Bornreihe. Für sein „Spiel des Lebens“ hat sich Julian Geils keines ausgewählt, das zu einer Meisterschaft oder einem Pokaltriumph führte. Nicht einmal um einen besonders hohen Sieg handelt es sich. Nein, jene Partie vom 8. November 2009 erlebte der heute 36-Jährige als zweiter Kapitän des SV Blau-Weiß Bornreihe, der in jener Saison der Fußball-Oberliga Niedersachsen Ost mit seiner Mannschaft am Tabellenende stand – noch ohne einen einzigen Sieg nach 13 Spieltagen. Am Donnerstag zuvor hatte Coach Marko Rebien seinen Rücktritt erklärt (siehe auch eingeklinkten Text „Ende einer kurzen Wunsch-Ehe“). Viel unglücklicher hätte man sich eine Ausgangslage kaum ausdenken können, als es an jenem Sonntag zum hoch favorisierten Tabellenzweiten TSV Ottersberg ging. Was, außer einer haushohen Klatsche für die Gäste, war da zu erwarten gewesen? Und doch wurde es zu einem 3:0-Erfolg für die „Moorteufel“. Und zu einem persönlichen Erfolg für Julian Geils, der gleich zwei Foulelfmeter verwandelte.
Als Interimslösung auf der Trainerbank hatte der Verein Marcel Baake bestimmt, assistiert vom Langzeitverletzten Jan Meyerdierks. „Marcel hatte sich extrem akribisch vorbereitet“, erinnert sich Geils, der in der A-Jugend-Regionalliga für den FC Union spielte und später zwei Jahre als Vertragsspieler bei Viertligist MSV Neuruppin kickte. Also: Baake hatte sich einen ganzen Schwung Zeitungsartikel besorgt, um daraus Schwächen des Gegnes zu sezieren.
„Internet war damals ja noch nicht so verbreitet wie heute überall“, so Geils, der seinem Interimscoach eine ebenso einfache wie Erfolg bringende Maßnahme bescheinigt: „Er hat uns immer wieder Sätze gesagt wie: Ich glaube an unseren Erfolg, weil...“ Ja, und dann habe Baake eben Schwächen des Gegners angeführt oder Stärken der Moorteufel. Über die Stärken des Gegners musste nicht großartig geredet werden. Alle wussten, dass die Ottersberger hochkarätig besetzt waren mit Ex-Profis wie Sören Seidel oder dem damals jungen Talent und heute für den 1. FC Köln spielenden Rafael Czichos.
Und was hatten die Bornreiher dem entgegen zu setzen? Kampfkraft natürlich. Dafür waren sie bekannt. Und einer der ihren, Kapitän und Innenverteidiger Tino Brünjes, wurde zum Turm in der Abwehrschlacht. Ottersberg rannte an und biss sich die Zähne aus am kollektiven Widerstand der Gäste. „Es war unsere kämpferisch stärkste Saisonleistung“, wurde der lange Brünjes damals in der Achimer und Verdener Regionalausgabe des WESER-KURIER zitiert (siehe auch Originalzeitungsausschnitt auf dieser Seite „Ottersberg baut den Tabellenletzten auf“). Aber man habe anfangs auch Glück gehabt, die Ottersberger Offensive unbeschadet überstanden zu haben. Das konnte Ottersbergs Sören Seidel nicht von sich behaupten.
Der Ex-Werder-Spieler, der seine Karriere in Bremen-Nord begann und dort für Blumenthaler SV und SG Aumund-Vegesack kickte, musste schon in der 49. Spielminute verletzt ausgewechselt werden. Beim Verlassen des Platzes soll er, so erinnert sich Julian Geils, zu Bornreihes Keeper und Ex-Vereinskamerad Florian Leschnik gesagt haben: „Langer, was ist denn das für ein A...?“ Gemeint war – Julian Geils. Der hatte sich voller Inbrunst dem Ottersberger Angreifer gewidmet: „Ja, kann sein, dass ich ihn beim Grätschen am Knöchel getroffen habe.“ Den schelmischen Unterton kann Geils, beruflich als Leitender Physiotherapeut am Lilienthaler Klinikum tätig, nicht ganz verbergen. Geils' zweikampfstarke Grundhaltung war zumindest Seidel nicht bekannt, wenn er im offensiven Mittelfeld auf den gegnerischen Sechser traf. „Das war ja eine meiner Stärken, eng am Gegner zu sein“, erklärt Geils seine erfolgreichen Tacklings und ergänzt: „Als Abwehrspieler muss ich meinem Gegner klarmachen: Pass auf, hier bin ich! Das kann auch mal weh tun.“ Seidel wiederum war dafür bekannt, eher etwas mimosenhaft auf derlei Kontakte zu reagieren.
