Landkreis Osterholz. Der Junge muss nicht lange überlegen. Er hat durch die Scheibe in den Kühlschrank geblickt und schon tippt sein kleiner Zeigefinger auf ein Glas, das mit seinen schwarzen Flecken auf weißem Grund an das Fell einer Kuh erinnert. Dieses Glas Milch möchte er haben, unbedingt. Und dass sein Papa jetzt so lange braucht, um es ihm aus dem Kühlschrank zu reichen, macht den Steppke ganz quengelig. Endlich! Strahlend umfasst er mit beiden Händen das Glas Milch und balanciert es mit konzentriertem Blick und kleinen Schritten in Richtung Tresen, wo Jaana Steilen in aller Gemütsruhe abwartet, bis Eltern und Kinder alles ausgewählt haben, was sie sich gleich schmecken lassen wollen. Am Ende steht eine Reihe von Gläsern und Schalen auf dem Tresen. Darin Milch, Buttermilch und Quarkspeisen. Die kreiert Jaana Steilen täglich selbst, und es besteht nicht die Gefahr, dass ihr dabei die Ideen ausgehen.
Die Landwirtin betreibt in Meyenburg ein Melkhus. „Jetzt schon im elften Sommer“, berichtet Jaana Steilen. Ihr Akzent verrät: Eine gebürtige Osterholzerin ist sie nicht. Draußen über der Terrasse mit den rund 40 Sitzplätzen flattert eine finnische Fahne im Wind. Ihre Fahne. 1980 kam sie aus dem hohen Norden nach Deutschland. Seit 1983 lebt Jaana Steilen mit ihrem Mann und den Kindern auf diesem Meyenburger Hof, der seit Jahrhunderten den Namen „Nedderster Hoff“ trägt. So steht es auf einem Findling bei den Fahrradständern.
Vier Melkhues – leicht zu erkennen an der tiefgrünen Holzfassade und dem leuchtend roten Dach - gibt es im Landkreis Osterholz. Einige Kilometer südöstlich von Meyenburg legt Sandra Seebeck die Hand an den Hebel ihrer Eismaschine. Familie Seebeck betreibt an der Wümme in Ritterhude das Melkhus Hof Hagensfähr. Der neueste Hit hinterm Tresen ist hier das Softeis. In einem cremig-geschmeidigen Strang schlängelt sich die sahnige Masse in die Waffel. Gerade ist eine Gruppe radelnder Männer eingetrudelt. Sie lassen sich an einem der Gartentische nieder, die vor dem Melkhus stehen. Softeis – das ist jetzt für sie nach der Radlerei unter der heißen Sonne genau die richtige Erfrischung. Sandra Seebeck legt wieder die Hand an den Hebel.
Die Seebecks betreiben ihr Melkhus auch schon seit zehn Jahren. „Die Landfrauen haben uns damals besabbelt“, bringt es Schwiegermutter Anita Seebeck auf den Punkt. Nicht, dass sie darüber betrübt wären. Für Sandra und Anita Seebeck und ihre dazugehörigen Männer ist das Melkhus ein gut funktionierendes Familien-Projekt, das außerdem „viel Spaß macht“. Sie wissen inzwischen, was die Ausflügler besonders gern mögen: „unsere Goldtröpfchentorte“, sagt Sandra Seebeck. Ein edler Name für den selbst gebackenen Käsekuchen. Dazu kann man sich Kaffee aus der Nachbarschaft schmecken lassen. Er kommt von der Lilienthaler Firma „De Koffiemann“. Nicht wenige mögen aber auch etwas, das sie nicht verspeisen können. „Wir Senioren schnacken Platt“, erzählt Anita Seebeck. Die älteren Gäste, die Plattdeutsch noch verstehen können, fühlen sich dann im Hofgarten gleich doppelt wohl.
Die Landfrauen waren vor zehn Jahren tatsächlich nicht ganz unbeteiligt daran, dass die grünen Holzhäuschen mit den erfrischenden Milchspeisen und Mixgetränken Ziel von Radlern, Spaziergängern und anderen Ausflüglern wurden. In der Wesermarsch, im Rotenburger Raum und in Wesermünde gab es die Melkhues damals schon, berichtet Uwe Huljus, Geschäftsführer des Landvolk-Kreisverbandes Osterholz. Das Landvolk hatte vor zehn Jahren zusammen mit dem Kreislandfrauenverband überlegt, „ob wir das auch fördern können“. Sie fanden Partner dafür: die damalige Kreissparkasse Osterholz, die Volksbank Bremen-Nord, die Stadt Osterholz-Scharmbeck und den Landkreis Osterholz, der aus der Leader-Förderung EU-Gelder bereitstellen konnte.
