Osterholz-Scharmbeck. 25 Jahre gelten gemeinhin als eine Generation – so gesehen könnte die Electric Family, die 1997 ihr erstes Album herausbrachte, nun in eine neue Phase eintauchen. In gewisser Weise tut sie das auch; auf der anderen Seite sind die Übergänge wie in jeder Familie natürlich fließend. Familienvater und Bandgründer Tom Redecker bleibt weiterhin Dreh- und Angelpunkt der Band, die seit Anbeginn eher den Charakter eines offenen Projekts hat, bei dem Musiker regelmäßig kommen und gehen. Mal gab es Alben in großer Besetzung, bei denen Kollegen aus zahlreichen bekannten Bands der deutschen Musikgeschichte dabei waren, dann wieder solche wie das vorletzte Studioalbum „Echoes don’t lie“ (2020), bei denen der Osterholzer-Scharmbecker Redecker vor allem mit Musikern aus der Region in kleiner, konzentrierter Besetzung gearbeitet hat.
Nun hat die Electric Family das achte Studioalbum veröffentlicht. Wie so viele Platten dieser Tage ist auch "Saba" ein typisches Lockdown-Werk, bei dem die Beteiligten nicht, wie früher üblich, zusammen in einem Studio saßen und gemeinsam Ideen beim Jammen entwickelten. Gerade dies war für die oft improvisierte Herangehensweise der Gruppe in der Vergangenheit prägend. Nun haben sich die Beteiligten ihre Beiträge als digitale Files hin- und hergeschickt und Redecker hat das Ganze wie eine Patchwork-Decke zusammengenäht. Ein spürbarer Unterschied ist erstaunlicherweise dennoch nicht hörbar; wie in jeder Familie kennt man sich offenbar inzwischen so gut, dass man sich auch so aufeinander einstellen kann. Man ist sich inhaltlich nah trotz räumlicher Distanz.
Tour muss ausfallen
Sänger und Gitarrist Tom Redecker, der als eine Hälfte des Duos The Perc Meets The Hidden Gentleman deutsche Musikgeschichte geschrieben hat, zeichnete sich schon immer durch sein Faible für Progressive und Krautrock aus. Bei der Family fand er die Spielwiese, mit Gleichgesinnten dieser Leidenschaft zu frönen. "Saba", dessen Cover schon eindeutig auf die psychedelischen und hippiesken Bezüge der Musik schließen lässt, ist wieder ein Album in großer Besetzung. 13 Musiker sind beteiligt, darunter diesmal kaum Neuzugänge, sondern alte Geistesverwandte und Familienmitglieder wie Achim Färber (Phillip Boa & The Voodooclub), Burghard Rausch (Agitation Free), Rolf Kirschbaum (Pachinko Fake), Jochen Schoberth (Artwork, Goethes Erben) oder Marlon Klein (Dissidenten).

Das achte Studioalbum heißt "Saba".
Ein bisschen schließen sich nun auch die realen Familienkreise, denn Redeckers Sohn Kilian, auf dem Debütalbum noch im Kinderchor mit seinem Bruder Johannes zu hören, ist inzwischen selber hauptberuflich ins Musikbusiness eingestiegen und als Multiinstrumentalist wieder mit von der Partie. Papa Tom hingegen tritt zumindest gesanglich ein wenig in den Hintergrund und überlässt erstmals anderen Vokalisten wie Kirschbaum, Harry Payuta oder Anders Becker allein das Mikrofon. Bei einigen Stücken, wie dem druckvollen "Mr. Megalomaniac" oder dem orientalisch eingefärbten "Alan the Arab", ist er gar nicht oder nur kompositorisch beteiligt. Dafür zeigt er auf der einzigen Coverversion des Albums – mit "La ville du père noël" abermals ein Song aus der Feder von Jacques Dutronc –, dass er seine typisch teutonische Sprachfärbung auch im Französischen zum Tragen bringen kann.
Mit einer Live-Version von "I love the lighthouse", das im Original vor 22 Jahren auf dem dritten Family-Album "Pueblo Woman" erschien, schließt das Album mit einem weiteren Verweis auf die Vorgeschichte ab. Erneut hat Redecker das Spektrum des ohnehin sehr variantenreichen Projekts weiter geöffnet. Gerne hätte er das Ergebnis auch live auf die Bühne gebracht; zumindest eine Kurz-Tournee war für diesen Monat geplant. Sie musste, wie so viele andere Konzerte, dieser Tage abgesagt werden, weil angesichts der Krisen, die auch den geneigten Hippie-Musik-Fan offenbar nicht kalt lassen, der Ticketverkauf stagnierte. Für Tom Redecker kein großes Problem: Der Musikmanager und Labelboss ist sowieso nur noch im Nebengewerbe selbst Musiker. Und außerdem gibt es schon wieder reichlich neue Ideen in seinem Kopf, sodass er getreu dem Motto "Nach dem Album ist vor dem Album" bereits an der neunten Familienplatte werkelt. Im kommenden Jahr soll zudem sein zweites Buch erscheinen.