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Trauerbegleiterin im Interview „Trauer ist keine Krankheit“

Bärbel Techentin-Bohn arbeitet ehrenamtlich als Trauerbegleiterin. Im Interview erzählt sie, wie es ihr dabei geht, und welche Wege Trauernde einschlagen können, um mit dem Verlust umzugehen.
11.12.2020, 11:00 Uhr
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„Trauer ist keine Krankheit“
Von André Fesser
Frau Techentin-Bohn, Sie begleiten Menschen beim Trauern und beim Sterben. Was treibt Sie an, das zu tun?

Bärbel Techentin-Bohn: Für mich war immer klar, dass ich nicht in den Ruhestand gehen möchte, um meinen Garten zu machen. Ich wollte die Arbeit, die ich mein Leben lang gern gemacht habe, auch ehrenamtlich fortsetzen. Ich hatte an der Uni meine Abschlussarbeit zum Thema Trauerarbeit geschrieben und hatte somit auch ein Konzept dafür. Daher habe ich dem Amtmann-Schroeter-Haus und der katholischen Gemeinde in Lilienthal vorgeschlagen, so etwas auch anzubieten. Jetzt mache ich im Amtmann-Schroeter-Haus eine Trauersprechstunde und Trauerspaziergänge. Und in der Gemeinde Guter Hirt biete ich mit meiner Kollegin Bärbel Meyer ein Trauercafé an.

Könnte das jeder machen: sich mit Menschen hinsetzen und über ihre Trauer reden?

Es empfiehlt sich, zuvor eine Ausbildung zu machen. Es braucht Erfahrung und das Bewusstsein, dass Trauer nicht bei jedem gleich ist.

Wie meinen Sie das?

Trauer ist keine Krankheit, sondern ein Prozess, den man durchmachen muss. Jeder Mensch empfindet Trauer, wenn er einen Verlust hat, sei es ein Haustier, eine Beziehung. Wir trauern durch unser ganzes Leben. Und wenn dann ein Partner, eine Freundin, eine gute Vertraute stirbt, entsteht eine neue Situation.

Wie kommen die Unterschiede beim Trauern zustande?

Das hängt damit zusammen, wie eng man den Menschen in den letzten Jahren begleitet hat. Hat man den Partner beispielsweise gepflegt und konnte sich darauf vorbereiten? Oder gibt es einen harten Schnitt – geht zum Beispiel der Mann morgens zur Arbeit und kommt nicht wieder? Das habe ich erlebt: Das Paar zehn Jahre verheiratet, ein kleiner Junge, dann der Herzstillstand. Das sind die schwierigsten Trauerfälle, weil sie aus heiterem Himmel kommen und erstmal nicht zu begreifen sind.

Bei einer Pflegebeziehung ist das anders?

Wer seinen Partner pflegerisch begleitet hat, hat sein Leben darauf eingestellt. Ich kenne Frauen, die ihren Partner über zehn Jahre zu Hause gepflegt haben. In den Trauergesprächen ging es dann oftmals weniger um den Verlust des Partners, als vielmehr um den Wegfall der Lebensaufgabe.

Wie äußert sich die Trauer bei den Menschen?

Einige werden depressiv, andere aggressiv. Es gibt jene, die eine ganze Zeit lang handlungsunfähig werden und wieder andere müssen in psychiatrische Behandlung. Damit kann ein Laie nicht einfach so umgehen. Und so kommen Menschen wie ich ins Spiel. Ich habe Abstand, ich bin nicht die Mitfühlende. Sondern ich gucke, was dieser Mensch braucht. Die meisten meiner Gesprächspartner sind schon zufrieden, wenn sie erzählen können, wie ihr Alltag läuft.

Was ist das größte Problem der Trauernden?

Die Einsamkeit. Manchmal werde ich zu Hause angerufen und gefragt, ob wir nicht mal zehn Minuten reden können. Dann höre ich mir das an, bestärke, gebe einen Tipp. Ich bin aber keine Therapeutin.

Haben Sie für jeden Fall eine Lösung?

Ich habe eine Idee davon. Manchmal ergeben sich die Lösungen aber auch im Verlauf der Gespräche in unserem Trauercafé. Das muss ich zwar steuern, aber im Wesentlichen bin es gar nicht ich, die zur Hilfe beiträgt, sondern es ist die Gruppe.

Gibt es da ein Richtig und ein Falsch bei den Ratschlägen, die aus der Gruppe kommen?

Nicht alles ist richtig und dann hake ich da auch ein. Denn nicht alle sind ja gleich gestrickt. Einer ist draufgängerisch, ein anderer nachdenklich, ängstlich. Vor allem muss man den Unterschied zwischen Mann und Frau sehen. Beide trauern anders.

Wie denn?

Frauen weinen viel, Männer weniger. Männer erzählen wenig und schlucken vieles runter.

Käme in Ihrer Gruppe jeder zurecht?

