Osterholz-Scharmbeck. An diesem Mittwoch, 14. Juni, werden viele Apotheken-Kunden vor verschlossenen Türen stehen. An diesem Tag protestieren Apothekerinnen und Apotheker gegen Lieferengpässe, Sparmaßnahmen und Honorarkürzungen. Auch die Folgen des GKV-Finanzstabilitätsgesetzes sind aus Sicht des Landesapothekerverbandes Niedersachsen Grund für Protest. Auch in der Kreisstadt und umzu beteiligen sich Pharmazeuten am Ausstand. An diesem Tag wird es vielerorts keine Regelversorgung geben, eine Notfallversorgung erfolgt ausschließlich über Notdienstapotheken.
Von "ungewohnter Einigkeit" spricht Burghard Nohns mit Blick auf den Protesttag: "In der Stadt und in den umliegenden Gemeinden machen alle bis auf die Notdienstapotheken mit." Mit dem Ausstand wollen die Apotheker in der Region die Aufmerksamkeit für ihre Situation schärfen. "Wir haben eine zu geringe Lobby, und Lauterbach und andere Gesundheitspolitiker sind ignorant gegenüber uns Apothekern", meint Nohns. Michael Krafft, Betreiber der Stern-Apotheke in der Kreisstadt, gibt allerdings auch zu: "Wir sind irgendwo auch selber schuld, weil wir ja nie gestreikt oder anderweitig protestiert haben." Laut Krafft hätten die meisten seiner Kunden nun aber Verständnis für den Ausstand. "Eigentlich müssten wir drei Wochen streiken und auch gleich den Gesundheitsminister austauschen", findet der Stern-Apotheker. Und beide Apotheker sagen: "Die Stimmung ist schlecht."
Dass die Pharmazeuten die Arbeit für einen Tag niederlegen, haben mehrere Gründe, erklären Nohns und Krafft. Nohns greift den ersten auf: die Honorare. Seit ihrer Einführung seien diese 2013 ein einziges Mal erhöht worden, sagt er. "Wir sind komplett von der Inflation abgekoppelt." Krafft erklärt, dass von diesen Honoraren sämtliche Kosten und auch die Abschläge an die Krankenkassen getragen werden müssen. Mit dem neuen Gesetz ist der Zwangsabschlag, den Apotheken an die Krankenkassen zahlen müssen, um 23 Cent von 1,77 Euro auf zwei Euro erhöht worden. "Eigentlich müssten wir 20 bis 30 Prozent weniger zahlen, um die momentane Inflation auszugleichen", erklärt Krafft. "Das tut weh. Bei den Lohnsteigerungen müssen wir mit Minuseinnahmen leben", meint Nohns. Deshalb sei es eine "Unverschämtheit", wenn Gesundheitspolitiker sagten, dass es kein Geld zu verschenken gebe. Gleichzeitig seien Lohnsteigerungen, wie sie die EVG beispielsweise bei der Bahn fordert, illusorisch. "Davon können die Angestellten in den Apotheken nur träumen", sagt Nohns.
Dass sich Apotheker mit "Apothekenpreisen" eine goldene Nase oder in der Pandemie "dumm und dusselig" verdient hätten, lassen beide Pharmazeuten nicht gelten. "Es hat gute Zeiten gegeben, aber die sind vorbei. Man kann mit unserem Geschäft auskommen, aber reich wird man damit nicht", sagt Nohns. Da verschreibungspflichtige Medikamente überall das gleiche kosten, sind es freiverkäufliche Produkte oder Eigenprodukte, mit denen Apotheken ihre Einnahmen steigern können. "Da sind die Aufschläge im Vergleich zu anderen Gewerken knapp. Wenn es gut läuft, sind es 30 Prozent", erklärt Nohns. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Preise hätten sich auch die Einkaufsbedingungen für Apotheken geändert. "Die Großhändler legen die höheren Preise auf die Apotheken um." Krafft sieht die Konkurrenz durch die Online-Apotheken vor diesem Hintergrund äußerst kritisch. "Die müsste man bei uns verbieten", findet er. "Durch ihre Lock-Angebote bei rezeptfreien Medikamenten machen die uns kaputt."
Personalmangel und Nachwuchssorgen
Mit den Großhändlern spricht Nohns auch den nächsten Protest-Grund an: die Medikamentenknappheit. Durch die Rabattverträge der Krankenkassen mache es für viele Hersteller keinen Sinn mehr, ihre Medikamente nach Deutschland zu verkaufen, weil sie in anderen Ländern damit mehr verdienen könnten. "Es gibt viele Großhändler, die bestimmte Produkte deshalb nicht mehr im Angebot haben." Die Knappheit bedeute einen Mehraufwand für die Apotheken-Teams. "Wir telefonieren herum, um beispielsweise doch noch einen Fiebersaft aufzutreiben, aber das kostet Arbeitszeit, und die kriegen wir nicht vergütet."
Ein weiterer Protest-Grund sei der Personalmangel. "Der Arbeitsmarkt in unserem Bereich ist leer", sagt Nohns. Wenn er auf die Internetseite der Apothekerkammer Bremen schaue, stelle er fest, dass Pharmazeutisch-Technische Angestellte (PTA) massiv gesucht würden. "Sie finden aber keine", konstatiert Nohns. Hinzu komme ein hoher Krankenstand. "Wir gehen auf dem Zahnfleisch." Dazu gesellt sich noch ein Nachwuchsproblem bei den Apothekern selbst. "Junge Menschen dazu zu motivieren, diesen Beruf zu ergreifen, ist extrem schwierig", sagt Burghard Nohns. Das liege auch an den Verdienstaussichten. "Die Tarifgehälter sind im Vergleich zu anderen studierten Berufsfeldern eher kümmerlich."
Michael Krafft sieht auch die Hindernisse bei der Eröffnung einer Apotheke als Grund: "Heute brauchen Sie mindestens 300.000 Euro." Diese Summe müsste momentan über 30 bis 50 Jahre abgezahlt werden. "Denjenigen, der mit 30 eine Apotheke eröffnet und bis 85 abbezahlt, möchte ich sehen", sagt Krafft.