Osterholz-Scharmbeck. Manchmal wiederholt sich Geschichte, auch in der Musik. Tatsächlich hatte die Idee, die vor 20 Jahren zur Gründung der Plattenfirma Sireena führte, viel mit Musikgeschichte zu tun. Die beiden Gründer Lothar Gärtner und Tom Redecker wollten ein Label ins Leben rufen, das Alben, die bis dahin nur als LPs erschienen waren, neu auf CD herausbrachte. Wiederveröffentlichungen sind bis heute die Kernkompetenz der Firma, drum herum aber hat sich vieles verändert. „Mittlerweile bringen wir Platten, die es nur auf CD gab, wieder auf Vinyl heraus“, berichtet Redecker von Paradigmenwechsel. Rund 70 der über 300 Sireena-Tonträger sind Schallplatten.
Die Anfänge der Firma, die seit jeher zwei Sitze hat, liegen noch weiter zurück. Gärtner und Redecker lernten sich in den 1980er-Jahre in Bremen kennen. Der eine brachte das Magazin Strange Ways heraus, der andere war eine Hälfte des Duos The Perc Meets The Hidden Gentleman, das damals noch ohne Plattenfirma war. Kurzerhand veröffentlichte Gärtner die erste Single der Band und gründete dafür die ebenfalls Strange Ways benannte Plattenfirma, die später mit Bands wie Wolfsheim eines der erfolgreichsten deutschen Indielabels wurde.
Die Idee der beiden Musikenthusiasten, Raritäten und Vergriffenes neu aufzulegen, kursierte schon länger. Im Jahr 2000 meldete sich Lothar Gärtner, der Strange Ways verkauft hatte und mittlerweile in Himmelpforten lebte, dann bei Redecker, den es nach Osterholz-Scharmbeck verschlagen hatte. Dort hatte er schon im Jahr 1994 eine Promoagentur namens Shack Media aufgebaut, die er bis heute betreibt.
Schnell war das Projekt gestartet, nach einem frühen Song von The Perc Meets The Hidden Gentleman tauften sie das gemeinsame Kind Sireena. Um einen sogenannten Labelcode zu bekommen – der ist notwendig, um Honorare für Radioeinsätze abzurechnen, – brauchte die neue Firma eine erste Veröffentlichung. Tom „The Perc“ Redecker hatte mittlerweile seine neue Band Electric Family gegründet und diverse Aufnahmen von Konzerten ungenutzt in seinem Archiv, also brachte Sireena als erste Veröffentlichung eine Live-CD dieser Formation heraus.
Mit unveröffentlichten Aufnahmen der Mittelalterband Ougenweide und neu aufgelegten Alben von Zoff, einer Gruppe, die im Sauerland einen ähnlichen Status wie BAP in Köln genoss, folgten schnell Projekte, die überraschend erfolgreich waren. Es blieb nicht nur bei Wiederveröffentlichungen, und das Labelprogramm reichte bald von Jazz- und Krautrock bis hin zu aktuellen Rockproduktionen. In Osterholz-Scharmbeck war das Kreativzentrum, während sich Gärtner um Vertrieb und Produktion kümmerte. „Alles lief prima“, erinnert sich Redecker. Bis Lothar Gärtner im Jahr 2005 starb.
Erfolgreich in der Nische
Einige Zeit machte Redecker alleine weiter, bis dann drei Jahre später mit dem Lübecker Bernd Paulat ein neuer Partner an Bord kam. Mehr feste Mitarbeiter gibt es bis heute nicht, und die alte Arbeitsteilung hat seitdem wieder Bestand. Das war Redecker wichtig: „Ich will mich nur um den Katalog kümmern“, sagt der Musiker, der vor allem großen Spaß daran hat, wie ein Perlentaucher Schätze zu heben und Kontakte zu den Musikern herzustellen. Denn die sind nötig, um die Veröffentlichungsrechte an den Stücken zu bekommen. Zugleich muss mit den früheren Plattenfirmen verhandelt werden, und beides sei nicht immer einfach. Manchmal sind noch Agenten dazwischen geschaltet, so etwa bei Stars wie Yes oder dem Deep-Purple-Sänger Ian Gillan – denn auch von diesen Künstlern gibt es tatsächlich LPs, die auf Sireena erschienen sind, ebenso wie Aufnahmen von Grobschnitt oder The Ramones.
Unlängst hat Sireena zwei Alben der niederländischen Jazzrockband Scope von 1974 und '75 wieder herausgebracht. Zehn Jahre lang hat Redecker daran gearbeitet, die Musiker selbst hatten seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr untereinander, einen fand er schließlich gar in Österreich. Nun liegen die beiden Alben wieder vor und es gibt sogar zwei unveröffentlichte Bonusstücke darauf. Und auch in die Charts ist der Osterholzer im vergangenen Jahr gestürmt: Jini Meyer, Ex-Sängerin der Band Luxuslärm, war mit ihrem Solodebüt dafür verantwortlich. „Ein kurzer Rausch“ sei das gewesen, so der Labelboss.
Von der großen Krise der Musikindustrie ist das kleine Label nur wenig betroffen, und auch Corona habe keine großen Einbrüche verursacht, sagt der Labelchef. Man bediene vor allem Nischen. „Wir müssen uns nichts vormachen,„ so Redecker, “die ganze Musikindustrie ist bald nur noch eine Nische. Die durchschnittlichen Konsumenten streamen, aber es wird immer auch einige Platten-Sammler geben, übrigens auch durchaus jüngere Leute.“ Für die arbeite er. Die Auflagen bei Sireena sind sehr unterschiedlich, mal ein paar Hundert Exemplare, mal aber auch fünfstellig. Zum Geburtstag gibt es eine limitierte Box mit fünf Vinyl-Singles, unter anderem sind Element Of Crime dabei.
Ein weiterer Vorteil für das Label ist, über einen eigenen Mailorder viele Platten direkt an die Fans verkaufen zu können. So sind einerseits Zwischenhändler und ihre Margen ausgeschlossen, vor allem aber ist man vom Sterben der Plattenläden weniger hart getroffen. Und man muss sich von den Online-Versandriesen zumindest nicht alle Bedingungen diktieren lassen. „Wenn ich irgendwann nur noch für Amazon produziere, dann höre ich auf“, kündigt Tom Redecker an. Das würde ihm allerdings schwerfallen, denn er ist sich sicher: „Ich habe den schönsten Job der Welt: Ich habe dauernd mit Musik zu tun und lerne ständig nette und unglaublich interessante Menschen kennen.“