Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Kicken trotz Morbus Crohn Das neue (Fußball-)Leben des Janluca Grove

Die Krankengeschichte von Janluca Grove ist lang und könnte ein Buch füllen. Warum sie aber vor allem ein Mutmacher sein sollte und zeigt, wieso der Sport auch in schlechten Zeiten ein echter Rettungsanker ist.
12.04.2024, 20:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Das neue (Fußball-)Leben des Janluca Grove
Von Tobias Dohr

Die Nächte waren kurz. Und alles andere als erholsam. Immer und immer wieder schob Janluca Grove gegen Mitternacht die Bettdecke zur Seite, zog sich an und ging in die Dunkelheit. Dort wandelte er dann mitunter drei Stunden durch die Nacht, in Trübsal versunken, seinen Gedanken nachhängend. Für den Fußballer der TuSG Ritterhude waren diese nächtlichen Momente ein Mittel zum Zweck. Eine Möglichkeit, die kaum zu ertragene Phase zu überbrücken, in der sich der 29-Jährige befand. "Mit jedem einzelnen Schritt habe ich in meinen Gedanken auch eine weitere Sekunde hinter mich gebracht, bis ich wieder ein normales Leben führen könnte", erinnert sich Grove. Und von einem halbwegs normalen Leben war der Ritterhuder Mannschaftskapitän in jenen Spätherbst-Tagen meilenweit entfernt. Dabei hatte alles doch so harmlos angefangen.

Ende Februar 2023 war Janluca Grove mit starken Leistenschmerzen und Druck im Unterbauch ins Krankenhaus gefahren. Die Diagnose war eher unspektakulär: Der Blinddarm musste raus. So weit, so normal. Doch an jenem 1. März, dem Tag der Operation, begann Groves Leidensgeschichte ja erst allmählich. Auf dem OP-Tisch platzte der Blinddarm. An sich ein recht praktischer Ort für solch ein Unglück, allerdings erlitt der Ritterhuder dabei eine schwerwiegende Sepsis, eine Vergiftung der Bauchhöhle. Diese musste anschließend mit einem starken Antibiotikum behandelt werden. Unglücklicherweise reagierte Groves Körper nicht auf das Medikament, im Gegenteil.

Die niederschmetternde Diagnose

"Mein Körper wehrte sich regelrecht dagegen, weshalb ich Ende März erneut ins Krankenhaus musste", berichtet der 29-Jährige. Über den Tropf wurde das Antibiotikum nun intravenös verabreicht, was auch funktionierte, doch jetzt kam die eigentliche Schocknachricht. Denn in der Nachbehandlung der Operation wurde bei Grove ein sogenanntes Morbus Crohn, beziehungsweise die Crohn-Krankheit diagnostiziert. Dahinter verbirgt sich eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die im gesamten Verdauungstrakt auftreten kann. Es war eine niederschmetternde Diagnose, die einherging mit einer langwierigen Cortison-Behandlung – und natürlich auch mit einer langen Fußballpause.

Zur neuen Spielzeit, im vergangenen Juli also, nahm Grove dann das Training wieder auf, hoch motiviert und voll Freude auf ein baldiges Comeback in jener Mannschaft, bei der er ja mittlerweile auch Mannschaftskapitän war. Doch die Hoffnung auf eine erfolgreiche Rückkehr zerschlug sich nicht nur zeitnah, sondern auf geradezu dramatische Art und Weise. Mitte Juli, beim Blitzturnier des SV Löhnhorst, führte Grove das Team noch als Kapitän aufs Feld, doch am selben Abend lag er erneut auf dem Operationstisch – und diesmal ging es um Leben und Tod.

