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Ärzte besorgt RSV-Infektionen bei Kindern: Bremer Gesundheitssystem stößt an Grenzen

Mit voller Wucht trifft das RS-Virus Bremen: In Scharen stecken sich Kinder und Jugendliche an. Besonders schwer trifft es Säuglinge und Kleinkinder. Die Geno spricht von einer schwierigen Lage.
01.12.2022, 05:37 Uhr
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RSV-Infektionen bei Kindern: Bremer Gesundheitssystem stößt an Grenzen
Von Frank Hethey

Wenn die Kinder hohes Fieber haben, schlapp sind und nichts mehr essen oder trinken wollen, suchen die meisten Eltern spätestens nach drei bis vier Tagen ärztlichen Rat. Gerade jetzt, da das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) grassiert, sind die Kinderarztpraxen überlaufen. Zusammen mit der üblichen Influenza sorgt die RSV-Welle für eine dramatische Situation. Doppelt so viele Kinder wie sonst habe er derzeit in seiner Infektsprechstunde, sagt Kinderarzt Marco Heuerding. Vor einer "schwierigen Lage" steht auch das Eltern-Kind-Zentrum Prof. Hess. Klinikleiter Melchior Lauten befürchte "eine Welle, die auf uns zurollt", sagt Stefanie Beckröge, Sprecherin des Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno). Um die Betreuung sicherzustellen, will die Geno intern Pflegepersonal umgruppieren und laut Beckröge "versuchen, so viele Leiharbeitskräfte wie möglich zu bekommen".

Besonders Säuglingen und Kleinkindern macht die RSV-Infektion zu schaffen. "Je enger die Atemwege sind, desto schwerer wirkt sich RSV aus", erklärt Heuerding die Problematik. In akuten Fällen ist eine Sauerstoff-Behandlung notwendig, die Kinder müssen klinisch betreut werden. Weil aber die Kapazitäten der Geno begrenzt seien, so Heuerding, "müssen wir Kinder in unseren Praxen versorgen, die eigentlich stationär behandelt werden müssen". Wie berichtet, stehen nach seinen Informationen im Eltern-Kind-Zentrum 43 belegbare Betten zur Verfügung, ohne Kinderkrebs- und Intensivstation sind es 28 Betten – für gut 100.000 Kinder aus Bremen und dem Umland. Dem widerspricht allerdings die Geno. "Wir haben 84 verfügbare Betten in der Kinderklinik", sagt Beckröge. "Das relativiert aber nicht, dass die Lage trotzdem ernst ist."

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Ernst ist die Lage vor allem wegen des chronischen Personalmangels. Es gebe viel zu wenig medizinische Fachangestellte, klagt Heuerding – und von denen sei in seiner Praxis aktuell auch noch fast die Hälfte krank. "Das Virus trifft auf ausgeblutete Kinderarztpraxen", sagt der Mediziner. "Wir drehen ein bisschen am Rad." Angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens rechnet auch die Geno mit Personalproblemen. Deshalb werde man sich wieder vermehrt nach Leihkräften umsehen, sagt Beckröge. "Auch wenn wir das eigentlich nicht wollen." 

Inzwischen hat sich das RS-Virus Heuerding zufolge flächendeckend in Deutschland ausgebreitet. Eine Entspannung sei vorerst nicht zu erwarten. "Im Gegenteil, die Situation wird sich noch verschärfen." Häufig hätten Kinder eine Woche lang hohes Fieber.

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Heuerding warnt, die doppelte Infektionswelle treffe auf ein ohnehin schon überlastetes System. Kinderarztpraxen hätten immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit zu bewältigen. Als Beispiel nennt er die medizinische Betreuung von Flüchtlingskindern und eine wachsende Anzahl von Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und sozial bedingte Entwicklungsstörungen. Zusätzlich würden den Kinderärzten Tätigkeiten aufgebürdet, die eigentlich in den Bereich der Integration, der Elternqualifikation und frühkindlichen Bildung fielen. Seine Forderung: "Dafür muss der öffentliche Gesundheitsdienst, die Kindergärten und Schulen mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden."

Aus Heuerdings Sicht ist die Politik gefordert. Denn was die Dichte von Kinderärzten angehe, gelte Bremen absurderweise als überversorgt, kritisiert der Mediziner, zugleich Landessprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte. "Der Bedarfsschlüssel muss überarbeitet werden", sagt er. Tatsächlich liegt die Stadt Bremen nach Angabe der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) bei einem Versorgungsgrad von 131,3 Prozent. "Grundsätzlich wird eine Planungsregion für eine bestimmte Arztgruppe ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent gesperrt", sagt KV-Sprecher Christoph Fox. Mit anderen Worten, es könne sich dann kein Arzt aus der betreffenden Arztgruppe mehr frei niederlassen.

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Der Politik sind laut Gesundheitsbehörde die Hände gebunden. "Wir können da nichts machen", sagt Ressortsprecher Lukas Fuhrmann. Die Bedarfsplanung sei eine Sache der Selbstverwaltung, dafür sei die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zuständig. Mit politischem Druck komme man nicht weiter. Fuhrmann: "Wir versuchen es auf anderen Wegen, mit Gesprächen." Auch Linke-Fraktionschef Nelson Janßen sagt, es sei Aufgabe der KV, den Berechnungsschlüssel anzupassen. "Von Korrekturen macht die KV aber nur sehr zaghaft Gebrauch. Bei Kinderärzten wird das besonders deutlich."   

Indessen schiebt die KV den schwarzen Peter wieder der Politik zu. Der für die Bedarfsplanung zuständige Gemeinsame Bundesausschuss setze Vorgaben des Gesetzgebers um, sagt KV-Sprecher Fox. "Insofern muss die Forderung nach einer Reform der Bedarfsplanung an den Gesetzgeber gehen."

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