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Kleines Dorf ganz groß Pennigbüttel: Wo die Party nie enden will

Pennigbüttel, ein Ort voller Charakter und Kreativität. Hier wird das Dorfleben durch bunte Events und eine Gemeinschaft, die nie aufhört zu feiern, bereichert.
07.09.2025, 05:00 Uhr
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Von Michael Schön

Man kann darüber streiten, ob die durch Pennigbüttel strebende Bundesstraße 74 Fluch oder Segen für die Anwohner ist. Jedenfalls trennt sie den Ortskern von dem westlich des Verkehrsweges gelegenen Weiler Wiste und vom Gewerbegebiet Siemensstraße. Doch auch an dieser Stelle offenbaren sich Hang und Drang der Pennigbütteler zur Selbstoptimierung. Die beschmierten und düsteren Wände der Unterführungen, die das Queren des Straßenzugs zu einem gruseligen Geisterbahn-Erlebnis machten, avancierten vor einigen Jahren zur Projektionsfläche für Graffiti-Kunst. Motive aus einem Bilderbuch-Dorf, mit hellen und freundlichen Farben gestaltet, laden jetzt zur Passage des Bauwerks ein, mit dem bis dahin ziemlich gefremdelt wurde. Das trennende Element wurde zu einem verbindenden. Als Sinnbild dafür steht ein dicker Knoten, der Wiste und Pennigbüttel, ortsbildprägende Gebäude, Himmelstreppe, Wappen und Schule auf einem Panorama vereint.

Spaziert man durch Pennigbüttel, begegnet man auf Schritt und Tritt üppigem Blumenschmuck, der in allen Farben leuchtet. Überhaupt ist Pennigbüttel in vielerlei Hinsicht bunt. Am Rande des Teufelsmoores sind sie stolz darauf, in einem Ort mit so vielen Facetten zu leben. Hier kommen nicht nur Alt und Jung gut miteinander aus, sondern auch der Alteingesessene mit dem Zugereisten. Es gibt die Gewerbegebiete und das alte Pennigbüttel mit seinen gut erhaltenen Hofstellen, die Findorffsiedlungen und die fortschrittlichen Wohnprojekte, die technischen Betriebe und den sanften Tourismus. Schließlich die Tradition. 2016 feierte Pennigbüttel seinen 800. Geburtstag.

Pennigbüttel punktet mit der Fähigkeit, für scheinbar Gegensätzliches einen gemeinsamen Nenner zu finden. Darum, die Menschen und ihre unterschiedlichen Anschauungen und Ansprüche zusammenzuführen, vor allem auch die „Neuen“ zu integrieren, kümmert sich der Verein Pro Pennigbüttel, indem er dafür sorgt, „dass immer was los ist“, wie er auf seiner Homepage schreibt. Es scheint, als ob die Geburtstagsparty von 2016 einfach nicht enden wolle. Der Förderverein widmet sich dem Erntefest, den Bier-, Wein- und Oktoberfesten, den Mai- und Weihnachtsbäumen, den Theaterfahrten und Torfkahntouren.

Dass in Pennigbüttel immer was los ist, liegt nicht zuletzt an den rührigen Vereinen, über ein Dutzend an der Zahl. Sie unterstützen sich gegenseitig, übernehmen zum Beispiel Patenschaften für die an den „prominenten“ Plätzen aufgestellten Blumenbeete. Der Jahreskalender ist prall gefüllt. 2025 begann er mit einem Landfrauen-Frühstück im Vereinsheim, und enden wird er mit dem Lebendigen Adventskalender. Dazwischen Tanz um das Tortenbüfett, Muttertagssause auf dem Dorfplatz und Piratenchorkonzert.

„Ich liebe Pennigbüttel“, schwärmt Martina Kunst, die Ortsvorsteherin, um eindringlich zu versichern, „dass wir die tollsten Ideen, den blauesten Himmel und die sattesten Wiesen, die leckersten Torten, die größten Eier und die dicksten Kartoffeln haben“. Sie ist seit zehn Jahren Ortsvorsteherin und verfügt über eine Begeisterungsfähigkeit, der offenbar ein hohes Ansteckungspotenzial innewohnt. Wie sonst hätten sich Veranstaltungen organisieren lassen, deren Ursprünge man im Erfindergeist eines spleenigen Briten vermuten könnte? Ein Samba-Fest à la Karneval in Rio, das in einer oft als spaßbefreit verrufenen Hochburg der niederdeutschen Dialektlandschaft etliche hundert „Feierbiester“ herbeitrommelt. Ein Hafenfest, wo weit und breit kein Hafen ist. Und nicht zuletzt eine Kneipentour, die an 14 längst auf der Strecke gebliebenen Geister-Gasthäusern entlang führt. Paradoxa à la Pennigbüttel.

