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Flüchtlingsunterbringung Gemeinden funken SOS

Ritterhudes Bürgermeister Jürgen Kuck sieht die Gemeinden im Kreis Osterholz bei der Flüchtlingsunterbringung am Limit. Es brauche jetzt Container-Lösungen. Von der Kreisbehörde fühlt er sich allein gelassen.
04.10.2022, 06:00 Uhr
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Gemeinden funken SOS
Von Bernhard Komesker

Landkreis Osterholz. Die Gemeinde Ritterhude steht bei der Unterbringung von Flüchtlingen mit dem Rücken zur Wand. Das sagt Bürgermeister Jürgen Kuck (SPD), dessen Mitarbeiter vergangene Woche erstmalig ein Auto mit fünf Geflüchteten abweisen mussten. Sie kehrten zurück in die Ankunftsstelle des Landkreises in der Pestalozzihalle. "Wir können im Moment niemanden mehr aufnehmen", sagt Kuck. Die 32 Zimmer der Notunterkunft im Wohnpark am Dammgut seien bereits voll belegt, und zeitnah lasse sich im Moment partout kein privater Wohnraum mehr finden.

Turnhallen dem Schul- und Vereinssport zu entziehen, ist für den Bürgermeister keine Option. "Wer weiß, ob wir die nicht auch noch als öffentliche Wärmestuben im Winter brauchen werden." Sport gilt zudem als ein Integrationsmotor, und einen Betreiber für eine Hallen-Notunterkunft habe man in Ritterhude auch nicht.

In den Gemeinden Schwanewede und Lilienthal, die einen ähnlich angespannten Wohnungsmarkt haben, sehe es nicht besser aus, hat der Bürgermeister von den Verwaltungschefs der Nachbarkommunen erfahren. Er wolle kein Landkreis-Bashing betreiben, sagt Kuck, aber in den Rathäusern vermisse man die helfende und koordinierende Hand der Kreisverwaltung. Sein Eindruck: Die Kommunen – und mit ihnen die Geflüchteten – baden ein lange bekanntes Problem aus, das weder der Bund noch die Länder bisher befriedigend gelöst haben.

Kritik an Ungleichbehandlung

Der 15.000-Einwohner-Gemeinde Ritterhude sei es immerhin gelungen, seit März 280 Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu vermitteln, aber: "Es nehmen längst nicht mehr alle Länder und alle niedersächsischen Kommunen am Verteilungssystem teil." Während die Länder den Bund dazu drängen, seine Hilfszusage vom Frühjahr einzulösen, wonach es rückwirkend zum 1. Januar eine Unterstützung geben sollte, hat das Innenministerium in Hannover 20 der 45 Kreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen wegen besonderer Belastungen von der Pflicht zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ausgenommen. Osterholz ist nicht darunter.

Der Landkreis müsse sich daher nun endlich für die Stadt und die Gemeinden starkmachen, findet Kuck. Eine entsprechende Forderung hätten die Kommunen schon vor Wochen an die Verwaltung gemeldet, seither aber nichts gehört. Nun habe er Brandbriefe an zwei prominente Parteifreunde in Hannover geschickt: Innenminister Boris Pistorius und den Leiter der Staatskanzlei, Ex-Landrat Jörg Mielke. Zufall oder nicht: Just am Absendetag des Ritterhuder Hilferufs hat der Normenkontrollrat der Bundesregierung die Qualität der Gesetzgebung und die fehlende Einbindung der Kommunen bemängelt, welche die Gesetze umsetzen müssen.

Bürgermeister für Container

"Wir bräuchten jetzt dringend mal fünf Minuten, um Luft zu holen und uns neu aufzustellen", formuliert es der Bürgermeister. Die Zeit würde er gern nutzen, um Wohncontainer auf öffentlichem Grund aufstellen zu lassen. Zwei, drei Grundstücke in kommunaler Hand wüsste er, die dafür in Betracht kommen könnten, und sicher habe auch der Landkreis eigene Liegenschaften. Aber weil von der Planung und dem Kauf bis hin zum Einzug zwei, drei Monate vergehen dürften, sei keine Zeit mehr zu verlieren. Schließlich sollte das Ganze gemeindeübergreifend abgestimmt werden. Und der Landkreis müsse die Mobilbauten ja auch genehmigen. Kuck: "Mein Ziel ist es, das einvernehmlich zu machen."

