Buschhausen. Die Uhr tickt. Am Montagabend ist es soweit. Die Prüfung im aktuellen Schiedsrichterlehrgang des Fußballkreisverbands Osterholz steht unmittelbar bevor – und Tobias Wulff fühlt sich gut vorbereitet. Und irgendwie auch nicht. Denn die Nervosität ist nicht von der Hand zu weisen.
Die fünfte und letzte Woche des Kurses beginnt am Montagabend aber zunächst einmal mit Fachliteratur. Lehrwart Marcus Nettelmann hält die aktuelle Ausgabe des „Kickers“ in die Luft. Auf dessen Titelblatt prangt eine große Gelbe und Rote Karte sowie die Schlagzeile: „Außer Kontrolle“. Das Schiedsrichterthema ist nicht zuletzt durch die Regelverschärfungen in der Fußball-Bundesliga in aller Munde. Und genau das ist es, was Nettelmann ratlos zurücklässt. Denn all das, so erklärt er, was der DFB den Vereinen im Winter als Neuerung angekündigt hatte, sei doch schon seit Jahren fest im Regelbuch verankert.
Nettelmann liest die acht Punkte vor, auf die die Bundesliga-Vereine ihre Spieler zum Start der Rückrunde vorbereiten sollten – und schiebt bei jedem einzelnen Punkt den folgenden Kommentar nach: „War auch schon vorher Regel.“ Allein: Diese Regeln wurden von den Schiedsrichtern in der Bundesliga viel zu selten strikt durchgesetzt. „Und jetzt wundern sich plötzlich alle, dass die Regeln endlich mal angewendet werden“, wundert sich wiederum Marcus Nettelmann.
Im weiteren Verlauf des vorletzten Abends vor der Prüfung stehen zwei Probe-Tests und viele wiederholende Fragen an. Tobias Wulff meistert die 30 Fragen des Multiple-Choice-Test recht souverän. Vier Fehler – damit hätte er bestanden. Außerdem wird noch ein Test mit offenen Fragen geschrieben. Hier lernt Wulff ein weiteres Mal, wie wichtig Fingerspitzengefühl ist. Beziehungsweise der sogenannte „Ermessensspielraum“, wie es die Schiedsrichter selbst lieber nennen. So ist sich der Großteil der Kursteilnehmer eigentlich einig, dass man einem Spieler, der beim korrekten Verlassen des Spielfeldes im Rahmen einer Auswechslung sein Trikot zu früh auszieht, Gelb zeigen sollte. Das stimmt laut Regelbuch tatsächlich. „Kreuzt das in der Prüfung an, aber bitte macht so etwas nicht in der Realität“, sagt Nettelmann. Das Gespür für den Moment, das Fingerspitzengefühl für die jeweilige Situation – das ist das, was den angehenden Schiedsrichtern keiner in der Theorie erklären kann. Das muss am Ende jeder für sich selbst lernen.
Am Donnerstag steht schließlich die Vorprüfung an. Der Ernstfall wird an diesem Abend simuliert. Die Kursteilnehmer schreiben die Original-Klausur des vorangegangenen Jahres. Und das Ergebnis ist durchaus wichtig. Denn wer bei diesen 30 Fragen zu viele Fehler macht, wird gar nicht erst zugelassen für die Abschlussprüfung am Montag. Tobias Wulff wird zugelassen. Er hat lediglich zwei Fehler gemacht – ein richtig starkes Ergebnis. Zwei Kurskollegen haben weniger Glück. Sie bekommen am Ende des achten und letzten Lehrabends mitgeteilt, das sie am Montag nicht mehr kommen brauchen.
„Man tut niemandem einen Gefallen damit, jemanden zur Prüfung zuzulassen, wenn klar absehbar ist, dass diese nicht bestanden wird“, sagt Kreisschiedsrichterobmann Thomas Rehberg. Er und Lehrwart Marcus Nettelmann blicken dem Montag mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn am Donnerstagabend hätten nur 17 von 31 Teilnehmern die Prüfung bestanden. Im vergangenen Jahr waren es 27.
Vor Tobias Wulff und seinen Lehrgangskollegen liegen also noch mal zweieinhalb Tage Büffeln. Für die meisten Teilnehmer ist das ganz normal. Sie sind es als Schüler gewohnt, zwei Tage vor einer Prüfung ins „Akkordlernen“ überzugehen. Tobias Wulff, immerhin schon 23 Jahre alt, ist dieses intensive Lernen nicht mehr ganz so gewohnt. Aber er weiß auch: „Zu viel will ich auch nicht mehr pauken, sonst verkrampfe ich irgendwann. Und ich habe ja gesehen, dass ich es eigentlich kann.“
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In unserer wöchentlichen Serie „Der Weg zum Sündenbock“ begleitet die Sportredaktion den Scharmbeckstoteler Tobias Wulff durch den Schiedsrichterlehrgang des Osterholzer Kreisverbands und dokumentiert dessen Weg bis hin zum ersten Schiedsrichtereinsatz.