Das sei eine schöne Idee, aber auch eine richtige Fleißarbeit gewesen, berichten die Leute vom Verein Pro Pennigbüttel über die fürs vergangene Jahr unternommene Suche nach den dahingesiechten Wirtshäusern, die deshalb so zahlreich gewesen seien, wie Reinhard Müller erzählt, weil der Torftransport aus dem Teufelsmoor nach Bremen auf dem Landweg über Pennigbüttel erfolgte. Am Montag hatten sie noch überlegt, ob und wie sie die Umsetzung realisieren könnten. „Und am Donnerstag waren schon 100 Karten weg!“ Am Ende waren gut 200 Teilnehmer mit von der Partie, teilweise gekleidet im Stil der Nachkriegszeit. Ebenfalls aus den 1950er-Jahren stammte die Musikbegleitung. Wer nicht gut zu Fuß war, konnte die Tour im Kremser unternehmen. Der Bäcker gab Brezeln aus, der Filialleiter der Volksbank spendierte Schnaps. Hochprozentiges hielten auch einige Pennigbütteler vor, die heute dort wohnen, wo einstmals aber gegen bare Münze eingekehrt und gezecht werden konnte.

Das Echo auf die Kneipentour war so überwältigend, dass eine Wiederholung gefordert wurde. „Können wir aber nicht jedes Jahr machen“, hat der Förderverein entschieden. Silke Klezath-Ottke und Sabine Hellmers haben immerhin Trost parat: „Uns gehen die Ideen niemals aus.“

Der Leitspruch „Bi us geiht wat“ werde mit Leben gefüllt, verkündet auch Markus Hellmers, zweiter Vorsitzender des Fördervereins. Pro Pennigbüttel kümmert sich auch um Sponsoren. Mit ziemlichen Erfolg, wie es schon die zweite Strophe der Pennigbütteler Hymne nahelegt: „Gewerbegebiete sind voll, zu Sponsor’n müssen wir nicht weit laufen“. Dazu kommen Spendengelder und Fördermittel. Die besonders dringend für den insgesamt 200.000 Euro teuren Dorfplatz benötigt wurden. Dem Ort habe ein Mittelpunkt gefehlt, erklärt Reinhard Müller. Um diesen Missstand zu beheben, nahmen einige der Protagonisten sogar persönliche finanzielle Risiken in Kauf, denn der öffentliche Zuschuss in Höhe von 127.000 Euro setzte eine Vorfinanzierung voraus.

Martina Kunst verhehlt nicht, dass es auch immer mal wieder Skepsis, Kritik und Rückschläge gab. Wie beim Samba-Moonlight-Move und beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“. Da habe man „Gegenwind von links und rechts“ bekommen. „Yes, we can“ in der umgekehrten Variante, anonym vorgenommene Beschimpfungen, gerichtet persönlich an die umtriebige Frontfrau, die zwischenzeitlich auch in der Stadtpolitik kräftig mitmischte. Das „Probieressen“, auch so eine schöne Idee, scheiterte an Personalmangel in der Gastronomie. Das erzeugt aber lediglich eine „Jetzt-erst-Recht-Stimmung“ im zweitgrößten Verein des Dorfes. Martina Kunst verspricht, „dass wir uns nicht unterkriegen lassen.“ Sie sind halt „pro Pennigbüttel“.

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Zur Sache

Die ehemals selbstständige Gemeinde Pennigbüttel ist 1974 im Zuge der Gebietsreform im Land Niedersachsen in die Kreisstadt Osterholz-Scharmbeck eingegliedert worden. Der Ort war lange von der Landwirtschaft geprägt. Durch die Ausweisung neuer Gewerbe- und Wohngebiete machte er aber eine starke Wandlung durch. Die Einwohnerzahl stieg rasch auf rund 2000 Menschen. Rein statistisch betrachtet, ist die Hälfte von ihnen beim SV Komet Pennigbüttel gemeldet, mit über 1000 Mitglieder der größte Verein. Doch auch der Reit- und Fahrverein spielt eine bedeutende Rolle. Seine Turniere üben Anziehungskraft auf, weit über die Region hinaus.

Info

Unter einem verschlafenen Dorf kann sich jeder etwas vorstellen. Da werden am Abend die Bürgersteige hochgeklappt, und richtig was los ist höchstens einmal im Jahr beim Schützenfest. Doch es gibt auch den Gegenentwurf: ausgeschlafene Dörfer mit einem eigenen Charakter und Menschen, die das Leben dort über Generationen prägen. Der WESER-KURIER hat sich auf die Suche nach diesen besonderen Gemeinden gemacht und stellt sie in der Serie "Kleines Dorf ganz groß" vor.
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