Landkreis Osterholz. In einem sind sich Ärzte und Apotheker einig: Die Idee des E-Rezeptes ist gut. Weiter reicht ihre Begeisterung für das zum 1. Juli bundesweit eingeführte elektronische Rezeptvergabe-Verfahren nicht. Ruben Bernau, Hausarzt in Hambergen und Vorstandsmitglied der Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) erklärt: "Alle sind sehr motiviert, aber gleichzeitig gefrustet, weil die Technik nicht richtig läuft." "Es könnte gut laufen, wenn es besser durchdacht wäre", stimmt ihm Berufs- und Vorstandskollege Timo Schumacher zu.
Tatsächlich scheint die Mitte Juni gefällte Entscheidung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dass das E-Rezept ab dem 1. Juli mithilfe der elektronischen Gesundheitskarte bei den Apotheken eingelöst werden kann und damit alltagstauglich geworden sei, viele Mediziner und Pharmazeuten auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. Die KVN kritisiert: "Im vergangenen Herbst wurde eine ausgiebige Testung in Modellregionen ab September 2023 und nach erfolgreichem Test eine stufenweise bundesweite Einführung vereinbart. Der Gesundheitsminister hat nun überraschend Mitte Juni öffentlich den Starttermin für das E-Rezept auf den 1. Juli 2023 festgelegt." Er sei wohl zu der Überzeugung gekommen, dass die Technik schon so weit sei, sagt KVN-Pressesprecher Uwe Köster.
Technik-Probleme
Daran zweifeln die Ärzte. "Es herrscht abwartende Zurückhaltung", sagt Köster. Die KVN-Mitglieder seien ernüchtert von den Erfahrungen, die sie bislang mit der Einführung der Telematik-Infrastruktur für ihre Praxen gemacht haben. Diese Infrastruktur ist die Datenautobahn des Gesundheitswesens. "Die Infrastruktur ist sehr komplex geworden und Anwendungen mussten häufig zurückgefahren werden, weil sie nicht laufen wollten", so Köster. Das habe zu großem Unmut geführt.
Damit die Kassenärzte ein E-Rezept ausstellen können, brauchen sie nicht nur eine stabile Internetverbindung sowie Zeit, um die einzelnen Schritte, wie Verbindung aufrufen, Rezept ausfüllen und digital signieren, durchzuführen. Sie müssen ihre Technik um ein zusätzliches Modul erweitern. Ein Problem, sagt Köster. Denn es gebe nicht den einen Anbieter für die Telematik-Infrastruktur, sondern viele. "Und manche Anbieter können diese Module noch nicht liefern."
Ruben Bernau selbst hat in seiner Praxis bislang gute Erfahrungen mit der digitalen Technik gemacht. Davor, dass ein Gerät oder der elektronische Heilberufe-Ausweis, den er zum Signieren benötigt, kaputt gehe, sei aber kein Arzt gefeit. Bis zu zwei Monate könne es dauern, bis Ersatz da sei, die Technik wieder funktioniere. Ganz auf das bisherige Papier-Rezept könnten die Praxen daher nicht verzichten, betont er. Sein Kollege Timo Schumacher kritisiert zudem die Anfälligkeit der Technik und die Abhängigkeit von einem stabilen Internet: "Mir graut davor, dass ich irgendwann meine Patienten gar nicht versorgen kann." Erst jüngst sei bei ihm die Telematik-Infrastruktur für zwei komplette Tage zusammengebrochen.
Die beiden Wege, wie Kassenärzte E-Rezepte seit Sommer 2022 – sofern sie die nötige Technik hatten – bereits ausschreiben konnten, machen für Schumacher zudem wenig Sinn. Drucke die Praxis für den Patienten das E-Rezept als QR-Code aus, um dieses zur Apotheke zu tragen, handele es sich um ein weiteres Stück Papier. Die Alternative, die E-Rezept-App der Gematik GmbH, sei kompliziert zu installieren. Eine hohe Hürde für Patienten. Um sie zu aktivieren, benötigen diese nicht nur ein Smartphone mit FNC, sondern auch eine elektronische Gesundheitskarte mit FNC (zu erkennen an dem Funkzeichen auf der Karte) sowie eine Pin. "Ein Kollege, der die App zum Test runterladen wollte, ist gescheitert", sagt Schumacher. Und dass, abgesehen von dieser App der Gematik, verschiedene Kassen ihre eigene E-Rezept-App entwickelt haben, könne für Praxen problematisch werden, sagt Ruben Bernau.
Mit der dritten seit 1. Juli möglichen Variante, bei der die Patienten ihr E-Rezept mit der Smartphone-tauglichen (FNC) elektronischen Gesundheitskarte ohne Pin beim Apotheker einreichen können, haben weder Bernau noch Schumacher bisher Erfahrungen. KVN-Sprecher Uwe Köster räumt ein, dass die KVN erst Mitte Juli entsprechende Informationen verschicke. Für das Schreiben, das immer zum 15. eines Monats an die Mitglieder rausgehe, sei Lauterbachs Entscheidung zu kurzfristig gefallen. "Verbindlich wird das E-Rezept aber auch erst zum 1. Januar 2024", bemerkt Köster.