tages vorbei, sagt Leiterin Stefanie Bourai-Touré. Bis zur Corona-Krise. Seit dem 16. März ist die Jugendeinrichtung geschlossen. „Es ist ein besonders schweres Alter, um sich zu isolieren“, sagt Bourai-Touré. „Jugendliche in der Pubertät wollen sich abnabeln, sich unabhängig machen.“ Stattdessen müssen sie jetzt mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen.

„Als wir das Jugendhaus schließen mussten, ist der Kontakt zu den Jugendlichen abrupt abgebrochen. Wir mussten uns sammeln und dann überlegen, wie wir ihn wieder aufnehmen können.“ Facebook, Instagram, Youtube, Whatsapp – die Leute des Jugendhauses Pumpelberg sind auf vielen Kanälen erreichbar. Sie teilen Ideen gegen Langeweile und veranstalten Livestreams zum gemeinsamen Kochen. Laut Bourai-Touré können digitale Angebote die persönliche Arbeit aber nicht ersetzen. „Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Häufig erzählen die Jugendlichen uns nebenbei von ihren Problemen.“ Dennoch möchte das Team weiterhin präsent und erreichbar sein. Bourai-Touré fehlt die Frage nach den sozialen Einrichtungen in der öffentlichen Diskussion um Corona-Maßnahmen. „Schule und Bildung sind wichtig, aber genauso auch die informelle Bildung und das soziale Lernen.“ Das passiere in den Freizeiteinrichtungen, im Jugendhaus oder bei den Sportvereinen.

Für Jugendliche bringt das Corona-Virus erhebliche Veränderungen mit sich, weiß auch Andreas Griebe, Leiter des Worpsweder Jugendzentrums Die Scheune. Die Schule ist für viele noch zu, Treffen mit Freunden sind weitgehend untersagt, „jetzt hocken sie zu Hause.“ Für Kinder und Jugendliche sei das auf Dauer kein tragbarer Zustand. „Das Schlimme für sie ist, nicht zu wissen, wie lange es dauert, sie können sich auf kein Datum einstellen, die Ungewissheit belastet sie.“ Der Sozialarbeiter und Axel Benser, der in der Einrichtung seinen Bundesfreiwilligendienst absolviert, wollen weiterhin für die Jugendlichen ansprechbar sein. Nicht nur am Telefon oder über Soziale Medien, sondern auch vor Ort über persönliche Einzelgespräche mit Sicherheitsabstand. „Drei bis fünf Gespräche führe ich am Tag“, erzählt Griebe. Da gehe es um Spannungen im Elternhaus, um Probleme mit den Geschwistern, um eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten und Einsamkeit. Manche hätten auch Probleme mit dem digitalen Unterricht, denen helfe er bei den Matheaufgaben oder der Vorbereitung eines Referats. Weil die Scheune ein wichtiger Begegnungsort sei, hoffe er, dass die Einrichtung in absehbarer Zeit für eine begrenzte Zahl an Besuchern und unter Sicherheitsauflagen wieder öffnen kann. Bis dahin empfiehlt er den Jugendlichen, viel rauszugehen, „nicht den ganzen Tag vor dem Rechner zu hängen und sich Rat auch bei den Lehrern zu holen“.

„Es ist still geworden“

Im Schichtdienst halten unterdessen Mitarbeiter des Alten Amtsgerichts in der Klosterstraße in Lilienthal die Stellung und versuchen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Über Instagram, Facebook, Whatsapp oder E-Mail, aber auch am Telefon tauschen sie sich mit den Jugendlichen aus. Ein Kern der Kommunalen Jugendarbeit in Lilienthal aber ist laut deren Leiterin Viola Bürgy die sogenannte Offene Tür. Dieser falle nun weg. Die Einrichtung ist geschlossen, und die Sozialarbeiter müssen andere Wege suchen, für die jungen Leute da zu sein. 20 bis 30 Besucher im Alter zwischen zehn und 14 Jahren kämen regelmäßig in die Einrichtung. Auch Ältere nutzten das Alte Amtsgericht. Mit ihnen allen kommuniziere man nun online, sagt Bürgy, oder versorge sie mit Anregungen per Video. Mittwochs zum Beispiel bietet das Alte Amtsgericht ab 19 Uhr die Art Night an, ein Video, das den Jugendlichen helfen soll, sich kreativ zu betätigen. Mitunter verabrede man sich auch zu einem Spaziergang. Die tägliche Arbeit könne das aber nicht ersetzen: „Es ist komplett still geworden.“

Dabei gebe es allemal Beratungsbedarf, Bürgy stellt aber auch fest, dass viele Jugendliche eher positiv gestimmt sind und mit den Beschränkungen mitgehen können. „Es gibt eine hohe Bereitschaft, diese Krise durchzustehen, sowohl bei den Jugendlichen als auch in unserem Kollegium.“ Aber es brauche noch Geduld: „Ich sehe nicht“, so Bürgy, „dass wir in absehbarer Zeit wieder zu dem zurückkommen, was wir als Offene Tür kennen.“

So suchen sich die Jugendlichen mitunter auch andere Wege, die Zeit zu überstehen. Dabei kommen sie sich manchmal auch zu nah. Inwiefern Jugendliche den Abstandsregelungen folgen, überprüft Helge Cassens von der Polizeiinspektion Verden/Osterholz. Viele hielten sich an die Vorschriften, stellt er fest. „Wir treffen aber auch jeden Tag auf Gruppen.“ Diese seien in den meisten Fällen einsichtig. „Dann bleibt es bei der Aufnahme der Personalien.“ Beim zweiten Verstoß gebe es eine Anzeige – wenn keine Einsicht gezeigt werde, auch schon beim ersten. „Es sind bereits einige Anzeigen rausgegangen. Aber der absolute Großteil hält sich daran.“

Mehr Risikobereitschaft

Das Freizeit- und Sozialverhalten von Jugendlichen sei eben anders als das Erwachsener, sagt Cassens. „Es gibt einen stärkeren Drang, sich in Gruppen zu treffen.“ Erwachsene schenkten dem Gesundheitsrisiko mehr Beachtung, Jugendliche seien risikobereiter. „Unsere Aufgabe als Erwachsene ist es, sie darauf hinzuweisen. Aber es ist schwierig, weil Corona eine abstrakte Gefahr ist.“

Als Beauftragter für Jugendsachen ist Cassens viel in Schulen unterwegs. „Wir befürchten, dass wir sie in diesem Schuljahr für Projekte und Vorträge nicht mehr besuchen werden. Aber wir bleiben bei Problemen und Fragen erreichbar.“ Der Alltag ist nun Corona. „Die übrige Kriminalität, wie Einbrüche, ist zurückgegangen, auch bei Jugendlichen. Menschen sind mehr zu Hause.“ Gleichzeitig glaubt Cassens, dass die häusliche Gewalt zunimmt. „Es gibt ein großes Dunkelfeld, viele Dinge werden nicht angezeigt.“ Infos zu Hilfen teilt Cassens unter https://www.facebook.com/polizei.verden.osterholz.hc.

Der Landkreis Osterholz hält nach eigenen Angaben regelmäßig Kontakt zu den Jugendarbeitern in den Gemeinden. Darüber hinaus versorgt er Kinder und Jugendliche unter www.landkreis-osterholz.de/corona-kids mit Freizeittipps.

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