Neue Tempo-30-Schilder sorgen für Ärger und Applaus in Osterholz-Scharmbeck. Weil die Stadt die Verkehrsberuhigung ausdehnt, rufen Anwohner vermehrt im Rathaus an. Einige wollen sich beschweren, andere beklatschen das Vorgehen der Verwaltung. Mehrere Lokalpolitiker in der Kreisstadt stellen nun die neuen Schilder infrage. Der Grund? Wer frühmorgens durch eine scheinbar menschenleere Stadt fahre, frage sich nach dem Sinn der neuen Regelung, ist Marie Jordan von der CDU überzeugt. Gemeinsam mit Fraktionskollege Ulrich Messerschmidt kündigt sie Widerstand gegen die Ausweitung an. Jordan macht zudem auf eine Online-Petition gegen das Ausweiten der 30er-Regelung in der Stadt aufmerksam, die bis gestern Nachmittag etwa 1050 Unterzeichner zählte.
Das Thema bringt die Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten im Stadtrat sichtlich in Fahrt: Die erneute Ausweitung von Tempo-30-Zonen komme bei Bürgern schlecht an, sei kontraproduktiv und sei als "Gängelung“ zu verstehen, ist Marie Jordan überzeugt. Zudem sei die Ratspolitik über die Ausweitung des Tempolimits vorab gar nicht informiert gewesen, kritisiert sie.
Das sagt die CDU-Fraktionsvorsitzende
Jordan hebt hervor, dass die meisten Autofahrer grundsätzlich Verständnis dafür hätten, vor Schulen, Kindergärten und Altenheimen langsamer zu fahren. Zeitlich beschränkte Tempolimits an besonderen Gefahrenstellen seien „nachvollziehbar und sinnvoll“, stellt sie fest. Kaum nachvollziehbar sei es für viele jedoch, dass zuvor geltende Zeitbeschränkungen entfernt und bestehende Zonen verlängert wurden. Ein Pendler, der morgens um 4 Uhr durch die menschenleere Stadt fahre, frage sich zurecht, aus welchem Grund er alle paar Meter die Fahrt verlangsamen solle, argumentiert die CDU-Fraktionschefin in einem Brief an den Bürgermeister.

Tempo 30 gilt neuerdings auch auf der Koppelstraße in Osterholz-Scharmbeck.
Was ist passiert? Die Stadt Osterholz-Scharmbeck hat in den vergangenen Tagen mehrere 30er-Bereiche ausgedehnt. Dazu zählt die Ausweitung des bereits auf der Poststraße geltenden Tempolimits auf die Koppelstraße und die Stader Landstraße bis zum Kreisel an der Käthe-Kollwitz-Straße. Außerdem gilt Tempo 30 – neuerdings ohne zeitliche Befristung und in einem Rutsch – auf der Loger Straße und der Ritterhuder Straße bis zum Linteler Kreisel. Dort bestand zuvor lediglich eine zeitliche Beschränkung in Höhe von Gymnasium und Kita. Auch auf der Rübhofstraße im Stadtteil Osterholz müssen Autofahrer jetzt aufpassen: Die Beschränkung auf maximal 30 Stundenkilometer gilt nun bis zur Hohenfelder Straße. Und auch in Pennigbüttel gibt es mehr Tempo 30: Ab sofort reicht die Beschränkung nicht mehr nur rund um die Grundschule, sondern bis zur Einmündung der Straße Auf dem Brink.
Das sagt der Mitarbeiter im Straßenverkehrsamt
Uwe Schleucher von der Straßenverkehrsbehörde der Stadt erhält wegen der Änderungen zurzeit viele Anrufe von Bürgern. Die eine Hälfte sei verärgert, die andere Hälfte sei erfreut über die neuen Verkehrsschilder, sagt er. Ihm sei keine andere Wahl geblieben, als die Regelungen umzusetzen, hebt er hervor und weist auf die Vorgaben der Bundespolitik hin. Entscheidend sei die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO), genauer gesagt: Paragraf 45 der StVO. Die Novelle war am 11. Oktober 2024 in Kraft getreten, die zugehörige Verwaltungsvorschrift ist seit April 2025 rechtskräftig. Die Novelle ermöglicht es Kommunen, Tempo 30 jetzt auch ohne den Nachweis einer „besonderen Gefahrenlage“ anzuordnen, erläutert Schleucher. Ab sofort ist demnach auch der Lückenschluss bis zu 500 Meter zwischen zwei vorhandenen Tempo-30-Strecken erlaubt. Das gelte besonders für Strecken mit Zebrastreifen, Spielplätzen und auf hochfrequentierten Schulwegen sowie nahe Einrichtungen für Menschen mit Behinderung – so wie auf der Koppelstraße, Loger Straße und in Pennigbüttel.
Das wollen SPD und Grüne im Stadtrat
Mitglieder der Grünen und der SPD in Osterholz-Scharmbeck haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder für eine Ausweitung der Tempo-30-Regelung im Stadtgebiet ausgesprochen (wir berichteten). Die nun erfolgte jüngste Ausdehnung ist demnach eine Folge eines Ratsentscheids vom März 2023. Seinerzeit folgte eine Mehrheit dem SPD-Antrag, der Initiative „Lebenswerte Städte und angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten. Ziel war es, einen Tempo-30-Flickenteppich zu vermeiden. Die Grünen fordern bereits seit Jahren, Tempo 30 flächendeckend fürs Stadtgebiet einzuführen. Sie weisen auf enge Ortsdurchfahrten und schmale Gehwege hin. Überholvorgänge mit einem Mindestabstand von 1,50 Meter seien aufgrund von Kurven und hohem Verkehrsaufkommen vielerorts unmöglich, so eine weitere Begründung.
Die Christdemokraten um Marie Jordan und Ulrich Messerschmidt sind indes gegen den Vorstoß von Rot-Grün. „Die CDU-Fraktion sieht grundsätzlich die aus nicht einschlägigen Anlässen erfolgende Einführung von Tempo-30-Zonen im Stadtgebiet als kritisch und vermeidbar an“, heißt es in einem Schreiben an den Bürgermeister der Stadt, Torsten Rohde. „Wir bitten um Darlegung der seit der letzten Anfrage erfolgten Ausweitungen und Neu-Ausweisung von Tempo-30-Zonen sowie der Gründe und rechtlichen Grundlagen für diese von der Verwaltung veranlassten Maßnahmen“, heißt es im vorliegenden Antragsschreiben an den Bürgermeister.