Manchmal sind es im Sport auch die Niederlagen, aus denen dann im Nachhinein etwas Großes entsteht. So sieht der frühere Spielertrainer des TSV Steden/Hellingst, Martin Wohltmann, auch die 5:6-Niederlage nach einem Elfmeterschießen im Aufstiegsspiel zur Fußball-Bezirksklasse 3 gegen den TSV Bülstedt/Vorwerk im Juni 1995. Einige Wochen nach der bitteren Schlappe setzten sich die Stedener beim heimischen Pokalturnier sowie bei den Sportwochen des VfL Ohlenstedt und MTV Bokel durch, ehe sie mit einem Double-Gewinn in der Kreisliga Osterholz den Aufstieg in die Bezirksklasse nachholten.
„Dieses Aufstiegsspiel bildet ein Schlüsselerlebnis, das in allen Gesprächen mit alten Weggefährten immer noch sehr präsent ist“, betont Martin Wohltmann, der in dieser Hinsicht trotz des Misserfolgs sogar vom Spiel seines Lebens spricht. In Steden habe vor dem Match eine riesige Euphorie geherrscht. „Das ganze Dorf war auf den Beinen“, versichert Wohltmann. Mindestens die Hälfte der knapp 500 Zuschauer auf dem Platz der TSG Wörpedorf-Grasberg-Eickedorf drückten den Rothosen die Daumen. Der TSV Bülstedt/Vorwerk hatte sich mit einem 5:0-Sieg über den FC Langwedel für diese entscheidende Partie um den Aufstieg qualifiziert. Martin Wohltmann schaute dabei zu. „Ich wusste deshalb, dass wir auf eine Mannschaft mit einer starken Durchschlagskraft in der Offensive treffen würden. Vor allem Michael und André Börsdamm waren gute Offensivkräfte mit einer eingebauten Torgarantie“, so der 62-Jährige. Aus diesem Grunde wollte er sein Team auch aus einer kompakten Abwehr heraus agieren lassen. Für das geplante schnelle Umschaltspiel fehlte zunächst ausgerechnet der dafür prädestinierte Mann, Jens Jacobs. Dieser kam erst am Spieltag selbst aus dem Urlaub zurück. „Weil wir Jens aber auf Biegen und Brechen dabei haben wollten, hat ein Betreuer ihn vom Flughafen in Hamburg abgeholt“, informiert Martin Wohltmann.
Im ersten Durchgang musste der Zweite der Kreisliga Osterholz aber noch ohne seinen jungen Torjäger auskommen, mit dem Martin Wohltmann noch kurz zuvor beim Probetraining für die zweite Mannschaft des SV Werder Bremen gewesen war. Die Grün-Weißen zeigten auch Interesse am talentierten Kicker. „Es wäre aber nicht mit seiner Ausbildung zu vereinbaren gewesen“, erklärt Wohltmann. Ohne Jacobs geriet der TSV Steden/Hellingst schnell mit 0:1 ins Hintertreffen. Doch nach 13 Minuten holte Martin Wohltmann einen Strafstoß gegen Wolfgang Jagels heraus. „Ich bin dabei aus der eigenen Hälfte heraus in die Tiefe geschickt worden“, erinnert sich Wohltmann zurück. Doch Böttjer brachte die Mannen von Coach „Mannek“ Börsdamm in der 71. Minute erneut in Führung. „Wir haben dann noch einmal versucht, Gas zu geben. Doch die unheimlich hohen Temperaturen haben es uns nicht gerade leicht gemacht“, sagt der frühere Kriminalbeamte.
In der ersten Minute der Nachspielzeit wurden die Bemühungen des Vizemeisters der Kreisliga Osterholz aber doch noch belohnt. Ralf Zebandt bereitete mit einer Hereingabe das 2:2 seines Bruders Jörg Zebandt vor. Dabei war Ralf Zebandt eigentlich Libero. „Ralf hat in der Schlussphase aber nichts mehr hinten gehalten“, lässt Martin Wohltmann wissen. Jörg Zebandt egalisierte nach der Flanke seines Bruders per Kopf. „Ich sehe noch heute vor meinem geistigen Auge, wie Jörg damals hochgestiegen ist und der Ball dann unter der Querlatte im Kasten eingeschlagen hat“, teilt Wohltmann mit. Dieser habe gar nicht mehr hin vor Freude wegen des Last-Minute-Einstands gewusst und sei wie von Sinnen auf seinen Torjäger zugestürmt, um diesem zu gratulieren.

