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Die Stadt der Zukunft "Die Verkehrswende ist möglich - sofern sie gewollt ist"

Wie müssen sich Städte und Gemeinden in Zeiten des Klimawandels verändern? Stadtplaner Lars Zimmermann hat dazu konkrete Vorstellungen und sagt auch, wie viel Zeit wir noch haben.
11.05.2023, 17:18 Uhr
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Von André Fesser

Herr Zimmermann, was können Städte und Gemeinden tun, um dem Klimawandel zu begegnen?

Lars Zimmermann: Eine ganze Menge und vor allem viel mehr, als wir aktuell tun. Wenn wir uns die Studien ansehen, können wir erkennen, dass wir hier ein Klima bekommen werden, das dem von Mittel-Italien oder auch Spanien ähneln wird. Dabei reden wir nicht über die nächsten hundert Jahre, sondern über einen Zeitraum bis 2050. Der Handlungsdruck ist enorm. Und ich glaube, das ist weder in der Bevölkerung noch in der Politik richtig angekommen. Das Thema der Klimaanpassung ist existenziell für die Art, wie wir leben.

Wie müssen Städte und Gemeinden auf die Herausforderung reagieren?

Wir müssen unser Agieren im Alltag an allen Stellen auf die Klimathematik hin überprüfen und anpassen. Die zukunftsfitte Stadt muss auf jeden Fall anders funktionieren, als es wir derzeit vor der Haustür erleben. Das betrifft zum Beispiel den Verkehr, bei dem sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas getan hat. Durch eine Verkehrswende würden zugleich Flächen in der Stadt frei, die für Klimaanpassungsmaßnahmen und eine andere Mobilität zur Verfügung stünden.

Sie meinen, für den Radverkehr.

Zum Beispiel. Aber auch für den Fußverkehr. 50 Prozent aller Strecken, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sind kürzer als fünf, 70 Prozent kürzer als zehn Kilometer. Ich fahre in Hamburg nur noch mit dem E-Bike, es ist gar kein Problem, damit solche Strecken zu überwinden. Und dann sprechen wir über einen Energieeinsatz, der nur einem Bruchteil dessen entspricht, was ein Auto verbraucht.

Eine neue Mobilität ist also der Schlüssel?

Sie ist eine Grundvoraussetzung für die Klimaanpassung. Gerade in Städten ist der Hitzeinsel-Effekt ein Riesenthema. Denn durch die vielen asphaltierten Flächen heizt sich der Stadtraum viel mehr auf als auf dem Land. Für uns als Menschen und für Tiere bedeutet das Stress. Jährlich sterben Tausende Menschen an Kreislaufproblemen, die auf Hitzeperioden zurückzuführen sind. Hitzephasen mit 40 Grad und mehr wie im vergangenen Jahr in Frankreich hat man vor nicht so langer Zeit erst für 2050 vorhergesagt. Die Loire trocknet aus, der Rhein trocknet aus, wir werden häufiger mit solchen Ereignissen zu tun haben.

Welche Ideen haben Sie noch?

Neben der Mobilitätswende braucht es auch eine Energiewende, eine Wärmewende. Die Häuser müssen effizienter geheizt werden und das nicht mit fossilen Brennstoffen.

Dieses Thema fliegt dem Wirtschaftsminister gerade um die Ohren.

Wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen, aber noch zehn Jahre lang mit Öl und Gas heizen, haben wir irgendwann ein Problem mit unserem Ziel. Transformation bedeutet Investition und Anpassung, es braucht ein Mitgehen der Bevölkerung und finanzielle Unterstützung. Am Ende zählt allein, dass wir auf null kommen. Es geht nicht anders.

Was bedeutet das alles für eine Gemeinde wie Lilienthal, 20.000 Einwohner, ländlich geprägt mit Vorstadtcharakter und Straßenbahnanschluss?