Es kommt drauf an. Wenn in der Gruppe die Älteren dominieren, die über ihre gelebten Leben sprechen, könnte es sein, dass sich für einen jungen Menschen eher ein anderes Format anbietet.

Lehnen Sie auch Menschen ab?

Es gibt Extremfälle, die in der Gruppe nicht funktionieren, weil sie zu dominant sind oder sich nicht an die Regeln halten. Darüber spreche ich mit ihnen. Vielleicht sind sie dann ein Fall für den Hausarzt oder einen Therapeuten. Denn wir sind vor allem ein Trauercafé, ein Gesprächskreis.

Nehmen Sie für sich selbst denn auch was aus der Trauerarbeit mit? Oder geben Sie nur?

Es ist beides. Ich bekomme ganz viel zurück. Ich finde aber auch, dass jedes Ehrenamt etwas zurückgibt. Und ich habe mir nie die Frage gestellt, warum ich das mache, sondern immer das Gefühl gehabt: Das ist mein Leben.

Wenn Ihnen nach einem Ehrenamt ist, könnten Sie auch beim Schulfest Waffeln backen. Bei der Trauerarbeit aber sitzen Menschen vor ihnen, die nicht mehr weiterwissen und denen doch nicht damit geholfen ist, dass sie eine Stunde mit Ihnen reden.

Doch! Ich bin so etwas wie eine Moderatorin, die den Betroffenen hilft, ihren Weg zu finden. Trauernde brauchen Ansprechpartner, finden sie aber oftmals nicht in der Familie oder im Freundeskreis, weil man dort sagt: Hör auf damit, ich kann das nicht mehr hören. Aber Trauer hört ja nicht einfach auf. Früher hat man von einer Trauerzeit von einem Jahr gesprochen. Dabei gibt es Menschen, die länger trauern. Ich kenne eine Frau, bei der die Trauer jedes Mal neu aufbricht, wenn sich der Todestag des Partners jährt. Das ist ein Prozess, der bearbeitet werden muss.

Sie sagten mal, dass die Leute Sie auch zu Hause anrufen können. Setzen Sie sich auch selbst Grenzen, etwa, wenn am Heiligen Abend das Telefon klingelt?

Ich lasse die Leute nicht hängen, aber ich setze mir Zeitlimits. Ich spreche dann ein paar Minuten mit dem Anrufer, empfehle dann aber den Besuch der Trauersprechstunde und gebe ihm einen Termin. Oder ich rate zum Arztbesuch.

Wie geht es Ihnen dabei?

Wer sich auffressen lässt von solchen Sachen, der bekommt Magenschmerzen und geht unter. Ich kann ganz gut abschalten. Was mich beschäftigt, nehme ich mit in den Garten und bearbeite es im Blumenbeet.

Gibt es ein Erfolgsrezept beim Umgang mit der Trauer?

Die Wege sind unterschiedlich. Am Anfang steht oft die Schockstarre, darauf folgen dann die Akzeptanz und dann eine Phase, in der man dem Verstorbenen einen neuen Platz zuweist.

Wie geht das?

Zum Beispiel mit Ritualen. Man hat ein Bild, man geht auf den Friedhof oder auch nicht. Diesen Prozess durchläuft man immer wieder mal neu. Das Unfassbare kommt mitunter auch wieder hoch. Der Körper sucht sich Wege, das alles abzuarbeiten. Manche lassen das einfach raus. Andere schlucken es runter und bekommen Magengeschwüre und Depressionen.

Gibt es den einen Ratschlag, den Sie Trauernden mit auf den Weg geben können?

Nicht allein bleiben. Jemanden suchen, mit dem man reden kann. Nichts runterschlucken. Und ganz wichtig: Zu wissen, dass man nichts falsch machen kann.

Das Gespräch führte André Fesser.

Zur Person

Zur Person

Bärbel Techentin-Bohn

ist Sozialwirtin, hat 36 Jahre lang in der Altenpflege gearbeitet und zuletzt ein Seniorenzentrum in Bremen-Oslebshausen geleitet. Sie leistet ehrenamtlich Hospizarbeit in Bremen-Nord und Osterholz-Scharmbeck und bietet in Lilienthal ein Trauercafé an. Sie ist Mutter von vier Töchtern und lebt mit ihrem Mann in Lilienthal-Seebergen.

Info

Zur Sache

Trauerangebote in Lilienthal

Die Trauersprechstunde ist ein Angebot für Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben. Sie findet jeweils am letzten Mittwoch eines Monats in der Zeit von 10 bis 12 Uhr im Amtmann-Schroeter-Haus in der Hauptstraße 63 in Lilienthal statt. Zur Teilnahme bedarf es einer Anmeldung. Das zweistündige Trauercafé bieten Bärbel Techentin-Bohn und Bärbel Meyer einmal monatlich in den Räumen der katholischen Gemeinde in der Sternwartestraße 5 an. Das Angebot ist konfessionsübergreifend. Auskunft über Teilnahmemöglichkeiten gibt es bei Bärbel Techentin-Bohn unter der Nummer 0176/ 55115167.

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