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„In der Verlängerung wollten wir noch ein bisschen was draufpacken. Aber ab der 100. Minute waren wir wegen der großen Hitze auch platt“, gibt der Vater des Kickers des Oberligisten FC Hagen/Uthlede, Jan Wohltmann, zu bedenken. Um das Elfmeterschießen nicht zu gefährden, wollten die Stedener in den letzten Minuten hinten nichts mehr anbrennen lassen. In der 113. Minute hätte Martin Wohltmann dann aber doch noch beinahe das 3:2-Siegtor markiert. Bülstedts Tormann Lenz verhinderte dieses jedoch mit einer Glanzparade. „Ich war ohnehin nicht der Torjäger. Zu mehr als acht bis zehn Saisontoren hat es bei mir nie gereicht“, teilt der dreifache Vater mit. Fehlende Tore habe er stets durch viel Engagement und durch das Vorangehen auf dem Feld wettmachen wollen: „Wenn ich auf dem Platz stand, war es mein eigener Anspruch, ein Führungsspieler zu sein.“
Durch die vergebene Großchance von Wohltmann blieb es bis zum Ende beim 2:2. „Wir sind erst einmal alle zusammengesackt, um durchzuatmen“, so Wohltmann. Der Schachzug mit Jens Jacobs, der in der 68. Minute eingewechselt worden war, ging nicht auf. „Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, Jens aufzustellen. Wegen seines gerade erst beendeten Urlaubs war er nicht in der Lage, seine gewohnte Leistung zu erbringen. Damals war ich aber total davon überzeugt, dass er uns helfen würde“, zeigt sich Martin Wohltmann selbstkritisch. Während Wohltmann in seinen zehn aktiven Jahren beim FC Hambergen meist als Libero aufgelaufen war, überließ er diesen Posten beim TSV Steden/Hellingst Ralf Zebandt. Im Aufstiegsspiel trieb Martin Wohltmann dafür seine Mitspieler von der Sechs aus an. „Mein langjähriger Trainer- und Arbeitskollege Werner Thoden hat mir immer vorgeworfen, dass ich bei meinen Offensivaktionen total berechenbar gewesen sei, weil ich immer über die rechte Seite vorstieß. Da hat er leider Recht“, räumt der Trainer des SV Arminia Freißenbüttel ein.
In den höchsten Tönen lobt Martin Wohltmann seinen damaligen Abwehrchef Ralf Zebandt. Dieser erklärte sich nach Ablauf der Verlängerung im Aufstiegsspiel auch ebenso wie Jörg Zebandt sofort bereit, Verantwortung für das Team zu übernehmen. Beide traten zum Elfmeter an und brachten ihre Farben auch mit 3:2 beziehungsweise 4:3 in Führung. Torsten Freye steuerte das 5:4 bei. „Torsten musste ich auch nicht zum Elfmeterschießen überreden“, sagt Martin Wohltmann. Jörg Puckhaber habe er aber schon in die Pflicht nehmen müssen. Dieser scheiterte auch prompt an Lenz. „Dabei war Jörg eigentlich eine coole Socke vom Punkt“, so Wohltmann. Weil Bülstedt aber auch einen Fehlschuss erlitt, blieben die Stedener im Rennen. Martin Wohltmann wäre als fünfter Schütze seiner Formation angetreten, überließ den Ball jedoch seinem Cousin und Torwart Stefan Wohltmann. „Er geht an solche Sachen auch immer positiv heran. Zweifel kennt Stefan gar nicht“, versichert Martin Wohltmann. Doch der Keeper rutschte mit seinem Standbein weg und beförderte die Kugel deshalb in Richtung Eckfahne. „Beim Training haben wir Stefan nur sehr selten gesehen. Ansonsten wäre für meinen Cousin sportlich auch mehr drin gewesen“, urteilt der langjährige Coach.