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Sozialdezernentin Heike Schumacher von der Osterholzer Kreisbehörde hat dazu stets erklärt, dies wäre auch in ihrem Sinne. Zugleich aber ist sie eine erklärte Gegnerin von zentralen Flüchtlingsquartieren, weil damit die Integration erschwert werde (siehe Bericht). Auch Kuck ist klar, dass Container nur die zweitbeste Lösung sind, aber mittlerweile sei der Punkt erreicht, an dem es ohne sie nun nicht mehr gehen werde. "Wenn uns jemand ein leer stehendes Haus mit acht Wohneinheiten bietet, dann mieten wir das doch sofort", sagt Kuck halb entrüstet, halb sarkastisch: Ein solches Angebot scheint für den Bürgermeister nicht realistisch; zu glauben, die Gemeinde würde es ablehnen, sei erst recht abwegig.

Gemeinden am Limit

Die Kommunen täten ihr Möglichstes, fühlten sich aber vom Landkreis allein gelassen, vor allem seit dem Ende der Sommerferien, da sich die Lage immer weiter zugespitzt habe und die Wohnungssuche zu einem aussichtslosen Unterfangen geworden sei. In Worpswede wird seit einigen Wochen nun auch über ein Quartier in der Turnhalle neben dem Hallenbad nachgedacht (wir berichteten). Und die 98 Plätze der Sammelunterkunft, die die Gemeinde Schwanewede seit 4. August in der früheren Kaserne Neuenkirchen schaffen konnte, seien bereits so gut wie voll belegt.

Wer Wohnraum für Geflüchtete anzubieten hat, kann sich weiterhin in den Rathäusern der jeweiligen Kommune melden. Die Rufnummern lauten 04791/ 173 16 für die Stadt Osterholz-Scharmbeck, 04292/ 88 91 70 für die Gemeinde Ritterhude und 04793/ 780 für die Samtgemeinde Hambergen.

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Landkreis Osterholz erklärt Aufnahmestopp

Nichts geht mehr. Das hat die Osterholzer Kreisverwaltung nach eigenen Angaben am Mittwoch dem Land Niedersachsen mitgeteilt. "Angesichts der nicht mehr vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten, der aktuellen Quotenübererfüllung des Landkreises Osterholz und der teils sehr deutlichen Quotenuntererfüllung anderer Landkreise und kreisfreien Städte", würden vorerst keine Flüchtlingszuweisungen mehr akzeptiert, heißt es aus dem Sozialdezernat. Die Antwort des Landes bleibe abzuwarten.

Im Grundsatz bleibe man dabei, heißt es in der Antwort vom Donnerstagabend auf die Anfrage der Redaktion vom Dienstagmittag: Die Ankunftsstelle in der Pestalozzihalle habe sich als Puffer bewährt, um die vom Land zugewiesenen Personen zunächst einmal aufzunehmen und in den Folgetagen auf die Kommunen zu verteilen. Eine angemessene Dauerlösung seien Sporthallen aber nicht; es würden nun Container-Lösungen geprüft, gegebenenfalls auch auf Landkreis-Flächen.

Es sei richtig gewesen, die größere BBS-Halle auf Wunsch der Schule im Sommer wieder zu räumen, als der erwartete Zustrom von wöchentlich 100 bis 200 Menschen ausgeblieben sei. Das Problem würde zeitlich sonst auch nur verlagert, und über andere Gebäude verfüge der Landkreis nun mal nicht. Zuletzt kündigte das Land ein bis zwei Mal pro Woche die Ankunft von jeweils 20 bis 25 Geflüchteten an; also musste stets rasch Wohnraum in den Kommunen gefunden werden, denn die Pestalozzihalle hat nur 35 Plätze. 

Der Vorteil war bisher, dass die Quartiere in den Gemeinden optimal für die ankommenden Familiengrößen und -konstellationen genutzt werden konnten, betont die Kreisbehörde durch ihren Sprecher Sven Sonström. Ziel waren und sind gemeinsame Lösungen, aber: "Die Situation hat sich im September erheblich zugespitzt, und das trotz erheblichstem Engagement der Gemeinden, von Ehrenamtlichen und engagierten Einwohnerinnen und Einwohnern."

Mit dem Aufnahmestopp reagiert Osterholz nun auf die Ankündigung des Landes, in den Gemeinden müsse in den nächsten sechs Monaten Platz Unterbringungsmöglichkeiten für etwa 1.000 weitere Personen geschaffen werden. Auch wenn die Verwaltung nun zunächst andere Kreise und Kommunen am Zug sieht, sei doch klar, dass der Druck damit anhält: Wenn das bisherige Aufnahmetempo nicht sinkt, sei dies "nur mit einer extremen Kraftanstrengung zu bewältigen".

Der Kreistag hat am Donnerstag für Asylbewerberleistungen eine außerplanmäßige Ausgabe von 5,6 Millionen Euro beschlossen. Die Summe wird durch Mehreinnahmen von Bund und Land sowie durch Einsparungen an anderer Stelle vorfinanziert und ein Jahr später vom Land erstattet.

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