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Virus-Welle in Lilienthal Wenn plötzlich die halbe Klasse fehlt

Die Schulen und Kindergärten verzeichnen derzeit einen auffällig hohen Krankenstand. Die Zahl der Atemwegsinfektionen ist steil nach oben gegangen, die Welle schwappt viel früher als üblich über das Land.
03.12.2022, 05:00 Uhr
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Wenn plötzlich die halbe Klasse fehlt
Von Lutz Rode

Lilienthal. Wer in diesen Tagen in der Praxis der Lilienthaler Kinderärzte Birgit Vogel, Tatjana Kieschnick und Jörg Meyer-Seifert anruft, muss schon Geduld mitbringen, um durchzudringen. Viel Betrieb ist dort eigentlich immer, doch seit die RS-Viruswelle übers Land schwappt und vor allem bei Kindern zu schweren Atemwegsinfektionen führt, fällt der Ansturm noch mal spürbar höher aus. Dass viele Kinder aktuell krank sind, merken auch die Schulen und Kindertagesstätten in der Region.

Am Dienstag konnte an der Kooperativen Gesamtschule Tarmstedt der komplette neunte Jahrgang nicht beschult werden. Und das Osterholzer Gesundheitsamt meldet, dass an den Kitas, die sich an einem speziellen anonymisierten Meldesystem beteiligen, der Krankenstand in der vergangenen Kalenderwoche bei einem Viertel aller Kinder lag.

Dass das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) grassiert, ist für Kinderarzt Jörg Meyer-Seifert nichts Neues. Jährlich gebe es diese Welle, doch in diesem Jahr sei sie ungewöhnlich früh dran. Die übliche Influenza, die klassische Grippe also, komme noch dazu. "Die große Grippewelle registrieren wir sonst eigentlich erst ab Januar bis März, doch diesmal ging es schon im Oktober los", sagt der Mediziner. Dass Kinder anfälliger sind, hat nach seiner Einschätzung auch mit der Pandemie und dem Lockdown zu tun: Weil die Kontakte eingeschränkt gewesen sind, haben die Kinder viele Infekte im vergangenen Jahr nicht durchgemacht. Jetzt, wo alle wieder zusammen sind, kommen sie mit Wucht zurück.

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Ob das RS-Virus zugeschlagen hat, ist für Eltern im Grunde nicht zu erkennen. "Wenn die Kinder angestrengt atmen, beim Atmen Geräusche entstehen, sie richtig schlapp sind und mehrere Tage Fieber haben und sie auch nicht mehr trinken wollen, ist das ein Hinweis darauf", sagt Kinderarzt Meyer-Seifert. Er merkt im Praxisalltag, dass viele Mütter und Väter verunsichert sind, wie sie den Zustand ihrer Kinder einschätzen sollen. "Manche Kinder, die zu uns in die Praxis kommen, haben nur einen leichten Schnupfen, andere sind richtig schwer krank", berichtet er. Medikamente gegen die Virus-Infektionen setzt der Kinderarzt nicht ein, weil sie nicht wirklich helfen. Hausmittel wie Tee mit Honig seien angesagt, aber vor allem Geduld: "Einfach Zeit nehmen, um sich auszukurieren", lautet der Tipp des Kinderarztes. 

Auch die beiden weiterführenden Lilienthaler Schulen bekommen die aktuelle Viruswelle zu spüren: Am Dienstag etwa gab es am Gymnasium rund 120 Schülerinnen und Schüler, die sich krankheitsbedingt vom Unterricht abgemeldet haben. Die Krankenstandsquote habe an diesem Tag bei fast zehn Prozent gelegen. Schulleiter Denis Ugurcu nennt die hohe Zahl der Krankmeldungen "auffällig, aber nicht besorgniserregend".

Die Nachfrage an der IGS ergibt ein ähnliches Bild: "Tatsächlich sind viele Schülerinnen und Schüler krank. Diese grippalen Infekte verteilen sich aber sehr unterschiedlich. Es gibt durchaus Fehlquoten von 30 oder fast 50 Prozent. Dies sind aber Einzelfälle und nicht die Regel", berichtet Gesamtschuldirektorin Karina Kögel-Renken. Aus dem Trupermoorer Kinderkahn kommt wiederum die Rückmeldung, dass ein erhöhter Krankenstand seit einigen Wochen wellenartig spürbar sei, sowohl im Team als auch bei den Kindern. "Gerade genesen, kommt die nächste Erkrankungsphase gleich hinterher und hält sich oftmals hartnäckig. Die Krankheitsbilder sind vielseitig", berichtet Kita-Leiterin Ramona Felski.

Früher Anstieg der Influenza-Fälle

Aufmerksam beobachtet wird das Infektionsgeschehen auch im Osterholzer Gesundheitsamt. Die Behörde bestätigt die Erfahrungen der Kinderärzte: Coronabedingt sei die übliche Grippe in den vergangenen zwei Jahren praktisch nicht existent gewesen, in diesem Jahr werde dagegen derzeit ein außergewöhnlich früher Anstieg der Influenzafälle beobachtet.

"Von einem Beginn der Influenza-Saison wird gesprochen, wenn mehr als 20 Prozent der untersuchten Proben von Patientinnen und Patienten mit Erkältungssymptomen positiv sind und in Kindertageseinrichtungen ein hoher Krankenstand beobachtet wird", sagt Landkreissprecher Sven Sonström. Laut Niedersächsischem Landesgesundheitsamt sei dies in Niedersachsen bereits der Fall, was ungewöhnlich früh sei: In den Jahren vor der Corona-Pandemie habe dieser Zeitpunkt meist im Januar und Februar gelegen. Mit bislang gut 650 Meldungen seien bisher außergewöhnlich viele Influenza-Fälle registriert worden, wobei rund 30 Prozent der untersuchten Proben positiv gewesen seien.

In ausgewählten Kindertagesstätten im Kreisgebiet wird wöchentlich der Krankenstand anonymisiert erfasst und an das örtliche Gesundheitsamt weitergeleitet. Dabei geht es um akute Atemwegsinfektionen, bei denen regelmäßig kein weiterer Erregernachweis erfolgt. "In der letzten Kalenderwoche lag der Krankenstand in den teilnehmenden Kindertagesstätten bei 24,6 Prozent, was der Kategorie ,sehr hoch' entspricht. Hinzu kommen 12 laborbestätigte Influenza-Fälle in den letzten zehn Tagen", berichtet der Landkreis.

Laut Gesundheitsamt ist die Schutzimpfung nach wie vor die effektivste Maßnahme, um sich vor einer Influenza-Erkrankung zu schützen. Auch wenn die Influenza-Saison bereits begonnen habe, sei es nach wie vor sinnvoll, sich impfen zu lassen. Insbesondere für Risikopatientinnen und -patienten, Menschen im Alter über 60 Jahre, medizinisch-pflegerisches Personal sowie alle, die mit vulnerablen Gruppen in Kontakt sind, werde die Influenza-Impfung von der Ständigen Impfkommission empfohlen.

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