Die Melkhues seien einerseits als zweites Standbein für Landwirte gedacht gewesen, die mit sinkenden Milchpreisen zu kämpfen hatten. Andererseits war damit aber auch Tourismusförderung verbunden, weil die Melkhues an Ausflugsstrecken eine Bereicherung sind. „Es ist schön, wenn man dort eine Rast einlegen und sich erfrischen kann“, sagt Uwe Huljus. Und nicht zuletzt würden Melkhues die Möglichkeit bieten, mit Landwirten ins Gespräch zu kommen und mehr darüber zu erfahren, „wie Milch erzeugt wird und Viehhaltung funktioniert“.
Elke Dehlwes von der gleichnamigen Hofmolkerei in Lilienthal-Trupe kann bestätigen, dass die Besucher dieses Informationsangebot gern nutzen. Familie Dehlwes betreibt ebenfalls ein Melkhus und bietet dort erfrischende Erdbeermilch, Zitronen-Buttermilch, Kakao und Moccamilch sowie kleine Joghurts aus eigener Biomilch-Produktion an. Das Melkhus mit den Bänken drumherum sei „ein schöner Platz, wo man zur Ruhe kommen kann“, sagt die Betreiberin. Aber genauso gern gehen die Familien bei ihnen über den Hof und sehen sich die Tiere an.
Rund 5000 Euro Zuschuss gab es für ein Melkhus. Etwa die Hälfte der Gesamtkosten, so etwa schätzt der Kreis-Landvolk-Geschäftsführer. Die Betreiber haben jeweils noch eine Menge Herzblut investiert. Sie haben Spielgeräte für die kleinen Gäste aufgebaut, überdachte Sitzplätze eingerichtet, dekoriert und gestaltet. Bei Jaana Steilen ist es Schwarzbuntes, wohin das Auge blickt. Von einem großen Plakat strecken ein paar Kühe dem Betrachter neugierig ihre Köpfe entgegen. „Kuh-ten Morgen!“ steht in großen Lettern über der Herde. Die Türgriffe zu ihrem Melkhus sind aus echtem Kuhhorn, und selbst auf dem ansprechend eingerichteten WC fehlen die Kühe nicht.
Im Gegenzug zur Förderung mussten sich die Melkhus-Inhaber verpflichten, es zehn Jahre lang zu betreiben. Hat es sich gelohnt? Auf jeden Fall, sagt Gisela Wellbrock, die am Verbindungsweg zwischen Neu Helgoland und dem Teufelsmoor „Dat Melkhus zum Brinkhof“ betreibt. „Es zu errichten, war eine sehr gute Idee“, unterstreicht sie. „Es hat sehr großen Zuspruch.“ Familie Wellbrock konnte ihr Melkhus erst mit zwei Jahren Verzögerung eröffnen. Weil der Hof unter Denkmalschutz steht, bauten die Wellbrocks statt des grünen Holzhauses ein historisches Backhaus auf und brachten darin im Jahr 2011 das Melkhus unter.
Jedes Melkhus bietet sein eigenes Profil. Nicht jeder Betreiber darf wie Familie Dehlwes die eigene Milch anbieten. In Ritterhude sind daher Milram-Produkte im Sortiment, in Meyenburg ist es Milch der Familie Kück aus Langenhausen, und im Melkhus Zum Brinkhof ist es die Dehlwes-Milch sowie Schafmilchprodukte der Familie Brünjes aus Bremervörde. Dazu bieten die Melkhues Eis verschiedener Produzenten an, eigenen Käse und Quarkspeisen. In Meyenburg kommt dabei auch gern mal ein Hauch Finnland ins Dessert. So heißt eine Kreation der gelernten Hotelfachfrau mustikka herkku - zu Deutsch: Blaubeergenuss.
Die Melkhues im Landkreis Osterholz: in Meyenburg, Meyenburger Damm 13, Telefon 0 42 09 / 15 69, in Ritterhude Hof Hagensfähr, Hagensfährer Weg 1, Ruf 0 42 92 / 12 92, in Osterholz-Scharmbeck Zum Brinkhof, Teufelsmoorstraße 4, 0 47 96 / 95 10 95, und in Lilienthal bei der Bio-Hofmolkerei Dehlwes, Trupe 17, 0 42 98 / 96 94 33. Hinzu kommt das Mobile Melkhus, das bei Veranstaltungen eingesetzt wird, derzeit auf der Tarmstedter Messe.