Wichels machte den Sack für den TSV Bülstedt/Vorwerk mit dem 6:5 zu. „Es herrschte eine riesige Enttäuschung. Aber unsere Stärke in Steden war es immer, wieder aufzustehen“, sagt Wohltmann. Gefeiert wurde trotz der unglücklichen Schlappe in der Vereinskneipe Bodenstab. „Eine Frustparty ist etwas ganz Besonderes. Wer so etwas noch nicht erlebt hat, der hat was verpasst“, betont Martin Wohltmann. Es seien sofort neue Pläne geschmiedet worden. Das Team blieb auch weitestgehend zusammen. Jens Jacobs schloss sich allerdings dem SV Blau-Weiß Bornreihe an. Nach dem Titelgewinn in der Kreisliga Osterholz in der Saison 1995/96 wurden Martin Wohltmann, Walter Wrieden, Jens Objartel und Co. mit der Kutsche vor der Hamberger Kirche abgeholt und zum Sportplatz nach Steden gefahren. „Dort war schon alles für die Aufstiegsparty angerichtet. Feiern war nie unser Problem in Steden“, scherzt Wohltmann. KH
Martin Wohltmann (62)
wuchs in der Jugend des TSV Wallhöfen auf, bei dem er sich bei seinem Wechsel zu den A-Junioren des Erzrivalen FC Hambergen den Zorn vieler Wallhöfener zuzog, der bis heute nicht verflogen ist. Ein Jahr später folgte ihm sein ein Jahr jüngerer Bruder Reinhard Wohltmann zu den „Zebras“. Deren Onkel Gerd Wohltmann ist eine Torwart-Legende beim TSV Wallhöfen, die wegen des „ungeschriebenen Gesetzes“ eines Wechselverbots jahrelang den Angeboten des SV Blau-Weiß Bornreihe widerstanden hatte. Nach einem Jahrzehnt im Herrenbereich des FC Hambergen wurde Martin Wohltmann drei Jahre Spielertrainer beim VfL Ohlenstedt, ehe er sich für acht Jahre in dieser Rolle dem TSV Steden/Hellingst anschloss. Hier begann er als Sechster der Kreisliga Osterholz und verbesserte sich in jeder Serie um genau einen Platz bis zum Titelgewinn im Jahre 1996. Nach zwei Jahren in der Bezirksklasse 3 trainierte Wohltmann acht Jahre den FC Hambergen und jeweils für drei Jahre den SV Nordsode und den 1. FC Osterholz-Scharmbeck. Inzwischen ist der mittlerweile pensionierte Polizeikommissar bereits seit zehn Jahren Coach beim SV Arminia Freißenbüttel in der 1. Kreisklasse Osterholz. Martin Wohltmann hat drei erwachsene Kinder, Kristin (31), Mareike (28) und Jan Wohltmann (25). Letzterer ist für den FC Hagen/Uthlede in der Oberliga Niedersachsen aktiv.
Aufstiegsspiel zur Bezirksklasse 3
TSV Steden/Hellingst - TSV Bülstedt/Vorwerk 5:6 (2:2; 1:1) n.E
Steden/Hellingst: Stefan Wohltmann - Drews, Torsten Freye, Rolf Müller (46. Marc Müller), Martin Wohltmann, Puckhaber, Brodtmann, Ralf Zebandt, Objartel (68. Jacobs), Jörg Zebandt, Ingo Freye
Bülstedt/Vorwerk: Lenz - Tietjen, Michael Börsdamm, Dodenhoff, Kahrs, Frank Börsdamm, Drewes, Wolfgang Jagels (76. Ingo Jagels), Andre Börsdamm, Böttjer (105. Jens Broßler), Wichels
Tore: 0:1 Michael Börsdamm (4.), 1:1 Ralf Zebandt (13. FE), 1:2 Böttjer (71.), 2:2 Jörg Zebandt (91.)
Elfmeterschießen: 3:2 Jörg Zebandt, 3:3 Dodenhoff, 4:3 Ralf Zebandt, 4:4 Michael Börsdamm, 5:4 Torsten Freye, 5:5 Frank Börsdamm, 5:5 Wichels
Weitere Informationen
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