Das „Problem“ Seidel war damit gelöst. Ottersbergs Top-Torjäger Lars Behrens (bis dahin schon acht Saisontreffer) fehlte zum Glück für den SV Blau-Weiß Bornreihe verletzungsbedingt. Fehlten nur die eigenen Tore. Dafür war dann Julian Geils zuständig. Gleich zweimal. In der 64. Minute wurde Gästestürmer Oliver Fröhlich von Janssen und Nowotny (Geils: „Der war relativ langsam.“) in die Zange genommen und im Strafraum zu Fall gebracht. Elfmeter! Schütze vom Dienst seinerzeit: Julian Geils. Er verwandelte souverän zur Bornreiher Führung. Eine Viertelstunde später lief Bornreihes zweite Sturmspitze Waldemar „Waldi“ Hamburg allein auf TSV-Keeper Paul-Eric Franke zu, und der entschied sich für eine regelwidrige Maßnahme. Bei Foulelfmeter Nummer zwei legte sich wiederum Julian Geils die Pille zurecht – und verwandelte erneut. Hatte Geils ein ganz besonderes Geheimnis? Nein, aber eine einfache Masche: „Ich bin einfach langsam angelaufen, habe gewartet, bis der Keeper sich bewegt und mir dann die Ecke ausgesucht.“ Ottersbergs Franke machte es ihm sehr leicht, bewegte sich – seinerzeit gar nicht erlaubt – sehr früh. Und wenn die Masche beim Elfer mal nicht zieht? „In die rechte Ecke kriege ich ihn immer rein.“
Nach jedem der beiden Strafstöße lief Geils übrigens zur Bande, um sich mit jemandem abzuklatschen, der in Ottersberg ganz und gar nicht unbekannt war: Geils Senior. Also Karl-Heinz, der Vater von Julian. Der langjährige Profi hatte nach seiner Spieler-Laufbahn eine Zeitlang auch die Kicker an der Wümme trainiert und wollte an jenem Tag das Spiel seines Juniors sehen. Doch zurück zum Spiel. Die Gastgeber brachten kein strukturiertes Spiel mehr zustande, ergaben sich sozusagen in die Niederlage, während die Gäste, immer selbstbewusster spielend, Nadelstiche per Konter setzten und sogar noch kurz vor Abpfiff einen dritten Treffer erzielten. Diesmal lief Sebastian Stelljes allein auf Franke zu, umkurvte den mit dem Herauslaufen zögernden Keeper und schob zum 3:0 ein.
Die Erinnerung an jenes Spiel ist sehr lebendig bei Julian Geils und sie muss gar nicht aufgefrischt werden. Dabei könnte er es ohne Weiteres tun; denn seine Frau Carolin hatte die Partie mit einer Digitalkamera aufgenommen. „Die hatten wir im selben Jahr zur Hochzeit geschenkt bekommen“, erzählt Julian Geils und gesteht: „Angesehen habe ich mir das Spiel nie wieder. So wie ich auch keine Zeitungsausschnitte wie viele andere sammle.“ Und das ist dann auch wieder eine besondere Masche des Julian Geils.
In der Saison 2009/2010 half Bornreihe der Sieg in Ottersberg nichts: Es war der erste von insgesamt vier Dreiern. Bornreihe (33:99 Tore, 18 Punkte) wurde Tabellenletzter, stieg als einer von sieben Absteigern ab. Es folgte eine Spielklassenreform. Bornreihe trat in der Landesliga Lüneburg an, wurde Vizemeister.
