Damit hatte Heinz B. nicht gerechnet. Der 52-Jährige aus Scharmbeckstotel musste kürzlich mit seinem Auto in die Werkstatt. Diagnose: Federbruch. Heinz B. kann ziemlich genau eingrenzen, wo und wann der Schaden an seinem gerade drei Jahre alten Auto entstand: Auf der B74 zwischen Ihlpohl und Ritterhude. Nachdem er dort durch eines der riesigen Schlaglöcher gefahren war, „klöterte da irgendwas“, erinnert sich Heinz B. Knapp 300 Euro kostete ihn das Malheur.
Ob es ursächlich mit der Schlagloch-Ansammlung auf der B74 zusammenhängt oder gewöhnlicher Verschleiß war, lässt sich nicht sagen. Tatsache ist: Vor allem im Frühjahr bereichern zahlreiche Schäden auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen das Landschaftsbild. Und jedes Jahr ziehen die Bauhöfe und Straßenmeistereien los, um die Löcher zu flicken: Das Schlagloch, das Heinz B. unter Umständen seine Feder gekostet hatte, existiert nicht mehr.
Viel zu wenig Geld, um alle Straßen in Schuss zu halten
Zuständig für dieses Stück ist das Land Bremen. Um den Großteil der Bundes- und Landesstraßen im Kreis Osterholz kümmert sich die Stader Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, die auch die Kreise Stade, Rotenburg und Cuxhaven zu betreuen hat. Leiter Hans-Jürgen Haase und seine Mitarbeiter sind nach eigenen Angaben für rund 700 Kilometer Landes- sowie 300 Kilometer Bundesstraßen und Autobahnen zuständig. Für ihre Unterhaltung stehen jährlich rund 50 Millionen Euro zur Verfügung. Was auf den ersten Blick eine ordentliche Summe ist, entpuppt sich auf den zweiten als viel zu wenig Geld, um alle Straßen in Schuss zu halten. „Allein 41 Millionen Euro fließen in die Autobahnen und Bundesstraßen“, sagt Haase. Gerade einmal neun Millionen Euro bleiben für die Landesstraßen. Haase bringt es auf den Punkt: „Das ist nicht mehr als Mängelverwaltung.“ Insgesamt sind viele Straßen in Norddeutschland einem Medienbericht zufolge in einem schlechten Zustand. Wie eine Recherche des NDR Politikmagazins "Panorama 3" ergab, sind rund 23 Prozent der Kreisstraßen akut sanierungsbedürftig.
Was das bedeutet, bekommen Haases Kollegen von der Straßenmeisterei Hagen praktisch jeden Tag mit. Von dort rücken die Baukolonnen aus, um Schlaglöcher und andere Straßenschäden zu beheben. Für die Reparaturen in den Landkreisen Osterholz und Cuxhaven stehen der Straßenmeisterei nach Auskunft von Leiter Karlheinz Kleen jährlich 500.000 bis 600.000 Euro zur Verfügung. Davon müsse er allerdings sämtliche Fixkosten bestreiten, erklärt Kleen: „Für die Straßen bleibt etwa ein Drittel übrig.“ Trotz chronisch klammer Etats passiert wenigstens auf den Bundesstraßen etwas. Straßenbau-Fachmann Haase nennt als zwei große Projekte den Umbau der Ortsdurchfahrt Kuhstedt im Zuge der B74 sowie den Umbau der Kreuzung B74/L151 in Ritterhude. In Kuhstedt werden laut Plan in diesem und im nächsten Jahr 1,8 Millionen Euro verbaut. Rund 300.000 Euro entfallen als Anteil auf die Gemeinde Gnarrenburg. Die Kreuzung B74/L151 bekommt für rund 550.000 Euro ein neues Gesicht. Bei den Landesstraßen gibt es laut Haase zudem „ein Sammelsurium“ kleinerer Maßnahmen.
Den Sanierungsstau auf den Kreisstraßen schätzt die Kreisverwaltung zurzeit auf mehr als 15 Millionen Euro. Davon gelten Reparaturen mit einem Gesamtvolumen von rund elf Millionen Euro als besonders dringlich. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren summierte sich der damalige Gesamtbedarf auf 5,8 Millionen Euro, davon 1,4 Millionen Euro mit besonderer Dringlichkeit. Dabei misst das Straßennetz nach wie vor 197 Kilometer.
