Landkreis Osterholz. Die Gemeinde Ritterhude steht bei der Unterbringung von Flüchtlingen mit dem Rücken zur Wand. Das sagt Bürgermeister Jürgen Kuck (SPD), dessen Mitarbeiter vergangene Woche erstmalig ein Auto mit fünf Geflüchteten abweisen mussten. Sie kehrten zurück in die Ankunftsstelle des Landkreises in der Pestalozzihalle. "Wir können im Moment niemanden mehr aufnehmen", sagt Kuck. Die 32 Zimmer der Notunterkunft im Wohnpark am Dammgut seien bereits voll belegt, und zeitnah lasse sich im Moment partout kein privater Wohnraum mehr finden.
Turnhallen dem Schul- und Vereinssport zu entziehen, ist für den Bürgermeister keine Option. "Wer weiß, ob wir die nicht auch noch als öffentliche Wärmestuben im Winter brauchen werden." Sport gilt zudem als ein Integrationsmotor, und einen Betreiber für eine Hallen-Notunterkunft habe man in Ritterhude auch nicht.

Jürgen Kuck, Bürgermeister der Gemeinde Ritterhude.
In den Gemeinden Schwanewede und Lilienthal, die einen ähnlich angespannten Wohnungsmarkt haben, sehe es nicht besser aus, hat der Bürgermeister von den Verwaltungschefs der Nachbarkommunen erfahren. Er wolle kein Landkreis-Bashing betreiben, sagt Kuck, aber in den Rathäusern vermisse man die helfende und koordinierende Hand der Kreisverwaltung. Sein Eindruck: Die Kommunen – und mit ihnen die Geflüchteten – baden ein lange bekanntes Problem aus, das weder der Bund noch die Länder bisher befriedigend gelöst haben.
Kritik an Ungleichbehandlung
Der 15.000-Einwohner-Gemeinde Ritterhude sei es immerhin gelungen, seit März 280 Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu vermitteln, aber: "Es nehmen längst nicht mehr alle Länder und alle niedersächsischen Kommunen am Verteilungssystem teil." Während die Länder den Bund dazu drängen, seine Hilfszusage vom Frühjahr einzulösen, wonach es rückwirkend zum 1. Januar eine Unterstützung geben sollte, hat das Innenministerium in Hannover 20 der 45 Kreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen wegen besonderer Belastungen von der Pflicht zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ausgenommen. Osterholz ist nicht darunter.

Zum Ende der Sommerferien hat der Landkreis Osterholz seine Ankunftsstelle für Geflüchtete von der BBS-Halle (Foto) in die kleinere Pestalozzihalle verlegt.
Der Landkreis müsse sich daher nun endlich für die Stadt und die Gemeinden starkmachen, findet Kuck. Eine entsprechende Forderung hätten die Kommunen schon vor Wochen an die Verwaltung gemeldet, seither aber nichts gehört. Nun habe er Brandbriefe an zwei prominente Parteifreunde in Hannover geschickt: Innenminister Boris Pistorius und den Leiter der Staatskanzlei, Ex-Landrat Jörg Mielke. Zufall oder nicht: Just am Absendetag des Ritterhuder Hilferufs hat der Normenkontrollrat der Bundesregierung die Qualität der Gesetzgebung und die fehlende Einbindung der Kommunen bemängelt, welche die Gesetze umsetzen müssen.
Bürgermeister für Container
"Wir bräuchten jetzt dringend mal fünf Minuten, um Luft zu holen und uns neu aufzustellen", formuliert es der Bürgermeister. Die Zeit würde er gern nutzen, um Wohncontainer auf öffentlichem Grund aufstellen zu lassen. Zwei, drei Grundstücke in kommunaler Hand wüsste er, die dafür in Betracht kommen könnten, und sicher habe auch der Landkreis eigene Liegenschaften. Aber weil von der Planung und dem Kauf bis hin zum Einzug zwei, drei Monate vergehen dürften, sei keine Zeit mehr zu verlieren. Schließlich sollte das Ganze gemeindeübergreifend abgestimmt werden. Und der Landkreis müsse die Mobilbauten ja auch genehmigen. Kuck: "Mein Ziel ist es, das einvernehmlich zu machen."
Sozialdezernentin Heike Schumacher von der Osterholzer Kreisbehörde hat dazu stets erklärt, dies wäre auch in ihrem Sinne. Zugleich aber ist sie eine erklärte Gegnerin von zentralen Flüchtlingsquartieren, weil damit die Integration erschwert werde (siehe Bericht). Auch Kuck ist klar, dass Container nur die zweitbeste Lösung sind, aber mittlerweile sei der Punkt erreicht, an dem es ohne sie nun nicht mehr gehen werde. "Wenn uns jemand ein leer stehendes Haus mit acht Wohneinheiten bietet, dann mieten wir das doch sofort", sagt Kuck halb entrüstet, halb sarkastisch: Ein solches Angebot scheint für den Bürgermeister nicht realistisch; zu glauben, die Gemeinde würde es ablehnen, sei erst recht abwegig.
Gemeinden am Limit
Die Kommunen täten ihr Möglichstes, fühlten sich aber vom Landkreis allein gelassen, vor allem seit dem Ende der Sommerferien, da sich die Lage immer weiter zugespitzt habe und die Wohnungssuche zu einem aussichtslosen Unterfangen geworden sei. In Worpswede wird seit einigen Wochen nun auch über ein Quartier in der Turnhalle neben dem Hallenbad nachgedacht (wir berichteten). Und die 98 Plätze der Sammelunterkunft, die die Gemeinde Schwanewede seit 4. August in der früheren Kaserne Neuenkirchen schaffen konnte, seien bereits so gut wie voll belegt.
Wer Wohnraum für Geflüchtete anzubieten hat, kann sich weiterhin in den Rathäusern der jeweiligen Kommune melden. Die Rufnummern lauten 04791/ 173 16 für die Stadt Osterholz-Scharmbeck, 04292/ 88 91 70 für die Gemeinde Ritterhude und 04793/ 780 für die Samtgemeinde Hambergen.