Viele dieser Menschen arbeiten in Bremen. Wenn wir also bei der Mobilität bleiben, muss man attraktive Angebote schaffen, damit Menschen merken, dass sich der Umstieg lohnt. Es braucht einen guten ÖPNV mit Fahrten bis in den späten Abend, Carsharing-Angebote und ein gutes Radwegenetz auch für Ältere und Kinder. Aus der Städteplanung weiß man, dass eine Stadt dann lebenswert ist, wenn sich Menschen zwischen 8 und 80 allein und sicher problemlos von A nach B bewegen können. Das sorgt für Belebung, es kommt zu Begegnungen. Und das ist nach meiner Beobachtung immer dort der Fall, wo Autos eine geringe Rolle spielen.

Wen sehen Sie in der Pflicht, das alles umzusetzen? Will man mehr Busverkehr, braucht es mehr Busfahrer, Tempo 30 ist vielerorts eine Illusion und selbst wenn man Dinge verändern wollte, dauert es sehr lange.

Es muss nicht lange dauern. Es gibt gute Beispiele aus dem Ausland: Kopenhagen, Paris, Amsterdam, Brüssel. Dort sind aber auch immer Leitbilder von der Administration ausgegeben worden und dann sehr schnell mit einer guten Kommunikationsbegleitung umgesetzt worden. Es funktioniert meiner Ansicht nach vor allem top-down, von oben nach unten also, schnell und nicht halbherzig. Denn das stellt niemanden zufrieden.

Sie sprechen über Städte, aber was bedeutet das für den ländlichen Raum?

In erster Linie braucht es auch dort eine Verkehrswende und damit verbunden eine Antriebswende. Um es klar zu sagen: Die Zeit des Verbrenners ist vorbei. Sämtliche Hersteller setzen auf E-Mobilität. Sharing-Angebote, auch im privaten Bereich, sind ebenfalls Möglichkeiten: Kann ich mit meinem Nachbarn oder in meinem Dorf nicht so etwas machen? Ein Auto kostet monatlich unheimlich viel, steht aber 23 Stunden am Tag herum. Kann ich das nicht teilen? Dann braucht es die Stärkung des ÖPNV. Das ist aber eine Kostenfrage, weil die Personendichte auf dem Land nicht so hoch ist, und der Staat immer bezuschussen muss. Und ich sage es noch mal: Auch der Radverkehr muss ausgebaut werden.

Sie definieren den Bedarf, aber was davon schaffen wir bis Mitte des Jahrhunderts?

Eine Verkehrswende mit Verbesserung des Rad- und Fußverkehrs und – ich sage es ganz offen – auf Kosten des Autoverkehrs ist innerhalb von zehn Jahren möglich, sofern sie gewollt ist. Straßen lassen sich schnell in Pop-up-Radwege umwidmen, das haben wir in der Coronazeit erlebt. Der Ausbau des ÖPNV ist möglich. Das bedarf Investitionen und Planungen, die wir jetzt anschieben müssen. Die Notwendigkeit ist da, in Deutschland ist auch das Geld da. Es ist nur eine Frage des politischen Willens.

Das Interview führte André Fesser.

Zur Person

Lars Zimmermann, 45,

ist Architekt und Gründer der Agentur Cities for Future in Hamburg, die Städte, Gemeinden und Unternehmen beim Thema Stadtentwicklung und Klimaanpassung berät. Er hat mehr als acht Jahre in den Niederlanden gelebt.

Zur Sache

VHS sagt Diskussionsabend ab

Gemeinsam mit dem Architekten Cyrus Zahiri und Stefanie Nöthel aus dem Bauministerium in Hannover sollte Lars Zimmermann an diesem Donnerstag in Murkens Hof in Lilienthal über die Frage sprechen, wie sich Städte in Zeiten des Klimawandels verändern müssen. Bis zum Beginn dieser Woche waren aber nur wenige Karten verkauft, sodass die Volkshochschulleitung die Veranstaltung abgesagt hat.

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