Landkreise Osterholz/Rotenburg. Wenn die Enkelin am Telefon unter Tränen Geld erfleht, weil sie einen tödlichen Unfall verursacht habe, und andernfalls in Haft müsse, dann ist Gefahr in Verzug. Nicht wegen der Enkelin. Die ist nämlich gar nicht die Enkelin. Vielmehr sind professionelle Betrüger am Werk, die mit sogenannten Schockanrufen vorzugsweise ältere Menschen um hohe Bargeldbeträge erleichtern wollen. Diese Masche ist nicht neu, hat aber konstant Konjunktur: "Wir haben nahezu jeden Tag Versuchstaten", sagt der Präventionsbeauftragte bei der Polizei Verden/Osterholz, Helge Cassens.
Es gebe Tage, an denen 30 derartige Versuche angezeigt werden, und Cassens geht davon aus, dass die Dunkelziffer "ein Vielfaches" höher liege. In jüngster Zeit wurden zwei Versuche auch aus Lilienthal und Grasberg gemeldet. Dort fielen die Betroffenen nicht darauf herein, in Achim wurde eine 62-Jährige von Bankangestellten auf den Betrug aufmerksam gemacht und zeigte den Fall bei der Wache des Polizeikommisariats Achim an.
Das Muster der Schockanrufe wiederholt sich: Die Täter geben sich als Verwandte aus, und in allen Fällen werde von ihnen ein massiver Druck auf die Opfer ausgeübt, ausgelöst durch die Sorge um nahe Angehörige, so die Polizeidirektion Verden/Osterholz. Sechs Betrugsversuche an einem Tag in der vergangenen Woche nimmt die Polizei zum Anlass, neuerlich auf die Masche hinzuweisen. Denn, so Cassens: "Wenn das Geld weg ist, bleibt das auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weg." Selbst wenn die sogenannten "Abholer" ermittelt werden könnten, die Hintermänner zu ermitteln sei schwierig.
Diese agieren meist aus ausländischen Call-Centern heraus und dementsprechend nennt Helge Cassens dies auch "Call-Center-Kriminalität". Dort werde in die professionelle Schulung der Mitarbeiter viel Zeit investiert. Mit dem Ergebnis, dass die Anrufer "sehr echt klingen". Wenn er etwa solch einen vorgeblichen Polizisten höre, denke er auch, am anderen Ende der Leitung sei ebenfalls ein Polizist, sagt Cassens. Auch die im Display angezeigte Anrufer-Nummer lasse sich mittels sogenanntem "Call-ID-Spoofing" manipulieren. Beispielsweise werde die Notrufnummer 110 oder die der örtlichen Polizeiwache angezeigt. Der Präventionsbeauftragte Cassens sagt: "Man kann der Nummer auf dem Display nicht glauben."
Prävention ist bester Schutz
Das Wissen um die Masche und Prävention bleiben daher der beste Schutz. Zudem betont die Polizei: Ein aufmerksames Umfeld sei ein wichtiger Anker für die Verhinderung von Schockanrufen. Denn, wer unter Druck gerät und in Angst ist, vermag weniger klar zu denken. "Angehörige, Bankmitarbeiter und Taxiunternehmen sollten Menschen ansprechen, die dauerhaft telefonieren, unter hohem Druck zu stehen scheinen und hohe Bargeldsummen abheben", rät die Polizei. Die Fälle aus der vergangenen Woche hätten erfreulicherweise gezeigt, dass dieses Umfeld in vielen Fällen funktioniere. Zudem sollten Angehörige, Nachbarn oder Freunde die betroffene Zielgruppe für dieses Phänomen sensibilisieren und mögliche Verhaltensweisen im Fall eines Anrufs mit einer vermeintlichen Notlage besprechen. Polizei, Staatsanwaltschaft oder Ärzte würden in keinem Fall wie geschildert vorgehen.
Betroffene kennt die Vorsitzende des Seniorenbeirats Grasberg, Karla Lindemann, keine. Aber: "Des Themas sind wir uns sehr bewusst.", sagt sie auf Nachfrage. Der Ehemann der Vorsitzenden des Tarmstedter Seniorenbeirats, Christa Ruschmeyer, habe 2019 selbst einen derartigen Betrugsversuch erlebt. In beiden Seniorenbeiräten stand jeweils eine Informationsveranstaltung dazu auf der Tagesordnung. Allerdings fielen diese coronabedingt aus. Für Grasberg kann Lindemann sich vorstellen, dieses Thema beim Neustart wieder ins Programm aufzunehmen.