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VHS Lilienthal Experte gibt Eltern Tipps zum Thema Medienerziehung

Ab welchem Altern sollten Kinder frühestens soziale Medien nutzen? Welche Risiken ergeben sich daraus? Der Jugendpfleger Benjamin Gaum erzählt, was Eltern in der Medienerziehung beachten müssen.
02.11.2023, 05:00 Uhr
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Von Karolina Benedyk

Hinrichtungs- und Gewaltvideos sowie Aufrufe zu Mutproben kursieren in sozialen Netzwerken wie Instagram und Tiktok. Warum ist das besonders für Kinder und Jugendliche gefährlich?

Benjamin Gaum: Sie wollen dazugehören und mitreden. Jugendliche streben nach Anerkennung in ihrer Gruppe und suchen dort einen festen Platz. Der "Kick", für den die Grenzen überschritten werden, wirkt auf manche Kinder und Jugendliche faszinierend. Dass sie das Gesehene nicht oder nicht ausreichend verarbeiten können, haben sie nicht im Hinterkopf. Angst- und Schlafstörungen sind oftmals die Folge. Alpträume können auftreten. Wir kennen auch Fälle, bei denen zum Schlafen immer das Licht an bleiben muss. Das Ganze kann zu einem Trauma führen. Die sogenannten "Challenges" können sehr gefährlich sein und es kommt immer wieder zu Verletzten oder Todesopfern, wie zuletzt bei der Hot-Chip-Challenge.

Welche Risiken ergeben sich darüber hinaus aus der Nutzung sozialer Medien?

Zum einen ist die Datensicherheit zu nennen. Viele persönliche Daten wie Namen und Bilder sind auf Servern gespeichert. Medien analysieren unser Nutzungsverhalten und passen ihren Inhalt daran an, sodass sich Kinder darin verlieren können. Oftmals haben Jugendliche öffentliche Profile, das heißt, jeder kann die Sachen sehen, die dort gepostet werden. Das birgt viele Gefahren.

Welche zum Beispiel?

Gerade das Phänomen "Cybergrooming" hat in den letzten Jahren zugenommen. Erwachsene Menschen geben sich dabei als Kinder oder Jugendliche aus, um eine Beziehung mit den Betroffenen einzugehen. Die Ziele dahinter sind sexualisierte Gespräche, Bilder oder das Kennenlernen im realen Leben. Cybermobbing, Extremismus, Hass, Fake News oder Hetze können einem auch begegnen. Ein Punkt, den wir in der Praxis oft sehen: Jugendliche versuchen, Streit über Whatsapp und andere Dienste zu klären. Das führt in der Regel zu mehr Missverständnissen. Deshalb empfehle ich, Streitigkeiten persönlich zu klären.

Wie können sich diese Risiken auf Kinder auswirken?

Die bunte, perfekte Welt der sozialen Medien kann zu einem falschen Selbstbild führen. Eltern müssen ihren Kindern vermitteln, dass auf sozialen Medien fast ausschließlich positive Sachen gepostet werden, die in der Häufigkeit im "normalen" Leben so nicht vorkommen. Das ständige Bewertetwerden durch Likes kann Kinder traurig machen und zu Selbstzweifeln führen. Das fehlende Zeitgefühl kann zu einer überdurchschnittlichen Nutzung führen, oder sogar in einer Sucht münden. Die Jugendlichen sind nochmal mehr als wir Erwachsene empfänglich für Werbung und Spam. Um Spontankäufe zu vermeiden, empfehle ich, keine Bankverbindungen auf den Geräten der Kinder und Jugendlichen zu hinterlassen. Auch haben Kinder und Jugendliche wegen des ständigen neuen Contents Angst, etwas zu verpassen. Das löst Stress aus und kann zu Schlafstörungen führen.

Ab welchem Alter ist die Nutzung sozialer Medien sinnvoll?

Zunächst würde ich der Altersbeschränkungen der einzelnen Plattformen folgen. So sind Instagram, Tiktok und Snapchat beispielsweise ab 13 Jahren und Whatsapp ab 16 Jahren nutzbar. Das hat vor allem mit der Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der Speicherung personenbezogener Daten zu tun. Um eine Zustimmung zur Verarbeitung personenbezogener Daten einzuholen, haben die Online-Plattformen zwei Optionen: Entweder, sie richten ihr Angebot nur noch an Nutzerinnen und Nutzer über 16 Jahre, oder sie holen für jüngere Kinder die Einverständniserklärung der Eltern oder Erziehungsberechtigten ein. Wichtig ist aber, dass Jugendliche Medienkompetenzen erwerben. Folgende Fragen sollten die Nutzer beantworten können: Wie kommuniziere ich über die sozialen Medien? Kläre ich Streitigkeiten im realen Leben? Können meine Eltern mit mir über die Gefahren und Risiken sprechen, wie Cybermobbing und Cybergrooming? Welche persönlichen Daten gebe ich preis? Habe ich ein Bewusstsein dafür, was ich poste?

