Was ist das denn für ein Bauwagen neben dem Kindergarten Rasselbande an der Schulstraße in Tarmstedt? Oder ist das mit Holz verkleidete Gebilde etwa eines dieser modernen Tiny-Häuser? Wer die Kita-Leiterin Catharina Sprung fragt, bekommt eine überraschende Antwort.
Was hat es mit dem Bauwagen auf sich?
"Wir nennen ihn Wichtelwagen", sagt Catharina Sprung, "er bietet uns den Raum für ein in der Region einzigartiges Projekt. Wir haben hier in Tarmstedt tatsächlich ein Pilotprojekt gestartet, und wie es aussieht, ist es erfolgreich." Mithilfe einer intensiven Einzelbetreuung sei es gelungen, ein verhaltensauffälliges Kind, dem im vorigen Sommer noch der Kita-Verweis drohte, so zu fördern, dass es sehr wahrscheinlich im Sommer eingeschult werden könne.
Warum ging das nicht im Kita-Gebäude?
"Wir hatten dort schlicht keinen Platz dafür", erklärt Natascha Metzner, die beim Rotkreuz-Kreisverband Bremervörde die Bereichsleitung für sechs Kindergärten und Horte mit rund 500 Plätzen und 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innehat. Das Kind sei für die Regelgruppe angemeldet worden, doch habe sich schnell herausgestellt, dass es in der Gruppe überfordert war – zu viel Gewimmel, zu viele Stimmen, zu viele Reize. Der erhöhte Förderbedarf habe sich erst später gezeigt, was dazu führte, dass öfter eine Erzieherin mit dem Kind nach draußen musste, womit sich aber auf Dauer Probleme mit der Aufsicht ergeben hätten. "Wir mussten uns also was überlegen", so Metzner.
Wie kam es zu dem Bauwagen?
"Wir haben die Sache mit der Gemeinde Tarmstedt besprochen, denn wir wollten nicht, dass das Kind unsere Kita verlassen muss", erzählt Metzner. "Rausschmeißen war absolut keine Option", betont sie. Das Kind sollte nicht unversorgt und ungefördert zu Hause sitzen, sondern "gesellschaftsfähig und schulfähig werden". Kathrin Alpers aus der Verwaltung habe die Idee mit dem Wichtelwagen ins Spiel gebracht. Solch einen Wagen nutze die Lebenshilfe in Bad Bederkesa für ihre Waldgruppe, er sei ganzjahrestauglich und erfülle alle Normen für Kita-Gruppen, bis hin zum Rauchmelder. Der Gemeinderat habe sofort hinter dem Vorhaben gestanden, für 100.000 Euro ebenfalls einen Wichtelwagen zu kaufen. "Für das Geld haben wir 36 Quadratmeter Raum für bis zu vier Kinder bekommen, das ist billiger als ein Anbau an den Kindergarten, den wir auch erwogen hatten", so Metzner.
Gab es sonst Widerstände?
"Nein", sagt Metzner. Sie habe die Angelegenheit auch mit dem Sozialamt des Landkreises erörtert, das den erhöhten Förderbedarf anerkannte und einer Assistenz zustimmte. Zum Glück sei auch schnell eine Heilerziehungspflegerin eingestellt worden, die sich speziell um das Kind kümmert. Ihre Stelle wird vom Landkreis finanziert. Auch die Landesschulbehörde habe schnell zugestimmt. "Die Betriebserlaubnis war in wenigen Tagen da", so Metzner. Anfang September sei das mobile Holzhaus per Tieflader angeliefert worden, kurze Zeit später war es Teil des Kindergartens.

Sieht aus wie ein Kindergarten und ist auch einer: ein Blick ins Innere des neuen Wichtelwagens.
Was ist die Idee hinter dem Projekt?
"Kein Kind soll zurückbleiben", sagt Natascha Metzner. Das fragliche Kind auszusortieren, hätte zwar das Problem in der Kita kurzfristig gelöst, jedoch gehe es hier um eine gesamtgesellschaftliche Frage. "Wir treiben hier zwar einen hohen Aufwand. Doch lohnt es sich, wenn das Kind schulfähig wird und hinterher eine Ausbildung machen und arbeiten kann", erklärt Metzner. Gelinge diese Integration nicht, seien die Kosten am Ende viel höher. Kindliche Entwicklung sei kein Zufallsprodukt, es brauche "viele Mikromomente, in denen Entwicklung stattfindet". Bei dem betreffenden Kind sei es so gewesen, dass es in Überforderungssituationen impulsiv und auch aggressiv reagiert habe. Und zwar so sehr, dass es für die Gruppe nicht mehr tragbar war. Mithilfe der Einzelbetreuung lerne das Kind, soziale Strategien zu entwickeln, um mit seinen Impulsen angemessen umzugehen. "Damit wird eine Misserfolgsspirale durchbrochen, die durch Frust, Ärger und Ablehnung gespeist wird", sagt die Kita-Leiterin Sprung.
Wie ist der Stand der Dinge?
"Mittlerweile bekommt das Kind seine Impulse reguliert", sagt Sprung. Es sei nicht dumm, sondern "normal intelligent" und lerne schnell. Noch im Juni habe es sich plötzlich die Ohren zugehalten und geschrien, sodass die anderen Kinder Angst bekommen hätten, weil sie dessen Verhalten nicht einschätzen konnten. Wer aber ständig damit beschäftigt sei, sich zu schützen, könne nicht lernen. Inzwischen sei es gelungen, das Kind langsam an die Gruppe heranzuführen. "Andere Kinder aus der Gruppe kommen in den Wichtelwagen und besuchen es", berichtet Sprung, neulich habe es dort eine kleine Geburtstagsfeier gegeben – mit Gleichaltrigen, mit denen es bald zur Schule gehen wird. Auch habe sich das Kind an einer Aufführung beim Laternenfest beteiligt.
Wie sind die Aussichten?
Insgesamt leider nicht so gut, bedauert Natascha Metzner. Die Zahl der Kinder mit sozial-emotionalem Förderbedarf werde zunehmen. "Die Kindheit ist heute anders als früher", sagt sie. Die Kinder hätten zu wenig Bewegung und zu wenig echte soziale Kontakte und dafür "zu viel Bildschirm". Am Handy oder vorm Fernseher gehe es nur ums Sehen und ums Hören, während alle anderen Sinnesreize verkümmerten, "die wir brauchen, um mit anderen Menschen in Beziehung zu treten". Da seien die Eltern gefordert, die sich ihren Kindern intensiver zuwenden müssten, sie liebkosen, streicheln, sie anlächeln und mit ihnen sprechen müssten. Im Alltag erlebe man oft das Gegenteil: "Wenn Kleinkinder erleben, dass Mama und Papa aufs Handy starren statt sich mit ihnen zu beschäftigen, ist das ein wirklich dramatisches Problem. Dieses Verhalten verhindert Entwicklung."