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Das Interview: John Ilchmann „Wir sind Fleischer und keine Manager“

John Ilchmann aus Osterholz-Scharmbeck ist Obermeister der Fleischerinnung für den Elbe-Weser-Raum. Im Interview erklärt er, was sich ändern muss, damit Menschen und Tiere gut leben können.
01.07.2020, 23:32 Uhr
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„Wir sind Fleischer und keine Manager“
Von Silke Looden

Herr Ilchmann, was sagen Sie als Obermeister der Fleischerinnung im Elbe-Weser-Raum zu den skandalösen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen?

John Ilchmann: Man kann Industrie und Handwerk nicht miteinander vergleichen. Bei uns im Handwerk gibt es keine Werkverträge. Unsere Mitarbeiter sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie gehören unserem Betrieb teilweise schon über Jahrzehnte an. Wir müssen keine Masse bei möglichst wenig Personalaufwand produzieren, wie es in der Industrie der Fall ist. Wir verkaufen Qualität. Wir sind Fleischer und keine Manager.

Beziehen Sie Ihr Fleisch auch von den großen Schlachthöfen?

Wir legen Wert auf kurze Wege und arbeiten mit Betrieben zusammen, die wir seit Jahrzehnten kennen.

Woher kommen die Tiere, die Sie verarbeiten?

Wir haben eine langjährige Partnerschaft zu unseren Bauern. Wir verarbeiten Bio-Rindfleisch vom Hof von Oehsen in Hambergen. Beim Schweinefleisch setzen wir auf unsere Kräuterschweine. Wir können am Fleisch sehen, ob es dem Tier gut gegangen ist. Wenn das nicht der Fall ist, haben wir uns auch schon mal von einem Lieferanten getrennt.

Und wo werden die Tiere geschlachtet?

Bis vor einem Jahr wurden unsere Rinder in Bremen-Aumund geschlachtet. Der Schlachthof musste aber leider schließen. Heute lassen wir in Bremerhaven schlachten. Die Schweine werden in Stuhr geschlachtet. Selber schlachten dürfen wir als Innenstadtbetrieb nicht mehr.

Wer zu Ihnen kommt, hat sich schon gegen das Billigfleisch vom Discounter entschieden. Warum können Sie nicht das Gros der Verbraucher überzeugen?

Das ist ein Problem, das seit Jahrzehnten wächst. Nach dem Krieg ging es darum, die Leute satt zu bekommen. Dieses Denken ist geblieben. Irgendwann in den 70ern ist das in die falsche Bahn gelenkt worden. Es wurde Masse produziert und zentralisiert. Heute gibt es wenige große Schlachthöfe, die sich kaum kontrollieren lassen. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung. Wir dagegen stellen kleine Chargen her, da kann man nicht billig sein.

Sie vertreten die kleinen und mittelständischen Handwerksbetriebe. Inwieweit wirken sich die negativen Schlagzeilen auf ihre Branche aus?

Wir haben tatsächlich mehr Kunden, vielleicht zehn Prozent, Menschen, die das System der Fleischindustrie nicht mehr unterstützen wollen. Andere hingegen sind schwer zu überzeugen. Denen ist der Urlaub wichtiger oder das neue Auto. Das ist zum Beispiel in Frankreich ganz anders: Dort hat das Essen einen hohen Stellenwert. Da hat auch die Gastronomie nicht so große Probleme wie in Deutschland, und man ist bereit, für ein Tellergericht 20 Euro auszugeben. Wir machen auch Catering und wissen, was das Tellergericht wert ist. Ich würde mir wünschen, dass der Kunde mehr auf den Geschmack achtet als auf die Menge.

Was können Verbraucher tun?

Wer nur auf Angebote im Supermarkt schielt, der interessiert sich nicht so sehr für Qualität. Das ist bei unseren Kunden anders. Allerdings ist die Fleischtheke bei uns gegen Abend auch nicht mehr voll. Wer Auswahl bis zum Ladenschluss bietet, muss zu viel wegwerfen, und das wollen wir nicht. Unsere Kunden wissen das und stellen sich darauf ein. Um das Problem der Überproduktion zu lösen, müsste man Fleisch- und Wurstwaren wieder wie früher ausschließlich im Handwerk verkaufen.

Und was kann die Politik tun?

Die Gesetze wurden von der Europäischen Union gemacht. Das Problem muss also europaweit gelöst werden. Gerade im Fleischbereich hat Deutschland jedoch federführend dazu beigetragen, dass sich die Fleischindustrie entwickeln konnte. Die Politik vor Ort kann da wenig tun. Sie kann allerdings das Handwerk unterstützen und dafür sorgen, dass nicht noch mehr Supermärkte angesiedelt werden. In Osterholz-Scharmbeck beispielsweise gibt es mehr und mehr Supermärkte, aber nur noch ein Fleischereifachgeschäft.

Verbraucher sprechen sich in Umfragen häufig für mehr Tierwohl und bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie aus. Das Einkaufsverhalten ändert sich aber nur langsam...

Ich würde mir mehr Selbstreflexion wünschen. Der Verbraucher muss sich darüber klar werden, welche Prioritäten er setzt. Was also macht ein positives Leben aus? Ist es das neueste Auto oder ist es vielleicht der tägliche Genuss? Ich denke da an die Insel der 100-Jährigen in Japan. Da steht das gemeinsame Essen ganz oben auf der Prioritätenliste. Wir brauchen insgesamt eine andere Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln. Wenn wir nicht bereit sind, mehr für das Kilogramm Fleisch oder Wurst zu bezahlen, dürfen wir uns nicht über Hungerlöhne und gequälte Tiere wundern. Übrigens müssten nicht nur die Zerleger aus Osteuropa mehr verdienen. Ich finde, dass auch unsere Mitarbeiter im Fleischerhandwerk mehr verdienen sollten. Das geht aber nur, wenn wir unsere Produkte teurer verkaufen können.

Das Gespräch führte Silke Looden.

Zur Person

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John Ilchmann (54)

ist selbstständiger Fleischermeister in Osterholz-Scharmbeck und Obermeister der Fleischerinnung für den Elbe-Weser-Raum.

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