Lilienthal. Das Beispiel, das der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes gewählt hat, ist nur gegriffen. Doch scheint es auf Lilienthal wie zugeschnitten zu sein. Jeweils drei Millionen Euro werden Kommunen mit 20 000 Einwohnern in den Jahren 2020 und 2021 in der Kasse fehlen, sagt Marco Trips, nachdem er die Zahlen der jüngsten Steuerschätzung ausgewertet hat. Der Lilienthaler Kämmerer Hartmut Schlobohm mag sich an solchen Prognosen zu den finanziellen Folgen der Corona-Pandemie nicht beteiligen, zumal es sich um Durchschnittswerte handelt und jede Kommune einzeln betrachtet werden müsste. „Jede Zahl, die ich jetzt nennen würde, wäre falsch“, sagt der Lilienthaler Finanzverwalter. Vor September werde es keine seriöse Einschätzung darüber geben können, wie groß das Loch ist, das die Krise in den Haushalt der Gemeinde reißt. Erst nach der außerordentlichen Steuerschätzung und Beschlüssen zu möglichen Hilfspaketen könne man Konkretes sagen.
Dass Einnahmen massiv wegbrechen, vor allem bei der Gewerbesteuer, aber auch beim Anteil an der Einkommensteuer, ist angesichts des Mitte März angeordneten coronabedingten Stillstands keine Frage mehr. Auch Lilienthal wird es treffen. Bürgermeister Kristian Tangermann berichtete vor einigen Tagen, dass der hoch verschuldeten Kommune als Folge der Corona-Krise schon jetzt rund 20 Prozent der üblichen Gewerbesteuer-Vorauszahlungen fehlen, die rund ein Drittel zu den Einnahmen der Gemeinde beitragen. Heißt: Lilienthal fehlt schon heute Geld in der Kasse, um die laufenden Ausgaben zu bestreiten. Und die Prognosen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung sind eher düster.
Noch nicht zu beziffern sind auch die Verluste, die sich durch die längere Schließung von Einrichtungen ergeben haben, so wie es beim Lilienthaler Hallenbad seit Mitte März der Fall ist. Die Kosten laufen weiter, Einnahmen fallen komplett aus. Auch die Volkshochschule Lilienthal, die ihre Wasserkurse für dieses Semester gestrichen hat, ist davon betroffen. Das restliche VHS-Programm wird derzeit wieder hochgefahren, und die Gebührenausfälle sollen dadurch eingegrenzt werden, dass viele Kurse nun bis in die Sommerferien hinein stattfinden sollen.
Wie hart es die Gemeinde letztlich treffen wird, hängt auch davon ab, was aus dem kommunalen Schutzschirm wird, wie ihn der Städte- und Gemeindebund inständig fordert. Die Diskussion über das Engagement von Bund und Ländern ist noch nicht abgeschlossen, von daher auch nicht abzusehen, was am Ende bei den Kommunen ankommt. Vorstellbar sind laut kommunalem Spitzenverband Garantien über die Höhe des kommunalen Finanzausgleichs, ein Ersatz für ausgefallene Steuereinnahmen oder gezielte und nachhaltige Investitionsprogramme. „Hier brauchen wir einen klugen Mix aus diesen Maßnahmen, um durch die Krise zu kommen. Dabei muss auch der Bund helfen“, sagt Marco Trips.
Die Idee von einem „Schutzschirm für die Kommunen“ stößt bei dem in Borgfeld lebenden emeritierten Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel auf Zuspruch. Er hält viel von dem Ansatz, dass Bund und Länder besonders verschuldeten Gemeinden unter die Arme greifen und die Altschulden übernehmen sollten. „Sicherlich würde die Gemeinde Lilienthal bei der Altschuldenentlastung berücksichtigt. Lilienthals Schuldenmisere ist maßgeblich nicht durch kommunales Missmanagement entstanden. Das zeigt auch das Beispiel der Linie 4. Diese Investment war und ist für eine zukunftsfähige Mobilitätspolitik erforderlich, aber überfordert die finanzielle Beteiligung der Gemeinde“, sagt Hickel. Lilienthal bewege sich grundsätzlich in einer Paradoxie. „Die Gemeinde wächst vor allem auch durch Zuwanderung. Aber die Finanzierung des erforderlichen Infrastrukturausbaus kommt nicht mit. Solange eine grundlegende Reform der Kommunen nicht machbar ist, müssen Bund und Länder helfen“, so Hickel.
Zur Infrastruktur gehört auch die Schroeterschule, die ab diesem Jahr neu gebaut werden soll, was unterm Strich zwischen zehn und zwölf Millionen Euro kosten dürfte. In der Lilienthaler Kommunalpolitik ist schon der Ruf laut geworden, das nach langer Diskussion beschlossene Projekt wegen der finanziellen Auswirkungen der Pandemie wieder auf Eis zu legen. Doch in der Gemeindeverwaltung laufen die Planungen für die Großinvestition in die Grundschule weiter. Laut Kämmerer Schlobohm muss man die Dinge voneinander trennen: Der Neubau der Schroeterschule werde über Kredite finanziert. Kritisch werde es erst dann, wenn Zinsen und Tilgung nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlt werden könnten. Doch im Moment stelle sich diese Frage nicht. Abzuwarten bleibt auch, ob die Gemeinde einen Nachtragshaushalt für 2020 auf den Weg bringen muss. Wenn er notwendig sein sollte, werde er wohl erst im letzten Quartal des Jahres verabschiedet werden, schätzt Schlobohm.