Der Arzt meinte, ich wäre dem Tod noch so gerade eben von der Schippe gesprungen.
Janluca Grove

Die extrem starken Bauchschmerzen, mit denen Grove an jenem Sonntagabend ins Krankenhaus gefahren war, hatten ihre Ursache nämlich in sogenannten Darmschlingen, was in einem lebensbedrohlichen Darmverschluss enden kann. Noch auf dem Weg in den OP-Raum wurde Grove darüber aufgeklärt, dass unter Umständen ein künstlicher Darmausgang gelegt werden müsse. "Es war der absolute Horror. Der Arzt meinte hinterher, ich wäre dem Tod noch so gerade eben von der Schippe gesprungen", erinnert sich Janluca Grove. Immerhin: Um den künstlichen Darmausgang kam Grove herum. Noch. Denn von einer echten Wende zum Positiven war der leidgeplagte junge Mann trotzdem weit entfernt.

Lesen Sie auch

Durch die anfängliche Vergiftung und die monatelange Behandlung mit Cortison war Groves Körper extrem geschwächt und hatte große Probleme, die Operation zu verkraften. "Die OP als solche wäre eigentlich nicht so das große Problem gewesen, aber durch die Vorgeschichte bin ich nicht mehr auf die Beine gekommen. Mein Körper hat regelrecht gestreikt." Janluca Grove verlor immer mehr den Appetit und hatte im Oktober 2023 schließlich 15 Kilo seines ursprünglichen Gewichts verloren. Genau dort, wo sich ein Engpass zwischen Dick- und Dünndarm gebildet hatte, hatte sich nun auch noch der Morbus Crohn breitgemacht. Irgendwann, als praktisch nur noch Flüssiges durchging, stand fest: So geht es nicht weiter. Der nächste OP-Termin wurde angesetzt, und diesmal war klar, dass Janluca Grove um einem künstlichen Darmausgang nicht herumkommen würde.

Bis Mitte Mai, so die Prognose der Ärzte, würde sich der Ritterhuder mit diesem arrangieren müssen. Dann, einen positiven Heilungsverlauf vorausgesetzt, würde man wieder alles nach innen verlegen können. Eine wirkliche Garantie gab es allerdings nicht – und dementsprechend auch keine belastbare Prognose, ob eine Rückkehr auf den Fußballplatz überhaupt jemals realistisch sei. Genau das war auch der Grund, warum sich Janluca Grove am 21. Oktober zu einer für Außenstehende geradezu verrückt anmutenden Aktion hinreißen ließ.

Das letzte Spiel mit den Jungs?

Im Heimspiel gegen den TSV Etelsen II streifte er sich das Ritterhuder Trikot noch einmal über, legte die Kapitänsbinde an und führte seine Mannschaft aufs Feld. "Ich hatte mich vor der Partie vor die Jungs gestellt und ihnen erklärt, wie wichtig mir dieser Einsatz ist und warum ich unbedingt noch einmal spielen wollte", erinnert sich Grove. Sehr emotional sei das alles gewesen, schließlich fühlte es sich wie ein Abschied an. Vielleicht sogar ein endgültiger.

Die Ritterhuder gewannen an jenem Oktober-Sonnabend mit 4:1, Grove verließ in der 61. Minute unter großem Applaus der Teamkollegen und Zuschauer das Spielfeld, glücklich in diesem kurzen Moment. "Der Rückhalt von den Jungs war und ist unglaublich", sagt der 29-Jährige auch heute noch. Dieses Gefühl half ihm dann auch in den kommenden Wochen – denn die härteste Zeit lag noch immer vor Janluca Grove. In der nun anstehenden Operation wurde ihm ein Stück des Dünn- und Dickdarms entfernt, in den folgenden Tagen ging es für Grove nun erst einmal darum, sich mit dem künstlichen Darmausgang zu arrangieren. Nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch.

Lesen Sie auch

"Das macht natürlich etwas mit einem jungen Menschen. Man mag sich selbst nicht mehr anschauen, teilweise ist da auch ein Gefühl des Ekels", sagt Janluca Grove. Nicht nur die Herbsttage wurden kürzer und grauer, auch Groves Gedankenwelt verdunkelte sich immer mehr. Da an Fußball nun nicht mehr zu denken war, entfiel auch der so wichtige sportliche Ausgleich. "Es fühlte sich an, als würde ich in eine handfeste Depression gleiten", erinnert sich Grove. Das merkten auch seine beiden behandelnden Ärzte, Dr. Markus Schricker und Dr. Stefan Thurn – und fassten deshalb gemeinsam mit ihrem Patienten einen Entschluss.