Julian Geils (36)
wurde bei der TuSG Ritterhude mit dem Fußball groß, spielte in der Jugend unter anderem auch beim VSK Osterholz-Scharmbeck, ehe er bei A-Jugend-Regionalligist FC Union wechselte. In seinem ersten Herrenjahr wechselte er zum Lüssumer TV in die Bremer Verbandsliga. Anfang 2003 zog es ihn zum FC Bremerhaven und nur ein Jahr später zum Brinkumer SV, wo Geils erstmals Oberligaluft schnupperte. Am 1. Juli 2005 heuerte er für zwei Jahre als Vertragsspieler bei Viertligist MSV Neuruppin an. Im Sommer 2007 landete er beim SV Blau-Weiß Bornreihe, wo er viereinhalb Jahre spielte. Im Januar 2012 kehrte Geils als spielender Co-Trainer zurück zur TuSG Ritterhude, alleinverantwortlich übernahm er die Mannschaft im Januar 2015, führte sie bis in die Landesliga Lüneburg, um im November 2018 nach einer Serie von Niederlagen zurückzutreten. Julian Geils, Leitender Physiotherapeut am Lilienthaler Klinikum, lebt mit seiner Frau und drei Söhnen in Schwanewede.
Ende einer kurzen Wunsch-Ehe
Nur drei Tage nach dem Rücktritt von Trainer Marko Rebien ging es für den SV Blau-Weiß Bornreihe ins Auswärtsspiel zum TSV Ottersberg. Julian Geils erinnert sich an seine Gemütslage damals: „Es war ein Scheiß-Gefühl. Ich fühlte mich mitverantwortlich. Wir alle hatten nicht die Leistung auf den Platz gebracht.“ Der Kader sei damals nicht schlecht gewesen: „Aber wir sind da in eine Negativschleife geraten.“ Und für Marko Rebien sei der Rücktritt „die letzte Patrone“ gewesen, um der Mannschaft ein anständiges Abschneiden in der wegen der folgenden Spieklassenreform schwierigen Saison zu ermöglichen.
Schon zwei Monate zuvor hatte Rebien seine Position selbst in Frage gestellt, als es eine 1:8-Klatsche gegen die SV Ahlerstedt/Ottendorf gab. „Er stand dann niedergeschlagen noch lange auf dem Platz“, so Julian Geils, „aber für mich war klar, dass es an ihm überhaupt nicht lag, sondern an der Mannschaft.“ Als dann eine Woche vor dem Ottersberg-Spiel noch eine 0:4-Heimniederlage gegen VfV Borussia Hildesheim mit einem „blutleeren Auftritt“ (Rebien) folgte, war für Rebien klar, dass er Konsequenzen ziehen musste. Nach dem Donnerstag-Training teilte er seinen Entschluss der Mannschaft mit. Die Ära Rebien, von Verein und Trainer als Wunschehe gesehen, dauerte mithin nur ein knappes Jahr. Am 30. November 2008 hatte er seinen Einstand gegeben im Heimspiel gegen den TuS Heeslingen.
Der 3:0-Erfolg der Bornreiher in Ottersberg muss seinerzeit ein bitter-süßes Gefühl bei Rebien hinterlassen haben, wie Julian Geils erst im Nachhinein klar wurde: „Ich hatte ihm noch eine SMS geschickt mit den Worten: Das war auch ein Sieg für dich.“ Natürlich freute sich Rebien, mit ganzem Herzen ein „Moorteufel“, mit der Mannschaft über den Erfolg. Mit Rebien hatte der SV Blau-Weiß in jener Saison noch nie gewonnen, ohne ihn gleich im ersten Anlauf.
Weitere Informationen
Oberliga Niedersachsen Ost am 8.11.2009
TSV Ottersberg – Blau-Weiß Bornreihe 0:3 (0:0)
TSV Ottersberg: Franke; Peek, Wahlers, Nowotny, Janssen (81. Campagnaro da Silva), Seidel (49. Aktas), Ribeiro, Czichos, Koltonowski, Örün, Sicak (81. Djanga) Blau-Weiß Bornreihe: Leschnik; Sung, Gresens, Brünjes, von Glahn, Geils, Klimmek, Konoppa (85. Holldorf), Stelljes, Batouche (90. Flathmann), Fröhlich (76. Hamburg)
Tore: 0:1 Geils (64./Foulelfmeter), 0:2 Geils (80./Foulelfmeter), 0:3 Stelljes (89.)
Schiedsrichter: André Schönheit (Amelinghausen) mit seinen Assistenten Christopher Biermann und André Dkhili
Gelbe Karten: Janssen, Ribeiro, Nowotny, Franke – Gresens, Geils, Batouche
Eckballverhältnis: 5:3 Torchancenverhältnis: 6:8
Zuschauer: 362 zahlende