Osterholz-Scharmbeck. "Wir müssen lernen, die neue Arktis zu verstehen", sagt Gunnar Spreen. Wenn er von der "neuen Arktis" spricht, dann weist er damit auf die dramatischen Veränderungen im Epizentrum der globalen Erwärmung hin, mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Wetterküche in Europa. Um mehr Verlässlichkeit in die Klimamodelle zu bringen, war die Mosaic-Expedition ein Jahr lang in der Arktis unterwegs, mit Spreen als zweimaligem Teilnehmer 2019 und 2020. Unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), hat sich die Polarstern ein Jahr lang auf die Spuren des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansens begeben, der vor gut 125 Jahren die erste Eisdrift durch den Arktischen Ozean wagte. Von den Ergebnissen der gewaltigen Polarstern-Expedition mit mehreren Hundert Wissenschaftlern und Besatzungsmitgliedern wird Spreen am Donnerstag, 20. April, im Gemeindehaus der Kirchengemeinde St. Willehadi, Am Kirchenplatz 3 in Osterholz-Scharmbeck, berichten. Die Veranstaltung beginnt um 20.15 Uhr.
In der Kategorie Stand der Technik, von den logistischen Möglichkeiten her oder auch was den Umfang des Einsatzes von Mensch und Material betrifft, war der neuerliche Aufbruch ins ewige Eis nicht vergleichbar mit der Pionierleistung Nansens und seiner "Fram", doch ein Abenteuer war es schon. Neben der Kälte – Minus-Temperaturen von um die 30 Grad – war es vor allem die Finsternis der Polarnächte, die den Wissenschaftlern ziemlich zusetzte. Gegen die Kälte half entsprechende Schutzkleidung – fürs Anziehen brauchte Spreen anfangs allerdings etwa 20 Minuten –, doch die Arbeit mit den Instrumenten wurde durch die Dunkelheit enorm erschwert. Die Polarstern hatte an einer großen Eisscholle festgemacht, mit der sie durch die Framstraße driftete, einem Seeweg, der zwischen Spitzbergen und dem grönländischen Nordosten verläuft.
Arbeiten in ständiger Dunkelheit
Wenn der Himmel dicht bewölkt war, musste man sich mit dem Licht von den Polarstern-Scheinwerfern und der eigenen Stirnlampe begnügen. "Das machte die körperliche Arbeit sehr anstrengend", so der Umweltphysiker, der vor allem das Mikrowellenradiometer – fürs Fotografieren mangelte es an Licht – einsetzte, um Daten zu erheben, vom jungen Eis, vom Prozess der Meereisbildung über den arktischen Winter bis zum Auftauen. Diese Daten gleichen die Forscher mit ihren Messungen ab, die sie seit vielen Jahren von Satelliten aus 800 Kilometer Höhe vornehmen. Der Vergleich der Daten aus dem All mit den detaillierten Mikrowellenmessungen vor Ort soll dazu führen, dass für künftige Missionen wesentlich bessere Methoden entwickelt werden können. Die sind schon geplant und werden dann unter der der Federführung der EU von der europäischen Weltraumorganisation ESA durchgeführt. Spreen: "Wir konnten jetzt ein Jahr lang das unter die Lupe nehmen, was wir sonst nur aus großer Entfernung sehen. Das führt letztlich zu Resultaten, die besser und sicherer sind."

Gunnar Spreen hat auf der Polarstern an der Mosaic-Expedition teilgenommen.
Als Mitglied des Project Boards war Spreen für die Koordination der Fernerkundungsaktivitäten verantwortlich. Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt erhoben auf der weltweit größten und bedeutendsten Expedition im Nordpolarmeer Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen.
Vom dramatischen Eisschwund dort – von 50 Prozent seit dem Beginn der Messungen vor 50 Jahren ist die Rede – bekam Spreen auf seiner Reise, die im nordnorwegischen Tromsø begann, einen eigenen Eindruck. "Weil das Eis in diesem Jahr so dünn war, sind wir wesentlich schneller gedriftet, als wir erwartet hatten." Immer wieder kam es zu Rissen in der Scholle, sodass die Instrumente geborgen und auf sicheres Terrain gebracht werden mussten.
Die Besucher des Vortrages im Loccumer Kreis werden auch von anderen Gefährdungen hören. "Man muss da mit den Eisbären leben", berichtet Spreen. Mit lauten Geräuschen ließen die bepelzten Räuber sich allenfalls für eine Weile fernhalten. Wegen der schwierigen Sichtverhältnisse musste daher stets ein Wachposten abgestellt werden, der die Eisbären-Gefahrenlage sondierte. "Die Bären haben die Instrumente aber in Ruhe gelassen, nicht aber die Füchse." Letztere bekamen die Expeditionsteilnehmer nie zu Gesicht, dafür aber die von ihnen angefressenen Kabel.
Erfrierungen und Armbruch
Die viele Jahre geplante Expedition litt unter einem Ereignis, das nicht eingeplant war: Die Corona-Pandemie. "Das hat vieles durcheinandergebracht, vor allem den Flugbetrieb." Stattdessen musste vor allem auf den Einsatz von russischen Eisbrechern gesetzt werden. Spreen war wochenlang auf einem unterwegs. Er war auch in Quarantäne, mit der Gruppe in Bremerhaven, aber auch allein in einem Hotel. Allen Schwierigkeiten und Hindernissen zum Trotz sei die Expedition aber bis auf einen gebrochen Arm und ein paar leichte Erfrierungen glücklich verlaufen.

Gunnar Spreen
Was hat der Forscher nach Monaten in der Kälte und der Dunkelheit am meisten vermisst? "Familie und Freunde natürlich!" Aber er sei auch froh gewesen, eine Straße mit Bäumen und Pflanzen entlang zu gehen. "Und dabei auch mal Menschen zu begegnen, die man nicht schon kannte."