Auf einem Mediziner-Kongress stellten die beiden Ärzte Groves Fall anderen Kollegen vor. In Absprache und nach Abwägung der Vor- und Nachteile bekam der Ritterhuder schließlich einen Spezialgurt inklusive Schutzpanzer verpasst. Mit diesem sollte es möglich sein, frühzeitig auf den Fußballplatz zurückzukehren. Im Januar war es dann so weit. Mit großem Herzklopfen zog sich Janluca Grove endlich wieder die Fußballschuhe an und startete mit der Mannschaft in die Winter-Vorbereitung. "Auch wenn mir die Ärzte versichert haben, dass nichts passieren kann, hatte ich natürlich trotzdem ein mulmiges Gefühl", berichtet Grove. Doch der Wille, wieder mit der Mannschaft auf dem Platz zu stehen, war größer als jede Sorge.

Janluca ist einfach ein riesengroßes Vorbild für uns alle.
TuSG-Coach Sascha Steinbusch

In allen bisherigen sieben Punktspielen in diesem Jahr kam Grove von Beginn an zum Einsatz, steuerte bei den jüngsten drei Partien gegen Hülsen, Dannenberg und Heeslingen II sogar jeweils einen Treffer bei. Nicht nur sein Trainer ist angesichts dieser Rückkehr gleichermaßen begeistert wie beeindruckt: "Janluca ist einfach ein riesengroßes Vorbild für uns alle", lobt Sascha Steinbusch seinen Kapitän. Grove selbst ist ebenfalls zufrieden, auch wenn er natürlich weiß: "Ich bin noch längst nicht bei meiner alten Stärke, aber alles in allem bin ich schon ganz gut drauf momentan." Die Entscheidung, vorzeitig auf den Platz zurückzukehren sei jedenfalls definitiv die richtige gewesen.

Lesen Sie auch

"Für mich war es ohne Frage die schwerste Zeit meines Lebens. Und ich habe gerade auf meinen nächtlichen Spaziergängen ganz viel darüber nachgedacht, wie wichtig es ist, dass man sich in so einer Situation nicht versteckt." Fußball als Therapie – für Janluca Grove ein echter Glücksfall. Wie auch das private und familiäre Umfeld. Zudem konnte er sich dauerhaft der vollen Rückendeckung seines Arbeitgebers, der gastronovi GmbH, sicher sein. "Wenn man dann sieht, wie die Mannschaft zu einem hält, wie die besten Freunde für einen da sind und wie sehr die Familie einen auffängt, da merkt man dann, dass man die richtigen Menschen um sich hat. Dafür bin ich unendlich dankbar."

Diesen Donnerstag hatte Grove die Vorbesprechung für die – dann hoffentlich letzte – Operation in dieser langen Leidensgeschichte. Am 29. April wird der künstliche Darmausgang endlich zurückverlegt. Die Chancen auf ein endgültiges Happy End stehen gut. Doch davon konnte Janluca Grove lange Zeit nicht ausgehen. Der Ritterhuder Kapitän hat sich auch deshalb dazu entschlossen, öffentlich über seine Geschichte zu reden, um anderen Betroffenen Mut zu machen. "Nicht verstecken, nicht weglaufen, oder sich vor sich selbst ekeln. Sondern immer versuchen, den Kopf oben zu lassen", sagt er, dessen Geschichte ein echter Mutmacher werden könnte. Denn wenn alles ideal läuft, dann könnte Janluca Grove im Sommer endgültig zurück zu alter Stärke finden. "Zur neuen Saison wieder mit 100 Prozent auf dem Platz stehen, das ist mein großer Wunsch", sagt er. Es gibt wohl niemanden, der ihm die Erfüllung dieses Traums nicht von Herzen wünscht.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Einwilligung und Werberichtlinie

Das kompakte Nachrichten-Update für den Landkreis Osterholz und umzu. Lesen Sie Montag bis Freitag jeden Abend die wichtigsten Nachrichten aus Ihrer Region.

Schließen

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)