Lilienthal. Wenn Harald Kühn das Emmi-Brauer-Haus in der Feldhäuser Straße in Lilienthal betritt, öffnet sich die Welt der Archive. Der Mann vom Heimatverein weiß, wo sich welches Zeitdokument befindet. Das Schicksal der jüdischen Fotografenfamilie Frank lässt den 75-Jährigen nicht los. Gemeinsam mit seinem Freund Peter Richter recherchierte er so lange, bis ein Buch dabei herauskam: „Als die Hoffnung starb...“ beschreibt den verzweifelten Kampf einer unbescholtenen Fotografenfamilie gegen die Judenverfolgung im Dritten Reich. Kühn: „Der Holocaust war mitten unter uns.“
Der ehemalige Banker kramt alte Schwarz-Weiß-Bilder hervor. Die Motive des Fotografen Julius Frank sind preisgekrönt und zeigen vor allem die Weite der Landschaft und Menschen bei der Arbeit – Erinnerungen in Sepia an eine Zeit, als die Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte. Noch zur 700-Jahr-Feier der Gemeinde Lilienthal 1932 war die Fotografenfamilie für die offiziellen Fotos vom Fest engagiert. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 aber zog sich die Schlinge der NS-Diktatur langsam zu. Kühn: „Es war ein schleichender Prozess der Ausgrenzung.“
So durfte Julius Frank am Weihnachtsschauturnen 1935 nicht mehr teilnehmen. Das traf den Sportler sehr. Freunde und Bekannte schauten auf der Straße einfach weg, weil sie Nachteile befürchteten, wenn sie einen Juden grüßten. Seine Freundin Hildegard konnte Julius nur noch heimlich treffen. Niemand durfte erfahren, dass er mit einer Arierin verkehrte. Schließlich blieben die Aufträge aus, und Julius Frank verlor seine Existenz. Harald Kühn will niemanden verurteilen und doch fragt er sich, wie es soweit kommen konnte. Nachdenklich brütet der Ruheständler über den Akten. „Der Feind der Freiheit ist die Gedankenlosigkeit“, sagt er schließlich.
Kühn weiß, was Flucht bedeutet. Er kam 1945 mit seiner Familie aus Westpreußen nach Lilienthal. Sein erstes Passfoto hat Kühn bei Fotograf Hahn in Lilienthal machen lassen, der das Geschäft der Franks in der Hauptstraße übernommen hatte. Aus einer Zeitungsanzeige von damals geht hervor, dass es sich fortan um ein „rein arisches Unternehmen“ handelte. Erst später begriff Kühn, dass die Franks nicht einfach nach Amerika ausgewandert waren, wie man sich in Lilienthal erzählte. Tatsächlich war die Familie vor dem braunen Terror geflohen.
In einer Nacht- und Nebelaktion brachte der spätere Bürgermeister Heinrich Viebrock den damals 22-jährigen Julius Frank nach Hamburg. Von dort fuhr der Fotograf mit dem Schiff nach New York in die Freiheit. Seine Freundin Hilde folgte ihm nach Detroit und heiratete ihn. Mutter Johanna emigrierte ebenfalls in die USA. Bruder Ludwig wurde in der Pogromnacht 1938 verhaftet und ins Konzentrationslager Oranienburg gebracht. Nach seiner Entlassung begann er zu stottern und konnte seinen Beruf als Schauspieler nicht mehr ausüben. Er wanderte 1939 über England nach Kanada aus.
Ohne Harald Kühn und Peter Richter hätten die Menschen in Lilienthal wohl nie erfahren, was aus der Fotografenfamilie Frank geworden ist. „Dabei gab es doch in fast jedem Familienalbum Fotos von Julius Frank“, sagt Kühn. „Wir mussten einfach herausfinden, wo sie geblieben sind.“ Im Staatsarchiv in Hannover fanden die Heimatforscher schließlich einen Hinweis auf Julius Frank in Kalifornien. Wie es die US-Post schaffte, den Brief ohne Adresse zuzustellen, weiß Harald Kühn bis heute nicht. Jedenfalls erreichte die Anfrage des Heimatvereins die Kinder von Hilde und Julius Frank.
Michael und Barbara Frank nahmen die Einladung des Heimatvereins an und kamen 2006 mit ihrer damals 91-jährigen Mutter nach Lilienthal. „Der Besuch war eine Aussöhnung, keine Wiedergutmachung“, meint Kühn. Erst vor ein paar Wochen haben sich die Geschwister wieder bei Harald Kühn gemeldet. Sie wollen den Nachlass ihres Vaters dem Focke-Museum in Bremen zur Verfügung stellen. Dort steht bereits die Atelierkamera aus dem Lilienthaler Studio.
Preisgekrönte Fotografien von Julius Frank finden sich im Nachlass, nicht nur aus der Lilienthaler Zeit, sondern auch aus seiner Zeit als Architekturfotograf in Amerika. Harald Kühn möchte die Erinnerung an die Franks wachhalten und freut sich umso mehr, dass die Gemeinde die zentrale Erschließungsstraße im Neubaugebiet am Goosort nach dem Fotografen benannt hat. Kühn: „Die Menschen, die dort einziehen, werden sich irgendwann fragen, nach wem ihre Straße benannt ist, und dann werden wir eine Antwort geben können.“
Nähere Informationen sowie eine Online-Ausgabe des Buches „Als die Hoffnung starb...“ im Internet unter der Rubrik Bibliothek auf www.heimatverein-lilienthal.de.
Blumenniederlegung
An diesem Mittwoch gedenkt die Gemeinde Lilienthal der Opfer des Nationalsozialismus. Um 13 Uhr wird Bürgermeister Kristian Tangermann Blumen vor dem Atelier Kühn in der Hauptstraße 44 niederlegen. Dort hat der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in den Gehweg eingelassen, die an die jüdische Fotografenfamilie Frank erinnern. Die Familie musste ihr Wohn- und Geschäftshaus 1936 verlassen und floh vor den Nazis nach Amerika.
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An diesem Mittwoch gedenkt die Gemeinde Lilienthal der Opfer des Nationalsozialismus. Um 13 Uhr wird Bürgermeister Kristian Tangermann Blumen vor dem Atelier Kühn in der Hauptstraße 44 niederlegen. Dort hat der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in den Gehweg eingelassen, die an die jüdische Fotografenfamilie Frank erinnern. Die Familie musste ihr Wohn- und Geschäftshaus 1936 verlassen und floh vor den Nazis nach Amerika.