Im Osterholzer Kreishaus hebt man hilflos die Hände: „Durch die seit Jahren angespannte Finanzlage konnten in den vergangenen Jahren immer nur die dringendsten Arbeiten durchgeführt werden“, teilte die Verwaltung unlängst den Politikern mit. Weil nicht frühzeitig repariert worden sei, habe sich der Zustand der Kreisstraßen unterdessen „im Ergebnis verschlechtert“. Der stellenweise moorige Untergrund sowie die generelle Zunahme des Schwerlastverkehrs, auch aus dem Bereich der Landwirtschaft, verschärften das Problem noch.
Wenn dann endlich saniert werden kann, so wie zuletzt in Bergedorf, ist der Aufwand entsprechend hoch. Mit einer neuen Fahrbahndecke war es dort nicht getan: Die in den 1960er-Jahren angelegte Straße muss von Grund auf neu gebaut werden. Immerhin: Für besagte K28 ist in diesem Jahr der vierte und letzte Bauabschnitt vorgesehen. Von Anfang Mai bis November werde der nördliche Abschnitt erneuert, teilt Landkreis-Sprecherin Jana Lindemann mit. Der Kreis lässt sich den Ausbau dieses Jahr 1,3 Millionen Euro kosten und nutzt dabei eine 60-prozentige Landesförderung.
„Das nächste Großprojekt dieser Art wird mittelfristig die K 10 zwischen Grasberg und Worpswede sein“, blickt die Landkreis-Sprecherin voraus. Der Vollausbau von Fahrbahn und Radweg ist mit Baukosten von sechs Millionen Euro zugleich der dickste Brocken auf der Agenda der dringlichen Projekte. Die Aktennotiz der Kreisbehörde lautet „Verkehrsgefährdung, Mooruntergrund“. Das lässt sich auch von der Kreisstraße 9 zwischen Abzweig Waakhausen und Abzweig Niederende sagen. Während der Bereich zwischen Ortsausgang und Einmündung der K11 im vergangenen Jahr renoviert wurde, blieb das besagte Reststück witterungsbedingt außen vor. Grüne Fahrbahnmarkierungen zeigen bereits an, wo die Schäden besonders groß sind. „Wir lassen dort den Fahrbahnbelag in der Zeit vom 7. bis 18. Mai erneuern“, so Lindemann. Dabei werde es am Freitag und Sonnabend, 11. und 12. Mai, zu einer Vollsperrung kommen müssen. Auch der Einmündungsbereich zur K11 werde im Zuge der Arbeiten neu asphaltiert, kündigte Lindemann an. Für die K9 sah der Haushalt im vergangenen Jahr eine halbe Million vor, 80.000 Euro seien noch vorhanden. Unterdessen soll in diesem Jahr mit der Moorhauser Landstraße in Lilienthal eine weitere Kreisstraße renoviert werden, die die Kreisverwaltung noch im Vorjahr gar nicht auf dem Zettel hatte. Für den Abschnitt zwischen Hauptstraße und Ortsumgehung stünden 200.000 Euro bereit.
Zustandserfassung alle fünf Jahre
Weitere 500.000 Euro werden laut Landkreis dieses Jahr im Grasberger Gemeindegebiet verbuddelt: Die Kreisstraße von Grasberg nach Fischerhude wird erneuert, inklusive Einmündung des Achterdamms (K42) Richtung Wilstedt. Die Radwege an den Kreisstraßen in Werschenrege, Lübberstedt und Neu Sankt Jürgen kosten weitere 245.000 Euro. Wann welche Straßen saniert werden müssen, stellen die Verwaltungen auf unterschiedliche Art und Weise fest. Die Stader Behörde lässt laut Haase „als erste Grundlage“ alle fünf Jahre eine „messtechnische Zustandserfassung“ durchführen. Frank Wiesner, Bauamtsleiter der Stadt Osterholz-Scharmbeck, verweist auf das neu eingeführte digitale Straßenmanagement-System. Gewissheit über die jeweiligen Schäden bringe aber nur ein Termin vor Ort.
Anschließend müssen sich Kommunalpolitik und Verwaltung auf ihre Prioritätenlisten einigen oder in ein Kataster eintragen, das einige Gemeinden wie zum Beispiel Ritterhude führen. Der dortige Bauamtsleiter Michael Keßler spricht davon, die Sanierungsvorhaben „fachlich und sachlich“ zu ordnen. Er ist sich indes wie seine Kollegen in den anderen Gemeinden darüber im Klaren, dass all dies eigentlich nicht ausreicht. Keßler geht davon aus, dass 40 bis 50 Prozent aller Ritterhuder Gemeindestraßen in einem so schlechten Zustand sind, dass sie neu gebaut werden müssten.