Wie können Eltern ihre Kinder schützen?

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang sind Regeln, die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind vereinbaren. Kinder brauchen Leitplanken. Als Elternteil sollte ich mir überlegen, wie ich als Familie diese Dienste nutzen möchte und wie mein Kind sich dort bewegen soll. Hierzu zählt auch das Festlegen der Nutzungszeit. Zudem können je nach Betriebssystem Sicherheitsvorkehrungen angepasst werden. Es gibt dort verschiedene Einstellungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel weniger persönliche Daten gespeichert werden. Mit Jugendlichen sollten Eltern besprechen, Daten nicht an fremde Personen weiterzugeben. Außerdem sollte ein Bewusstsein geschaffen werden, dass alles, was einmal im Internet ist, auch dort bleibt. Die getätigten Einstellungen sollten Eltern regelmäßig überprüfen und anpassen. Zudem sollte alles durch ein sicheres Passwort gesichert sein.

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Reicht das?

Solche Maßnahmen schließen nicht komplett aus, dass es zu Problemen kommen kann und an einigen Stellen auch mal wird. Wichtig ist es, eine offene Kommunikation, das Ernstnehmen bei Problemen und einen lösungsorientierten Ansatz bei der Problembehebung zu behalten.

Wie weit sollten Eltern in die Nutzung ihrer Kinder eingreifen?

Wenn Kinder die Nutzung zu sehr ausdehnen, sollten Eltern auf jeden Fall eingreifen. Mit zunehmendem Alter kann die Regel aber immer mehr aufgeweicht werden. Wenn man als Eltern ein komisches Bauchgefühl hat, wenn sich das Kind über einen längeren Zeitraum anders verhält, ausweichend auf Fragen reagiert, kann ich als Elternteil einschreiten. Eine aufmerksame Medienerziehung ist heutzutage enorm wichtig.

Welche Vorteile können soziale Netzwerke haben?

Wir lernen, soziale Fähigkeiten auszubilden und zu verfestigen. Durch den Kontakt mit anderen Menschen, können wir eine Beziehung aufbauen und diese pflegen. Wir können Gedanken teilen. Gerade für Jugendliche ist es wichtig, sich zugehörig zu fühlen. Online-Communities können bei der Abnabelung von den Eltern im Jugendalter helfen und den Freiraum bieten, unter sich sein zu können. Neben Familie, Schule und Peer-Group werden soziale Medien auch als "Sozialisationsinstanz" bezeichnet.

Das Interview führte Karolina Benedyk. 

Zur Person

Benjamin Gaum

arbeitet als Jugendpfleger der Samtgemeinde Tostedt, aus der er auch kommt. Der 34-Jährige gibt nebenbei als Eltern-Medien-Trainer Elternabende zu Medienthemen an der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen und ist Fußballtrainer. Er hat eine fast dreijährige Tochter.

Zur Sache

Internetseiten zur weiteren Lektüre

Gaum nutzt selber klicksafe.de oder schau-hin.info. Um sich über Spiele zu informieren, empfiehlt er die Seite spieleratgeber-nrw.de. Bei flimmo.de können sich Eltern über Filme und Fernsehen erkundigen. Internet-abc.de ist eine gute Seite für Kinder und Erwachsene, um sich über viele Themen im Bereich Internet zu orientieren, so Gaum. Über kindgerechte Apps kläre bestekinderapps.de auf. Wer gemeinsame Regeln im Umgang mit Medien aufstellen möchte, beziehungsweise sich hierfür inspirieren will, kann mediennutzungsvertrag.de aufsuchen. Für Jugendschutzprogramme sei JusProg.de hilfreich.

Info

Benjamin Gaum hält am Mittwoch, 15. November, einen Online-Elternabend für Eltern von Kindern zwischen zehn und 14 Jahren über "Soziale Netzwerke und ihre Risiken". Die Teilnahme bietet die Volkshochschule Lilienthal in Kooperation mit der Volkshochschule Buxtehude an. Anmelden können sich Eltern auf der Internetseite vhs-buxtehude.de unter der Kursnummer 23H66710, telefonisch unter 04161/ 743 40 und per Mail unter vhs@stadt.buxtehude.de. Die Veranstaltung ist kostenlos und findet zwischen 19 und 21 Uhr statt.

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